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Auf der Retro-Welle gen Osten

  • Do, 31. Juli 2003
    Zisch

     

Was von "Good Bye, Lenin" übrig blieb: Im Requisitenfundus in Berlin-Adlershof gibt's Alltagsgegenstände aus der DDR.

Der Film "Good Bye, Lenin" hat eine Ost-Retro-Welle ausgelöst. Das bedeutet viel Arbeit für Rainer Henkel, der in Berlin in einem Fundus mit Kostümen und Requisiten aus DDR-Zeiten beschäftigt ist. Zu seinen Kunden zählen Leute von Film und Fernsehen und solche, die im Schlafzimmer aus dem Kassenschlager eine Party feiern wollen.

Rainer Henkel ist ein gefragter Mann. Das Telefon klingelt ohne Unterlass, während Menschen in den schummrig beleuchteten Großkeller strömen. "Welche Bank woll'n Se überfallen?", fragt Henkel in den Telefonhörer und lacht. "Ick steh' dann daneben und halt die Hände uff." Ein Kunde habe sich eine Waffe für eine Filmproduktion ausleihen wollen, erklärt er später bei Kaffee aus der Thermoskanne.

Der Keller befindet sich in Berlin-Adlershof. Zu DDR-Zeiten war hier das Zentrum von Fernsehen und Radio. Nach Jahren des Stillstandes kommen nun wieder die Großen des Mediengeschäfts an den östlichen Stadtrand. Der 59-jährige Henkel ist länger da als alle anderen, mittlerweile seit 37 Jahren. Er ist Chef des Kostüm- und Requisitenfundus, dessen Spezialität Alltagsgegenstände aus der DDR sind. In riesigen Regalen finden sich bis an die Decke gestapelt so ziemlich alle, Gegenstände, die den sozialistischen Staat bestückten: Eierbecher, Sofas, Bücher, ausgestopfte Tiere sogar Zahnbürsten und Spielzeugautos. In Regalreihe vier riecht es muffig: Fische, die einmal in Schulen als Anschauungsobjekte gedient haben, stehen neben Skeletten und Zahnabdrücken von Kindern. Eine Reihe daneben gibt's unglaublich viele Wäscheschüsseln: gelbe, rote, grüne, große, kleine, riesige.

"Zu unseren Kunden gehören Filmausstatter aber auch Privatleute", sagt Rainer Henkel, während er für eine Hochzeitsgesellschaft nach Kleidern aus den Goldenen Zwanzigern sucht. Einer im Trubel ist Wolfgang Becker. Der Regisseur des Kinofilms "Good Bye, Lenin" dirigiert mit ruhigen Worten seinen Kameramann umher. Becker dreht einen Making-Off-Film für die im Herbst erscheinende DVD zu dem Kassenschlager, der hauptsächlich in einer 77 Quadratmeter großen Wohnung in der DDR spielte.

Diese 77 Quadratmeter sind tatsächlich nur ein Viertel so groß. Die Kulissen stehen momentan in einem Kellerraum des Fundus. "Ausgestattet mit unseren Requisiten", sagt Henkel stolz. Er berichtet von der "Ost-Retro-Welle", die der Film ausgelöst habe. "Das Schlafzimmer vermieten wird für Partys." Eine Berliner Boulevardzeitung habe sogar eine Nacht darin verlost.

Eigentlich hat Henkel für solche Plaudereien keine Zeit. RTL will die Eiskunstläuferin Katharina Witt mit einem alten DDR-Sportdress auftreten lassen. Zusammen mit dem Praktikanten des Senders sucht Henkel nach historisch-korrekten Jacken, die auf nicht enden wollenden Kleiderstangen hängen. Der Verbandskasten an der Wand wirkt unecht. Requisite oder gesetzliche Auflage? Die Kaffeemaschine und selbst das Telefon sehen zwischen Briefkästen und Computern wie zur Ausleihe bestimmt aus. "Ausleihen tun wir nischt, wir vermieten dit. Leihen is für umsonst, mieten kostet", klärt Henkel eine Dame auf, die einen Hocker für ein Theaterstück sucht.

Zu Rainer Henkel kommen auch Menschen mit weniger harmlosen Absichten. "'In zwei Stunden muss ich zu einer Gegenüberstellung bei der Polizei. Ich brauche eine Perücke und einen Bart.' Dit hat mal ener zu mir jesagt." Während das "Good bye, Lenin"-Filmteam SED-Wimpel, blaue FDJ-Hemden und Porträts von Erich Honecker filmt, gibt der Fundus-Mitarbeiter noch einen Tipp für die Ordnung im Alltag: "Wenn du nich' allet wieder dahin stellst, wo es hin jehört, findeste dit nie wieder." Das glaubt man ihm gerne.

Ressort: Zisch

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