Das Elend der Straßenkatzen
Straßenkatzen in Deutschland? Die gibt es zuhauf, auch wenn viele Menschen das nicht wissen. Die Not dieser Tiere aber ist groß, fast alle sind krank. Wenn ein Jungtier keine Chance mehr hat, kann der Grund noch ein anderer sein.
Thomas Strünkelnberg und Irena Güttel (dpa)
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Aber die Streuner, die auf der Straße leben, sind gebeutelt. Sie hungern, weil sie kaum in der Lage sind, genug für sich zu jagen, sie geben Krankheiten weiter und haben auf ihren Streifzügen oft Unfälle. Verletzt verstecken sie sich, ihre Wunden eitern und sind irgendwann voller Fliegenmaden, wie Diandra Boczek, die Leiterin des Tierheims, sagt. Bundesweit gebe es mindestens zwei Millionen Straßenkatzen, fast alle seien krank und unterernährt, die meisten würden nicht alt, schätzt Lea Schmitz, die Sprecherin des Deutschen Tierschutzbundes.
Anfangs sei sie wegen der hohen Zahlen erschrocken, sagt Boczek. "Dann war da nur noch Wut." Eine Wut auf gedankenlose oder gleichgültige Katzenhalter, die ihre Tiere unkastriert nach draußen ließen. Denn die Straßenkatzen, das seien meist Nachkommen dieser Freigängerkatzen. Und für deren Wohlergehen "fühlt sich niemand verantwortlich". Täglich erhalte sie Anrufe von Menschen, die ihre Katzen vermissten – oft seien diese weder kastriert noch registriert und hätten keinen Mikrochip mit Kontaktdaten unter der Haut. Das mache sie fassungslos.
Denn so wächst das Heer der Straßenkatzen unaufhörlich. In Niedersachsen geht der Landestierschutzverband von mindestens 200.000 Katzen ohne menschliche Betreuung aus – Tendenz steigend. Auch in Bayern sind die Straßenkatzen ein Problem, vor allem auf dem Land. Etwa 300.000 könnten es dem bayerischen Tierschutzbund zufolge im größten deutschen Flächenland sein. Genaue Zahlen habe sie nicht, die Tiere seien scheu und mieden Menschen, sagte Präsidentin Ilona Wojahn. "Sie leben im Verborgenen, oft in Industriebrachen, in verlassenen Gebäuden, auf Friedhöfen, Schrebergärten und so weiter."
Streunende Katzen – nach Erfahrung von Katja Hofrichter kennen viele Menschen diese nur aus dem Ausland. Dass auch hier Katzen unter erbärmlichen Bedingungen auf der Straße lebten, sei vielen unbekannt. Seit drei Jahren arbeitet sie ehrenamtlich bei der Katzenhilfe im Nürnberger Land, sucht Pflegestellen für kranke Tiere, begleitet diese zum Tierarzt und nimmt selbst geschwächte Katzen bei sich auf. "Es ist eigentlich uferlos", sagt Hofrichter. Sobald sie eine Katze aufgepäppelt habe, komme die nächste. Ähnlich ist es im Nürnberger Tierheim, wo rund 120 Katzen auf ein neues Zuhause warten.
Tierheime und Tierschutzvereine kommen nach Einschätzung des Präsidenten des Deutschen Tierschutzbundes, Thomas Schröder, bei Kastration und Versorgung der Tiere an ihre Grenzen. "In diesem Jahr sind wir alle abgesoffen", sagt die Vorsitzende der Katzenhilfe Hannover, Frauke Ruhmann. Ein Grund: die Corona-Pandemie und der zweite Lockdown, als sich viele Menschen ein Haustier anschafften, darunter auch Katzen. Viele dieser Tiere seien dann bald auf der Straße gelandet, oft nicht kastriert. Ein Grund dafür: Viele Katzenbesitzer scheuen die gestiegenen Tierarztkosten.
Die Lage sei lange bekannt, aber niemand fühle sich verantwortlich, kritisiert Boczek. Das Ergebnis: Fälle wie in Burgdorf, wo das Tierheim an einem Hotspot rund 30 Katzen in schlechtem Zustand einfangen muss, darunter Flitzi und Stöpsel. Zehn Katzen hätten die Helfer bisher erwischt, nicht alle hätten überlebt: "Es ist eine Katastrophe." Das Tierheim sei viele Jahre ihr Traumjob gewesen, sagt die 30-Jährige – "jetzt verfolgt mich mein Job im Traum".
Und doch ist etwas in Bewegung geraten: Eine Initiative der Regierungsfraktionen von SPD und Grünen im niedersächsischen Landtag will das Wirrwarr der kommunalen Regelungen mit einer landesweiten Katzenschutzverordnung vereinheitlichen. Damit sollen künftig alle Katzen, die sich draußen aufhalten, gekennzeichnet, registriert und kastriert werden. Aber: "Jetzt stockt es wieder", kritisiert Ruhmann. Ohnehin gebe es bundesweit einen Flickenteppich von Verordnungen – 89 Prozent der Städte und Kreise hätten keine Regelung.
In Bayern gibt es nach Angaben von Wojahn erst in sechs Kommunen Katzenschutzverordnungen, die unter anderem eine Kastrationspflicht vorsehen. Deshalb fordert der bayerische Tierschutzbund eine landesweite Regelung.
Doch noch etwas macht den Tierschützern zu schaffen: Wo Straßenkatzen auf engem Raum zusammenleben, droht Inzucht – wiederhole sich das über mehrere Generationen, dann "haben wir chancenlose kleine Mäuse wie Mikkel", sagt Ruhmann. Mikkel ist ein kleiner Kater, neun bis zehn Wochen alt, unterernährt, taub, große Augen und schneeweißes Fell – und er hat Schmerzen. In der Tierklinik stellt sich heraus: Sein Dickdarm arbeitet nicht, er leidet an Gendefekten – vermutlich die Folge von Inzucht. "Ihm war nicht zu helfen", sagt Ruhmann. Aus der Narkose lassen ihn die Tierschützer aus Mitleid nicht mehr aufwachen.
Es gibt aber auch Erfolgsgeschichten: Viele Jungtiere ließen sich vermitteln, sagt Boczek. Und dann ist da eine schwarz-weiße Katze, eine einstige Straßenkatze, die vermittelt, aber dann vernachlässigt worden ist. Schließlich findet sie den Rückweg zum Tierheim, fordert lautstark ihr Futter – "und geht nicht mehr weg". Ein schlaues Tier.
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