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Neu im Kino

Berührende Komödie: "Die Blumen von gestern"

Heidi Ossenberg
  • Fr, 13. Januar 2017, 00:01 Uhr
    Kino

     

Oha, das kann ja heiter werden: "Susi" nennt Toto Blumen die französische Praktikantin, die er nur unter Protest vom Stuttgarter Flughafen abgeholt hat, weil er sie als Kollegin gar nicht haben will.

Zazie (Adèle Haenel) und Toto (Lars Eidinger), die Holocaust-Forscher   | Foto: Piffl Medien
Zazie (Adèle Haenel) und Toto (Lars Eidinger), die Holocaust-Forscher Foto: Piffl Medien
"Zazie", zischt die blonde Geschichtsstudentin den um einige Jahre älteren Holocaust-Forscher an – und lässt in ihrem so harmlos klingenden französischen Akzent eine Drohung los: "Meine zweite Name ischt Terror!" Ganz klar: Hier mögen sich zwei Menschen auf den ersten Blick nicht, hier geraten zwei Temperamente aneinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Das freilich ist die Absicht von Regisseur und Buchautor Chris Kraus, der "Die Blumen von gestern" schon vor dem Bundesstart in Freiburg vorgestellt hatte. Kraus spielt sehr gerne mit Spannung erzeugenden Gegensätzen in diesem Film; ja, diese Gegensätze erwecken ihn erst zum Leben.

Die Idee zum Film entstand, weil Kraus lange Zeit in Archiven die Verstrickungen seines Großvaters in dessen SS-Vergangenheit recherchierte. Die Akten und Bücher studierten neben ihm nicht nur die Enkel der Täter, sondern auch die Enkel der Opfer. Kraus fragte: Wie können sich diese beiden begegnen? Können sie einander verstehen, können sie sich vielleicht sogar ineinander verlieben?

Ja, "Die Blumen von gestern" ist auch ein Liebesfilm. Das ist nicht unbedingt ein Gegensatz zur Komödie, nicht einmal zur Tragödie. Von allem hat der Film etwas. Doch zurück zu Toto und Zazie, zurück zur Geschichte. Toto Blumen arbeitet in der "Zentralen Stelle Ludwigsburg", einem Archiv mit Täterakten aus der Nazidiktatur. Seit vielen Monaten bereitet er einen Holocaust-Kongress vor, mit Akribie und unglaublicher Verbissenheit. Leider geht vieles schief – das ist dem plötzlichen Tod des jüdischen Mentors zuzuschreiben, aber auch Totos Aggressivität, die daraus resultiert, dass Toto die eigene NS-belastete Familiengeschichte mit Gewalt reinwaschen will durch seine aufklärerische Tätigkeit. Zazie kommt von der entgegengesetzten Seite: Die Großmutter der jungen jüdischen Frau wurde von den Nazis ermordet – auch Zazie wendet sich der Historie aus sehr persönlichen Gründen zu.

Beide Protagonisten aus Chris Kraus’ Film sind neurotisch und zutiefst verletzt – und die Spiegelung des Gegenübers bringt diese Gestörtheit erst recht an die Oberfläche. Lars Eidinger und Adèle Haenel gelingen ganz außerordentliche Charakterstudien von Toto und Zazie. Sie spielen die magnetengleichen Abstoßungen und Anziehungen mit rührender und berührender Verve und Hingabe. Chris Kraus’ spannende Frage, wie es den Enkeln der Kriegsgeneration – seien es Angehörige von Tätern oder Opfern – heute geht, sind in Eidingers und Haenels Spiel bestens aufgehoben.

Wo "Die Blumen von gestern" weniger Liebesfilm und mehr Komödie ist, da herrschen ein halsbrecherisches Tempo, ironische Brechungen, skurrile Komik, irrwitzige Dialoge – und viele Sexszenen. Das irritiert zwischendurch durchaus, wird aber immer wieder abgefangen und abgebremst. Auch durch die klasse besetzten Nebenrollen – wie Jan Josef Liefers als Eidingers Chef Balthasar Thomas, Hannah Herzsprung als Eidingers Ehefrau und Sigrid Marquardt als Holocaust-Zeitzeugin Frau Rubinstein.

"Die Blumen von gestern" ist ein Holocaust-Bewältigungsfilm, wie es bislang noch wenige gab. Chris Kraus nimmt seine Figuren, die unter der Geschichte, die sie nicht zu verantworten hatten, furchtbar leiden, und lässt sie über das ritualisierte und wiederkäuende Erinnern hinaus miteinander in Kontakt treten. Nur der Mensch berührt den Menschen, heißt das.

"Die Blumen von gestern" (Regie: Chris Kraus) läuft in Freiburg. Ab 12.

Ressort: Kino

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