Cricket, Kirche, Commonwealth
Der weiße Sport der Gentlemen wurde - ungewollt - auch in die britischen Kolonien exportiert - mit fast beschämendem Erfolg.
Rouven Sperling
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen
Es ist Samstag. Die Sonne hat den Nebel über dem großen Rasenplatz endgültig vertrieben. 22 Spieler im weißen Sportdress wärmen sich auf. Ein Lederball fliegt durch die Luft. Scheinbar der Beginn einer ganz normalen Fussballbegegnung. Doch der erste Eindruck trügt. Man befindet sich auf dem Londoner "Lord's Cricket Ground" nahe dem Regent's Park. Der berühmtesten Spielstätte einer merkwürdigen Sportart. Und ein guter Ort um eines der letzten Mysterien des britischen Sports zu ergründen.
Ziel des Spieles ist - wenigstens dies ist nachvollziehbar - Punkte zu erzielen. Die eine Mannschaft schlägt den Ball und rennt zwischen den Toren hin und her, um Punkte zu sammeln, die andere, die Feldpartei, versucht den Ball schnell zu stoppen, um das Laufen und Punktesammeln der Schlagpartei zu beenden. Dabei wird der Ball auf eines der Tore, die so genannten "Wickets" zurückgeworfen. Die genaue Art der Punktezählung füllt immense Regelwerke von beeindruckender Detailbesessenheit. Denn nicht nur spielrelevante Regeln sind hier ausgeführt. Nein, auch Moral und Sitte werden penibel geregelt.
Kein Wunder also, dass Sir Robert Ensor noch 1936 die "Organized Games" als den wichtigsten Beitrag Englands zur Weltkultur sieht. In Sportdingen ist Understatement also keine englische Primärtugend. Entsprechend dieser Überzeugung, wurde Cricket auch in die Kolonien des aufstrebenden Commonwealth exportiert. "Zuerst der Jäger, der Missionar und der Kaufmann, dann der Soldat und Politiker und dann der Cricketspieler - so verläuft die Geschichte britischer Kolonisierung", formulierte im letzten Jahrhundert Cecil Headlam, Mitglied der Cricketmannschaft "Oxford Authentics".
"Flegelhafte Ausdrücke sollte man unterlassen: die sind einfach not cricket."
Doch wer spielt gern, was seine Herren ihm aufdrängen? Die kulturelle Revolution begann schleichend und ausgerechnet auf dem durchreglementierten Spielfeld. Die Kolonien wagten die spielerische Auseinandersetzung mit den Urvätern des Sports. Plötzlich sahen sich die als unschlagbar geltenden englischen Players spielstarken Teams aus aller Welt gegenüber. Die Weigerung gegen Andersfarbige zu spielen half nicht lange - schließlich kennt das Spiel laut Agenda "keine Klassen und Parteien, sondern nur Gentlemen".
Es folgten reihenweise schmachvolle Niederlagen. So musste man sich bereits 1868 Cricket spielenden Aborigines geschlagen gegeben. Später erklärte man das Ergebnis allerdings als "nicht bedeutend, da nicht offiziell". Das wohl berühmteste Spiel der Cricketgeschichte wurde im Jahre 1882 im Londoner "Oval" ausgetragen. An diesem Tag geschah das Unfassbare: England verlor zu Hause gegen Australien. Am nächsten Tag erschien in der "Sporting Times" ein Nachruf auf das englische Cricket, in dem verkündet wurde, dass man seine Asche nach Australien überführen werde. Im darauf folgenden Winter konnte England sich für diese Schmach revanchieren und ihr Kapitän bekam daraufhin eine kleine Urne mit den Überresten eines verbrannten Balles überreicht. Seit dem wird zwischen den beiden Ländern um die so genannten "Ashes" gespielt.
Nichtsdestotrotz ist das tiefere Verständnis des Spiels für den Durchschnittseuropäer nur schwer nachzuvollziehen.
So bleibt abschließend lediglich das unbefriedigende Fazit, dass man über Sinn und Unsinn von Cricket verschiedener Meinung sein kann - jedoch sollte es tunlichst unterlassen werden, das Urteil mit flegelhaften Ausdrücken zu belegen. Das wäre "not cricket".
Kommentare
Liebe Leserinnen und Leser,
leider können Artikel, die älter als sechs Monate sind, nicht mehr kommentiert werden.
Die Kommentarfunktion dieses Artikels ist geschlossen.
Viele Grüße von Ihrer BZ