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Fußball-WM

Das Schweigen der Spieler des Iran bei der Hymne ist eine Botschaft

Bei der 2:6-Niederlage gegen das Team aus England wird das verweigerte Singen der Hymne von der iranischen Nationalmannschaft als Sieg gefeiert.  

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Vier iranische Spieler  während des Abspielens der Nationalhymne  | Foto: FADEL SENNA (AFP)
Vier iranische Spieler während des Abspielens der Nationalhymne Foto: FADEL SENNA (AFP)
Manchmal geht es wirklich um mehr als Fußball. Und dann kann sich sogar die höchste WM-Niederlage der Geschichte anderswo wie ein Sieg anfühlen. So hat die iranische Nationalmannschaft zwar die Auftaktpartie bei der WM in Katar gegen den Mitfavoriten England gleich mit 2:6 (0:3) verloren, aber für weite Teile der Heimat hat das "Team Melli", übersetzt die Mannschaft des Volkes, im Khalifa Stadium trotzdem viel gewonnen.

Weil die Nationalspieler nämlich bei der Hymne der islamischen Republik schwiegen und damit ein klares Zeichen gegen das Regime aussandten, flogen ihre viele Herzen zu.

Mit versteinerter Miene lauschte ein jeder Akteur den Klängen. Niemand bewegte die Lippen. Und das hatten genau diejenigen erhofft, die seit Wochen in Teheran und anderswo auf die Straße gehen, um gegen die Unterdrückung der Frauen zu protestieren, nachdem vor zwei Monaten die junge Mahsa Amini nach der Verhaftung durch die Sittenpolizei gestorben war. Im iranischen Block unter dem geschwungenen Stadiondach mit seiner unnötig auf Hochtouren laufenden Klimaanlage kannte der Jubel keine Grenzen. Einigen Frauen rannten die Tränen in Sturzbächen über die Wagen. Gänsehautmomente für jeden Augenzeugen.

Nationaltrainer Carlos Queiroz ärgert das Spannungsfeld, in dem seine Nationalkicker sich in der Wüste befinden. "Jeder kennt das Umfeld, in dem sich meine Spieler bewegen: Es ist nicht das Einfachste. Sie sind auch nur Menschen, sie haben Kinder. Und sie wollen für ihr Land spielen." Aus seiner Sicht werde den Sportlern zu viel aufgeladen: "Moralisten und Lehrer, lasst die Kids das Spiel spielen. Sie wollen einfach nur das Spiel spielen. Sie wollen Unterhaltung, Spaß und Fröhlichkeit bringen. Es ist nicht korrekt, sie Dinge zu fragen, für die sie nichts können." Die vielen Themen außerhalb des Fußballs würden stören. Unter den Gegebenheiten sei er stolz auf ihren Auftritt, sagte der Portugiese, der jede politische Parteinahme vermied. Der zurückgeholte 69-Jährige hatte bereits von 2011 bis 2019 in dem eng mit den Herrschern verbandelten Verband gearbeitet.

Zwei Seiten in dem zerrissenen Land wollten ja die Fußballer für ihre Zwecke gewinnen: Das erzkonservative Mullah-Regime, das mit brutaler Härte gegen das eigene Volk vorgeht. Und die aufgebrachten Demonstranten, die nach Freiheitsrechten für Frauen verlangen. Der iranische Staatssender unterbrach sofort die Live-Übertragung bei der Hymne, als der stille Protest erfolgte.

In dieser schwierigen Gemengelage ist vielleicht gar nicht verwunderlich gewesen, dass das iranische Ensemble den "Three Lions" selten folgen konnte. Englands sichtlich zufriedener Trainer Gareth Southgate ("Wir freuen uns sehr, so ins Turnier zu starten") beklatschte sehenswerte Treffer von Jude Bellingham (35.), Bukayo Saka (43./62.), Raheem Sterling (45.+1), Marcus Rashford (72.) und Jack Grealish (90.). Englands Kapitän Harry Kane trug wie erwartet nicht die One-Love-Binde, sondern eine mit der Aufschrift "No Discrimination", nachdem die Fifa ihr Machtwort durchgepeitscht hatte.

Zwischenzeitlich sorgten Treffer von Mehdi Taremi (65. und 90.+13/Foulelfmeter) für Glücksgefühle beim emotional erkennbar aufgewühlten Anhang des Iran. Zwar waren nicht annähernd so viele nach Katar gekommen wie 2018 nach Russland, aber auffällig war wieder, dass die Frauen fast alle offene Haare trugen. Zudem zeigten Männer demonstrativ rote T-Shirts mit dem Aufdruck "Women. Life. Freedom". Frauen. Leben. Freiheit. Das ist die Botschaft, die vielleicht mehr zählte als das Resultat in Doha.

Carlos Queiroz kündigte für die zweite Partie gegen die Mannschaft aus Wales am Freitag (11 Uhr) "einen Sieg" an, weil ansonsten wohl das vorzeitige Aus besiegelt wäre. Unklar ist, ob der mit einer Gehirnerschütterung ausgeschiedene Nationalkeeper Alireza Beiranvand dann bereits wieder einsatzbereit ist, dessen Behandlung dazu beitrug, dass sich insgesamt 24 (!) Minuten Nachspielzeit anhäuften.

Die iranischen Akteure schienen froh, als alles überstanden war. Reza Pahlavi, der ältesten Sohn des ehemaligen Schahs, Mohammad Reza Pahlavi, hatte vor der Begegnung unmissverständlich von ihnen gefordert: "Jetzt habt ihr die Gelegenheit, die Stimme eures Volkes zu sein und zu zeigen, dass ihr die Nationalmannschaft des Irans seid und nicht die der kriminellen islamischen Regierung. Nutzt diese einmalige Gelegenheit, um dem Volk zusätzliche Energie zu geben. Die Welt schaut euch zu."

Ressort: Fußball-WM

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 22. November 2022: PDF-Version herunterladen

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