Anstöße aus einer "anderen" Welt
Ein Workcamp in Senegals Hauptstadt Dakar gibt den 20 Teilnehmern völlig neue Einblicke - speziell den Deutschen.
JuZ-Mitarbeiterin Margarete Jacob
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Wenn man den Tee oft genug von einem Glas ins andere gießt, dann wird er zu senegalesischem Bier, sagt Omar. Er greift sich zwei kleine Gläser und beginnt, den Tee von einem ins andere und zurück zu schütten. Irgendwann bildet sich eine Schaumkrone in jedem Glas. Dann erst darf ich den Tee probieren, der vielmehr Zucker mit Tee ist. Die einzige Eigenschaft, die das Gesöff als Bier qualifizieren könnte, ist die Schaumkrone.
Den deutschen Anteil der deutsch-senegalesischen Gruppe, die - wie ich - während dieser Zeit an diesem Workcamp der Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste (IJGD) teilnehmen, habe ich bereits einige Monate vor der Reise auf einem Seminar kennen gelernt. Auf jede brenzlige Situation sollten wir da vorbereitet werden: darauf, einen Heiratsantrag zu bekommen, ständig von nervenden Kindern umgeben zu sein und sie nicht loszuwerden, Geldprobleme zu haben. Schon die Auswahl der möglichen Konfliktsituationen ließ tief blicken und veranlasste sicherlich so manchen von uns, die Reisepläne noch einmal genauer zu überdenken.
Abhalten ließ sich aber niemand von den elf Deutschen, die sich zum Vorbereitungsseminar zusammengefunden hatten. Am ersten Tag des Workcamps kommen endlich alle in Dakar wieder zusammen und treffen auf eine große, nicht genau definierte Zahl senegalesischer Teilnehmer. Wir arbeiten auf der Baustelle eines Behindertenzentrums in einem Vorort von Dakar, jeden Tag fünf oder sechs Stunden. Unsere Arbeit besteht vor allem darin, Backsteine herumzutragen und Zement zu mischen. Es ist heiß. Es staubt. Die körperliche Arbeit ist schwierig und ungewohnt. Dennoch macht sie mir bald Spaß. Denn Arbeiten heißt auch: Bewohner des Viertels zu treffen und etwas von deren Leben mitzubekommen, zwischendurch immer wieder einen Plausch zu halten oder eine Orange zu essen.
Der senegalesische Anteil der Gruppe erscheint uns zu Beginn riesig groß, es stellt sich aber bald heraus, dass nur ein kleiner Teil davon aktiv mitarbeitet. Die anderen sind Freunde, Verwandte oder Freunde der Freunde, und schauen schon eher mal aus Neugier auf die Deutschen bei uns vorbei. "Bei uns", das heißt: in der Wohnung, die Omar, der senegalesische Projektverantwortliche, für die Dauer das Camps gemietet hat. In dieser Wohnung sind wir alle untergebracht: ein Zimmer zum Schlafen und Essen, zwei Bäder, die dieses Namens nach deutschen Maßstäben kaum würdig sind - und etwa zwanzig Menschen, die sich hier drinnen und auf dem Flachdach des Hauses irgendwie verteilen.
Über Langeweile beklagt sich hier niemand, über die Enge hingegen etliche. Will ich mal Ruhe und auch mal Zeit nur für mich haben, kriege ich sie nicht. Zu Beginn ist das eine harte Probe für die deutschen Teilnehmer. Aber irgendwann nimmt man das gelassen: nach zwei Wochen habe ich gar kein Bedürfnis mehr nach Zeit für mich - und auch nicht nach Ruhe. Ständig ist Leben um mich herum und immer ist jemand da, mit dem ich einen kleinen Plausch halten kann, ein Glas Tee (senegalesisches Bier!) trinken oder auch nur zusammensitzen und Musik hören kann.
Zuhause wirft man mir hin und wieder geradezu eigenbrötlerisches Verhalten vor, hier blühe ich plötzlich auf, wenn ich den ganzen Tag mit vielen Leuten verbringe und dabei keine Minute für mich alleine habe. Und auch mein Verhältnis zu "Zeit" ändert sich radikal: hier muss ich mir nicht ständig Gedanken machen, wie ich meine Zeit möglichst sinnvoll und effektiv nutze, sondern ich kann mich einfach treiben lassen. Zeit hat hier eine völlig andere Qualität. Eine Stunde auf den Bus warten? Kein Problem - und schon gar kein Anlass für Verärgerung.
Ein bisschen stolz sind die senegalesischen Freiwilligen natürlich schon auf uns, "ihre Deutschen". So folgt dann auch Einladung auf Einladung von ihren Familien zum "Tiobou Dienne". Das bedeutet: Fisch mit Reis und ein wenig Gemüse - das ist das Nationalgericht, das man jeden Tag zu Mittag isst, manchmal auch abends. Um jede große Platte sitzen mehrere Leute herum und essen gemeinsam davon. Mit den Händen, die als eine direkte Verbindung zum Objekt des Begierde tatsächlich weitaus besser funktionieren können als Gabeln.
Vorher - nachher. Wie in zwei Hälften unterteilt erscheint mir der Aufenthalt im Nachhinein. Soll heißen: bevor ich anfangen habe, den Reis mit den Fingern zusammenzuklumpen, grünen Tee zu kochen, einige Worte Woolof zu sprechen, solange ich alles mit Gepflogenheiten aus Deutschland vergleiche und dabei vor allem die unbequemen Aspekte der mir fremden Kultur noch negativ ins Gewicht fallen, solange ist "vorher". "Nachher" beginnt, als ich die Art des zwischenmenschlichen Umgangs, die Gelassenheit, die Gemeinschaftlichkeit so sehr zu schätzen gelernt habe, dass alles andere in den Hintergrund tritt und ich die "Mängel" kaum mehr wahrzunehmen vermag.
Der vielbeschworene "Kulturschock" bleibt mir dennoch nicht erspart. Er stellt sich aber völlig unerwartet auf dem Weg zurück ins scheinbar Vertraute ein. Konfrontiert mit dem schicken Flughafen in Paris, der Hektik dort und der unsinnigen Geschäftigkeit der Reisenden, konfrontiert auch später wieder mit Berlin, fühle ich mich überrumpelt und wünsche mich nach Dakar zurück.
Ich weiß, dass ich als Touristin gekommen bin, und dass wir als Deutsche bei einem solchen Workcamp die Privilegierten sind. Die Möglichkeit, wieder wegzugehen, haben die senegalesischen Teilnehmer nicht, und nur die wenigsten von ihnen werden sie jemals haben. Somit wird die Kooperation wohl nur in eine Richtung gehen können. Doch, wenn sie beiden Seiten zumindest einen Bruchteil der Anstöße gegeben hat, die ich von dieser Reise mitgenommen habe, muss sie so oft wie möglich wiederholt werden.
Infos zu diversen Workcamps in Deutschland, Europa und der ganzen Welt, auch zu Freiwilligendiensten: http://www.ijgd.de
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