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Auschwitz-Überlebender Paul Sobol: Einer der Letzten, die erzählen können
Mit achtzehn Jahren wurde der Belgier Paul Sobol nach Auschwitz deportiert. Sein Besuch bei der Israelitischen Gemeinde in Freiburg war sein erster Vortrag in Deutschland.
Di, 4. Feb 2020, 15:22 Uhr
Altstadt
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Manchmal spricht Paul Sobol Deutsch. Doch es sind immer nur ein paar einzelne Worte mitten in seinen französischen Sätzen – denn er wurde 1926 in Paris geboren und kam als Achtjähriger nach Brüssel, wo er immer noch lebt. "Schnell, schnell", sagt er zum Beispiel: Damit haben die SS-Männer ihn, seine Eltern, die zwei Jahre jüngere Schwester und den fünf Jahre jüngeren Bruder angetrieben, als sie im Sommer 1944 in Auschwitz ankamen. Davor hatte sein Vater, der Pelze bearbeitete und ursprünglich aus Warschau stammte, im von den Deutschen besetzten Brüssel zwei Zimmer als Versteck für die fünfköpfige Familie gefunden. Vier Jahre lang war alles gut gegangen. Paul Sobol hatte sogar einen gefälschten Pass, mit dem er der Enge der zwei Zimmer entfliehen konnte. Er freundete sich mit katholischen Jugendlichen an, die nichts über seine wahre Identität wussten. Auch ein Mädchen war dabei, Nellie – "wir waren ein Paar, aber ganz harmlos", sagt er. Nellie taucht immer wieder auf, wenn er erzählt. Kurz nachdem die Gestapo – wahrscheinlich nach einer Denunziation – zu den Sobols kam und kurz bevor sie am 31. Juli 1944 in den Zug nach Auschwitz steigen mussten, bekam er von Nellie ein Päckchen zu seinem 18. Geburtstag: mit Kuchen, Obst und einem Foto. Dieses Foto begleitete ihn in Auschwitz.
Welche Bedeutung es für ihn hatte, zeigt sich, als er betont, dass ihm seine Auschwitz-Nummer zum Glück am linken Arm eintätowiert wurde, und nicht rechts: "Denn in meiner rechten Hand hielt ich das Foto von Nellie, ganz klein zusammengefaltet." Es war das Einzige, das ihm geblieben war von seinem Leben. Das Foto war eine Erinnerung, die ihm Kraft gab in einem Alltag, in dem alle von deutschen SS-Männern so lange geschlagen und immer wieder neu gedemütigt wurden, bis sie begriffen hatten, als was sie galten: "Als Untermenschen", als "Ersatzstücke" – auch da spricht Paul Sobol wieder Deutsch. Seine Mutter hatte er in dieser langen Kette der Erniedrigungen längst verloren, sie wurde gleich bei der Ankunft in Auschwitz in den Gasöfen ermordet.
Er half einem Schreiner, Möbel zu dekorieren, und bekam dafür ein kleines bisschen mehr Essen als die anderen, das er mit seinem Vater teilte. Doch auch der Vater und der Bruder überstanden diese Zeit nicht. Nach der Befreiung war Paul Sobol noch keine 19 Jahre alt – und völlig allein. Er hat ein Buch über seine Geschichte geschrieben, bisher ist es allerdings nur auf Französisch erschienen.
Mit dabei ist Christoph Heubner, Schriftsteller und Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees in Berlin. Eigentlich wollte er aus seinem eigenen neuen Buch lesen, doch nach Paul Sobols Vortrag verzichtet er darauf: "Das war so beeindruckend – dem ist nichts hinzuzufügen." Und dann fragt er: "Was geschieht, wenn wir bald keine Zeitzeugen mehr haben? Wir wissen alle nicht, ob wir da bestehen werden. Das sind die Herausforderungen dieser Tage."
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