Venezuela

Der alte Herr mit dem Pommes-Eis

In Venezuela trotzt der Betreiber einer Eisdiele der Krise im Land – mit unorthodoxen Eissorten / 870 hat er im Angebot.  

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Der Eingang zur Eisdiele.  Manuel da Silva Oliveira vor der Eistafel Foto: dpa (2) / fotolia.com

MERIDA (dpa). Venezuela versinkt gerade im Chaos, aber Manuel da Silva Oliveira grübelt trotz der Schwierigkeiten noch über neue Eissorten nach. Seine Eisdiele schaffte es ins Guinness-Buch der Rekorde – nirgendwo sonst auf der Welt gibt es so viele Sorten. Darunter sind auch einige Geschmacksrichtungen, die – nun ja – für uns eher gewöhnungsbedürftig anmuten.

Die Tafel mit den Sorten in der Eisdiele nimmt eine ganze Wand ein. Von Hot-Dog-Eis, über Miss-Venezuela-Eis bis zur neuesten Kreation: Reis mit Hühnchen. Es gibt auch weniger fleischlastige Sorten: Feige, Mokka, Lachs, Tomate. Aber auch romantische wie "Amor de mi Vida" – "Liebe meines Lebens", "Corazón mio" – "mein Herz" und "Noche de Bodas" – "Hochzeitsnacht". Wenn gerade eine Liebe zerflossen ist, bietet sich "Tränen der Liebe" als Aufmunterung an.

Auf der Bank unter der Tafel lassen sich die Gäste die bizarren Sorten schmecken. Die Krise rückt in den Hintergrund – auch hier, in der Andenstadt Mérida im Westen Venezuelas, starben zuletzt Demonstranten bei Protesten gegen eine drohende Diktatur, gegen die Misswirtschaft unter Präsident Nicolás Maduro. Hier drinnen ist dagegen heile Welt.

Während zwei Damen Eiskugeln aus den Eimern in der Auslage kratzen, sitzt hinten auf einem Hocker Manuel da Silva Oliveira. Stolz auf sein Lebenswerk. 1953 kam er aus Portugal nach Mérida. Hier gibt es mit 12,5 Kilometern über fünf Stationen auch die längste und höchste Pendelseilbahn der Welt – sie fährt auf 4765 Meter hoch und bietet einen Ausblick auf den höchsten Berg, den Pico Bólivar. Aber sie ist hoch defizitär, da Touristen einen Bogen um das von Krise und hohen Gewaltraten erschütterte Land machen. Aber im "Coromoto" gibt es für alle Fälle natürlich auch die Eissorte "El Turista" – "der Tourist".

Im Laden hängen Hunderte vergilbte Bilder von Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern, die mit dem Eis von Oliveira groß geworden sind. "Ich bin ein Erfinder", erzählt der 86-Jährige. Klar, Milch und Zucker seien kaum noch zu bekommen, 2014 schloss man kurzzeitig, weil es keine Milch mehr gab. Trotzdem ist er auf sein Sortiment stolz. "Wir haben heute 870 Eissorten im Angebot."

Aber da steckt auch etwas Marketing dahinter – nur ein Bruchteil davon ist täglich erhältlich. Das ganze läuft im Rotationsverfahren, meist gibt es 50 Sorten in der Auslage pro Tag. Beim Hot-Dog-Eis wird alles klein geschnitten, auch Pommes und Ketchup, es wird verrührt und unter Zugabe von Milch gefroren. Oliveira verschwindet kurz, er kommt mit einer Ausgabe des Guinness-Buchs der Rekorde 1996 zurück. Dort wurde er mit "nur" 593 Sorten Rekordhalter, "alle natürlich".

1981 kam der gelernte Koch auf die Idee mit der Eisdiele. "Das ganze Eis war mir zu chemisch." Bei ihm seien alle Sorten natürlich. Los ging es mit Klassikern wie Vanille und Erdbeere, der erste Renner wurde Avocadoeis. Als das Geschäft wegen des Milchmangels ein paar Wochen zu war, wurde das zu einem Politikum. "Selbst beim Eis endet die Revolution", lautete ein Kommentar bei Twitter.

Nach 18 Jahren sozialistischem Experiment gleicht das Land unter Führung von Präsident Nicolás Maduro aber einem Pulverfass. Durch die höchste Inflation der Welt können Importe aus dem Ausland kaum noch bezahlt werden. Es fehlt Mehl für Brot, auch Milch ist ein Luxusgut. Das schlägt sich auch auf das Geschäft mit der Eiscreme nieder.

Zwei große Kugeln kosten 3300 Bolivares, rund 70 Cent, aber die Inflation macht das für viele unerschwinglich. Ob er denn nicht manchmal verzweifele, ob des ganzen Dramas, das ja auch sein Geschäft schwerer mache? "Nein", sagt der Einwanderer aus Portugal. "Ich habe den Zweiten Weltkrieg überlebt." Und dabei den Mut zu unorthodoxen Experimenten nicht verloren. Oliveiras Lieblingssorte? "Mais mit Käse."

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