Lebensmittel

Bio boomt – aber die Nachfrage überfordert die Branche

Eine Branche im Dilemma: 8,62 Milliarden Euro – 11 Prozent mehr als im Jahr zuvor – haben die Deutschen 2015 für Biolebensmittel ausgegeben. Nur: Vertragen sich Wachstum und Öko-Anspruch?  

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Biolebensmittel in Hülle und Fülle &#8... wird längst nicht immer eingehalten.   | Foto: dpa
Biolebensmittel in Hülle und Fülle – doch die reine Ökolehre wird längst nicht immer eingehalten. Foto: dpa
Selbst Discounter weiten derzeit ihre Ökoregale aus. Sie bieten längst mehr an als Möhren, Tomaten oder Eier in Bioqualität. Zugleich ist die Produktpalette der Biosupermärkte kaum noch von der konventioneller Händler zu unterscheiden: Tiefkühlpizza und Backmischungen, Energiedrinks und Chips, sowie Naschzeug, das mehr ist als Haferkekse oder Reiswaffeln mit Schokoüberzug.

Andreas Winkler von Foodwatch sagt: "Die Ökohersteller arbeiten auch mit alten Maschen." Sie überzuckerten zum Beispiel Frühstücksflocken, sodass diese nicht gesünder seien als das Pendant aus dem herkömmlichen Supermarkt. Die Branche, die einst mit einem "Bio für alle"-Ziel angetreten ist, gerät immer wieder in Erklärungsnot, wie konventionell es zugeht.

Antibiotika und tote Ferkel

So fiel vor kurzem Öko-Olivenöl bei der Stiftung Warentest durch. Dann geriet der bayerische Bio-Musterbetrieb, die Herrmannsdorfer Landwerkstätten, in die Kritik: Muttersauen standen in engen Kastenständen, in denen sie sich nicht frei bewegen konnten. Auffällig viele Ferkel starben. Tiere wurden mit Antibiotika behandelt. Das Entsetzen war groß, als dies in der ARD gezeigt wurde. Die Landwerkstätten hat Karl Ludwig Schweisfurth gegründet, einer, der sich bekehren ließ und damit auch offensiv warb: Ihm gehörte Herta, Europas größte Fleisch- und Wurstwarenfabrik im nordrhein-westfälischen Herten, bevor er Ökobauer wurde. Heute führt Sohn Karl den Biobetrieb.

Dieser erklärte, dass in den ersten sechs Monaten 2015 viele Ferkel gestorben seien. Die Sauen hätten mehr Tiere geworfen als üblich, sodass die Jungen schwach gewesen seien. Müttertiere würden heute "nicht mehr in Kastenständen fixiert" werden. Zum Antibiotikaeinsatz steht er: Diese würden dann eingesetzt, wenn alternative Mittel nicht helfen – "nach Rücksprache mit dem Tierarzt" und "im Sinne des Tierwohls".

Darf die Öko-Branche einstige Prinzipien aufgeben?

Der Fall habe tatsächlich wenig mit dem Wachstum der Branche zu tun, sagt Achim Spiller, Professor für Agrarökonomie an der Universität Göttingen. Auch nicht mit Betrug. Er macht ein grundsätzliches Problem der Ökofleischproduzenten aus: "Tiere auf dem Biohof müssen robuster sein als andere." Doch bisher werde dazu wenig geforscht, extra Rassen gebe es kaum.

"Je lukrativer das Biogeschäft, desto verführerischer wird es, den Bioaufschlag einzustecken, ohne Tiere und Umwelt zu schonen." Achim Spiller
Die Branche steht vor einem Dilemma. Darf sie einstige Prinzipien zumindest zeitweise aufgeben? Die reine Ökolehre – Tiere und Umwelt schonen, in der Region wirtschaften, Jobs schaffen – ist längst passé. Ein Grund: Die Bauern halten hierzulande nicht Schritt mit der Nachfrage. Biomilch wird aus Dänemark, Biokäse aus Österreich herangekarrt. Eier werden aus den Niederlanden, Äpfel aus Neuseeland, Sonnenblumenkerne aus Indien importiert. Wie sehr der Transport die Umwelt belastet, spielt keine Rolle.

Professor Ulrich Hamm, er leitet das Fachgebiet Agrar- und Lebensmittelmarketing an der Universität Kassel, sagt: "Wir könnten mehr Bio verkaufen, wenn wir mehr Bio hätten." Doch die Umstellung eines Hofes ist nicht so einfach. Von heute auf morgen geht das nicht.

20 Prozent der Verbraucher sind bereit mehr zu zahlen

Die Bauern müssen in den Umbau ihrer Ställe investieren. Sie dürfen den Acker, auf dem sie das Futter anbauen, nicht mehr künstlich düngen. Dann müssen sie erst mal eine Zeit lang nach den Biovorgaben produzieren, bevor sie ihre Produkte als Bio vermarkten dürften. So werden derzeit gerade mal 6,4 Prozent aller Äcker in Deutschland ökologisch bewirtschaftet, obwohl die Bundesregierung sich schon vor Jahren vorgenommen hat, bis 2020 den Anteil der Ökoäcker auf 20 Prozent zu bringen. So machen derzeit andere das Geschäft. Immerhin seien bis zu 20 Prozent der Verbraucher hierzulande bereit, einen Bioaufschlag zu zahlen, sagt Agrarökonom Spiller, der auch die Bundesregierung berät. Der Preis könne im Vergleich zu Billigprodukten schon das Dreifache ausmachen. Er glaubt, dass sich der Markt weiter entwickeln wird: Bio-de-luxe-Läden entstehen mit Ökodelikatessen und Kinderecke. Bio gäbe es dann in Klasse und Masse.

Die Mindeststandards setzt die Europäische Union mit dem EU-Bio-Logo, einem stilisierten Blatt mit zwölf weißen Sternen auf grünem Grund. Dem könnten Verbraucher vertrauen. Aber Spiller warnt: "Je lukrativer das Biogeschäft, desto verführerischer wird es, den Bioaufschlag einzustecken, ohne Tiere und Umwelt zu schonen." Das Öko-Prüfsystem sei zwar strikter als das konventionelle, müsse aber noch besser werden. Damit die Biobranche nicht am eigenen Erfolg scheitert.

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