Gesetz
Das Dilemma der Triage: Wen Mediziner künftig retten sollen
Der Bundestag verabschiedet am Donnerstag ein Gesetz zur Triage, das im Notfall über Leben und Tod entscheidet. Die Überlebenschance soll über eine Behandlung bestimmen – daran gibt es Kritik.
Mi, 9. Nov 2022, 20:24 Uhr
Deutschland
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Zwar war in Deutschlands Kliniken auch in den schlimmsten Corona-Wochen nie eine Triage nötig. Im Dezember 2021 hat das Bundesverfassungsgericht jedoch entschieden, dass Berlin Regeln schaffen muss, die verhindern sollen, dass Menschen mit einer Behinderung benachteiligt werden, falls lebensrettende Intensivkapazitäten knapp sind. Diesen Auftrag setzt die Ampel nun mit einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes um.
Ist sie gelungen? Diese Frage ist heikel. Denn in Fragen von Leben und Tod gibt es nie Lösungen, die ethisch unumstritten wären. Das war so, als der Bundestag mit Regeln zur Organspende, zur Sterbehilfe oder zur Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs befasst war – und das ist jetzt bei der Triage ebenso der Fall.
Die Ampel schreibt vor, dass bei einer Triage niemand benachteiligt werden darf, "insbesondere nicht wegen einer Behinderung, des Grades der Gebrechlichkeit, des Alters, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung." Wenn Ärzte entscheiden müssen, wem sie intensivmedizinisch helfen, darf es laut Ampel deshalb nur um die "aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit" gehen.
Das heißt: Gibt es mehr Patienten als freie Betten, bekommt der oder die Kranke das nächste freiwerdende Bett, bei dem die beste Aussicht besteht, dass er oder sie aufgrund der intensivmedizinischen Therapie überlebt.
Für dieses Kriterium, das ausdrücklich auf die Entscheidung der Karlsruher Richter zurückgeht, findet die Ampel viel Rückhalt. Warum auch nicht? Es ist in den Augen vieler klug gewählt, weil es allein auf die Überlebenschance abstellt und gerade nicht darauf, ob jemand alt oder jung, vorerkrankt oder gesund ist oder ob jemand eine Behinderung hat oder nicht.
Allerdings halten SPD, Grüne und FDP das Kriterium nicht durchgängig aufrecht. Hat eine Behandlung begonnen, darf sie, so die Festlegung von SPD, Grünen und FDP, keinesfalls beendet werden – auch wenn ein anderer Kranker auf ein Intensivbett wartet, der nach Einschätzung der Ärzte bessere Überlebenschancen hat. Diese sogenannte Ex-Post-Triage verbietet die Ampel. Sie sei "ethisch nicht vertretbar", meint Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).
Das sieht der Düsseldorfer Strafrechtler Helmut Frister, der Mitglied im Deutschen Ethikrat ist, ganz anders. Das Verbot führe dazu, dass neue Patienten nur noch wenig Chancen hätten, eine überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlung zu erhalten: "Selbst Personen, die durch eine solche Behandlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet werden könnten, müssten unter Umständen sterben, weil die intensivmedizinische Behandlung bereits aufgenommener Patientinnen und Patienten ungeachtet nur noch sehr geringer Erfolgsaussichten (…) fortzuführen wäre (...)." Frister betont, dass der Ampel-Vorschlag denen schaden könne, die er eigentlich schützen wolle. Denn unter den neuen Patienten, die womöglich abgewiesen werden müssten, könnten auch Menschen mit Behinderung sein.
Leistet die Ampel also Menschen mit Behinderung einen Bärendienst? Ja, meinen die Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Alle lebensbedrohlich Erkrankten müssten im Falle der Überlastung der Intensivstationen gleichermaßen berücksichtigt werden – ganz gleich, ob sie schon behandelt würden oder nicht. Die aktuelle Überlebenswahrscheinlichkeit lasse sich oft erst einschätzen, wenn Ärzte die Intensivbehandlung einleiteten. Dazu komme es bei einem Verbot der Ex-Post-Triage aber nicht. Die Folge: "Der Ausschluss der Ex-Post-Triage verschlechtert die Behandlungschancen derjenigen Patienten, die aufgrund von Beeinträchtigungen oder Vorerkrankung ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf von Infektionskrankheiten haben", so die Fachgesellschaften.
Diesem Einwand folgt die Ampel nicht. Eine Behandlung abzubrechen, findet sie ethisch fragwürdiger, als wenn die Therapie gar nicht erst anfängt. Dabei fällt jedoch auf, dass sie sich just gegen die stellt, die in der schrecklichen Extremsituation einer Triage konkret handeln müssten. So lehnen nicht nur die Fachgesellschaften, sondern auch die Bundesärztekammer das Verbot der Ex-Post-Triage ab. "Das widerspricht der ärztlichen Ethik", sagt Johannes Grundmann, der Präsident der Ärztekammer Bremen: "Die Entscheidung über die Zuteilung überlebenswichtiger intensivmedizinischer Ressourcen können nur Ärztinnen und Ärzte in jedem Einzelfall sorgfältig aufgrund medizinischer Kriterien treffen."
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