Das Album steht, fehlt nur noch die Band
Seit No Angels ist das Publikum bei der Entstehung von Retorten-Musikgruppen mit dabei - aber die Musik ist manchmal schon fast komplett vorproduziert.
Huda Klotz (22 Jahre) und Silvia Fiebig (18 Jahre)
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Überflutung ohne Ende: unzählige Popbands, Boygroups und Girlgroups, werden auf den Markt geworfen - und weil wir augenscheinlich gar nicht genug davon bekommen können, müssen noch mehr her. Das Casting veranstaltet diesmal die Plattenfirma Sony Music. Und auch im Freiburger Cinemaxx durften zig Mädchen und Jungs ihr Können unter Beweis stellen.
Was auf die zukommt, die es am Ende tatsächlich geschafft haben, ist heftig: Verzicht auf's Privatleben, stattdessen Gesangstraining und Einstudieren von Choreographien. Auch Kameratraining und Tanztraining werden nicht fehlen. Die Band wird endlos viele Auftritte haben und auch ins Studio gehen. Weil dazu aber kaum Zeit bleiben wird, ist das Album zum großen Teil schon vorproduziert. Was auch heißt, dass die Gruppe kein Mitspracherecht hat.
"Aber ich denke mal, beim zweiten Album wird sich das auf jeden Fall ergeben," meint Matthias Wagner. Er wirkt unglaublich optimistisch. Aber wird es überhaupt ein zweites Album geben? Nicht selten sieht man Bands so schnell gehen, wie sie gekommen sind. Klar, diese Art Castings ist momentan ziemlich angesagt, seit wir diesen Trend - perfekt vorgeführt in Australien, England und Amerika - auch in Deutschland kopieren. Aber gerade für die daraus entstehenden zusammengewürfelten Bands ist es schwierig, sich lange auf dem Markt zu behaupten.
Schließlich lernt sich die Gruppe erst kennen, wenn sie schon zusammen ist. Dieser Auffassung ist auch Fernsehredakteur Heiko Grauel, der für die B.TV-Sendung "Bernie & Co." eine Reportage über das Casting dreht. "Aber wenn da ordentlich Geld dahinter steckt, ordentliche Produzenten, eine ordentliche Plattenfirma, wenn das ordentlich durchgeplant ist, und die Mädels dann tatsächlich auch noch was drauf haben", meint Heiko Grauel, "dann kann das schon funktionieren." Bei solchen Acts, so seine Erfahrung, werden kaum Stars vom Kaliber der Stones oder der Beatles entdeckt: "Gut, die mögen mal in irgendwelchen Schulbands oder Chören gesungen haben, aber hier werden die natürlich mehr oder weniger dazu verdonnert, jetzt die große Karriere machen zu müssen." Klar, dass die das auch wollen, aber die Frage ist bei zusammen gecasteten jungen Leuten, ob sie sich dann auch auf Dauer vertragen. Heiko Grauel kennt das schon: "Bei Destiny's Child, zum Beispiel, da gab's ständig Zoff. Das ist es halt, wenn man nicht von klein auf sagt, ich mach 'ne Band und man schafft es dann tatsächlich, nur dann kennt man sich einfach." Kein Wunder, dass daran die Retorten-Bands immer wieder auseinander brechen. Und dennoch haben die Retorten-Bands einen Startvorteil: Es ist erkennbar leichter, heutzutage in die Charts zu kommen. Zum Beispiel: Zlatko & Co. Keine Stimme, keine Musikalität, aber kaum aus dem Container raus, schon in den Charts. Zwar nicht lange, aber immerhin. Heiko Grauel findet den Aufstieg in die Charts zu leicht.
Für ihn hat das auch mit dem Publikum zu tun: "Man muss es leider sagen: der Anspruch der Konsumenten ist fast ins Bodenlose geschrumpft." Natürlich gönnt der Fernsehmann jedem seinen Erfolg, egal ob Zlatko oder No Angels: "Wenn die Leute das haben wollen, sollen sie es kaufen. Und jeder soll sein Geld damit verdienen, das würden alle so machen." Und doch wird es den Bands vielleicht ein bisschen zu leicht gemacht. Bei der Masse, die im Angebot ist, wird vermutlich unkritischer konsumiert, weil jeder denkt, er könnte einen Trend verpassen. Und dann wird natürlich auch ordentlich von den Medien gepusht. Zum Beispiel mit wochenlangen Fernsehserien, in denen gezeigt wird, wie die Band zusammen kommt, wie sie probt und auftritt und so weiter.
"Es nützt nichts, wenn du toll singen kannst, aber scheiße aussiehst." Heiko Grauel, Moderator
Wer sich mit dieser Perspektive bewirbt, braucht einiges Selbstbewusstsein. "Es gibt natürlich Leute, wo man denkt, warum sind die überhaupt gekommen. Und man braucht schon Mut, um aufzutreten und sich selbst zu beweisen, dass man vor Publikum singen kann, selbst wenn man den Ton nicht trifft oder den Text vergisst."
Für viele gilt einfach: dabei sein ist alles. Trotzdem hat Casting-Beobachter Grauel einige ausgemacht, die Chancen haben: "Meines Erachtens waren einige dabei, die das richtig geil hingekriegt haben, die man sicherlich auf die Bühne stellen kann." Dazu gehört auch das Optische: "Es nützt natürlich nichts, wenn du toll singen kannst und scheiße aussiehst, jetzt mal grob gesagt." Schließlich müssen die neu gecasteten Band-Mitglieder immer was hermachen - vom Platten-Cover bis zum Fernsehauftritt.
Da es nicht nur ums Singen geht, fliegt gleich schon raus, wer den Ansprüchen an das Äußere nicht gewachsen ist. Das heißt, wer nicht bauchfrei rumrennen kann, hat kaum eine Chance. Ob ihre Maße dafür reichen? Da sind zumindest einige Casting-Teilnehmer selbst skeptisch. In den Anmeldeformularen wird immerhin gleich nach Größe und Gewicht gefragt. Aber für eine Karriere als Retorten-Star würden trotzdem nicht alle alles tun. Wie zum Beispiel die 19-jährige Jessica, deren Vorbild Whitney Houston ist. Die Ausbildung zur Erzieherin würde sie für den erhofften Erfolg höchstens unterbrechen.
Jessica lobt beim Casting das Gefühl der Gemeinsamkeit: "Jeder ist nervös und denkt, dass er es nicht schafft." Die No Angels findet Jessica übrigens "irgendwie peinlich". Aber sie findet es gut, wenn man sich seinen Traum verwirklichen kann: "Leider ist es doch so, dass man im Endeffekt so hingebogen wird, wie die Leute es haben wollen. Bei mir kommt völlige Aufgabe nicht in Frage." Schönheitsoperationen oder sich 20 Kilo abhungern, das wäre ihr das Ganze dann doch nicht wert.
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