fudder-Interview

André Wilkens hat ein Buch über die Risiken und Nebenwirkungen des digitalen Lebens geschrieben: "Ich will nicht fremdbestimmt sein"

Wie viel digitales Leben braucht der Mensch? Oder eher: Wie viel Nicht-Digitales Leben? Der erklärte Digital-Fan André Wilkens meint: deutlich mehr, als er es jetzt bekommt. In seinem Buch „Analog ist das neue Bio“ beschreibt Wilkens die Risiken und Nebenwirkungen unseres dank Internet und Smartphone dauervernetzten Lebens und plädiert für Offline-Bewusstsein. Carolin Buchheim hat mit dem Politikwissenschaftler gesprochen.  

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Gemeinsam unterwegs – aber dank Smartphones eigentlich doch voneinander isoliert. André Wilkens findet Bildschirm-Abhängigkeit besorgniserregend. Foto: Syda Prod.(Fotolia.com)/Gerlind Klemens
Fudder: Wie bio war Ihr Frühstück heute Morgen, Herr Wilkens, und wie analog ihr Medienkonsum?
Wilkens: Ich habe ein leckeres Brot von einer süddeutschen Bäckerei hier in Mitte gegessen und dazu Zeitung gelesen, ganz anlog. Und Radio habe ich auch schon gehört.
Fudder: Was ist für Sie digital und was analog?
Wilkens: Für mich geht es vor allem um die Frage, ob eine Sache digital vernetzt ist. Eine DVD ist zwar ein digitales Medium, aber im Kern dann doch eine analoge Sache, weil sie nicht mit dem Internet verknüpft ist. Man kann sie anschauen, ohne etwas herunterzuladen oder Daten über sich selbst preiszugeben. Ganz grundsätzlich bin ich kein Digitalfeind; heute Morgen lag mein iPad neben meiner Zeitung auf dem Frühstückstisch und Facebook finde ich als Newsportal zum Beispiel total super. Mir geht es um die Frage, was diese tollen digitalen Sachen für Risiken und Nebenwirkungen haben.
Fudder: In Ihrem Buch haben Sie genau deswegen eine Art Beipackzettel für das digitale Leben geschrieben.
Wilkens: Genau. Mit dem digitalen Leben ist es ein bisschen so wie bei Medikamenten oder legalen Drogen. Man braucht eine Anleitung: Wofür nehme ich das ein? In welcher Dosis tue ich das? Ist das für Kinder geeignet? Was passiert dann mit mir, was muss ich beachten? Die Menschen müssen sich bewusst werden, dass das alles nicht frei ist und das man sich Gedanken darüber machen muss – wenn man das tut und zum Schluss kommt, dass das alles ok ist, wie ist es, dass mit den eigenen Daten etwas passiert, was man nicht überschauen kann, ist das auch gut. Man darf nur diesen Punkt der Bewusstmachung nicht überspringen.
Fudder: Sie listen eine Reihe von Risiken und Nebenwirkungen auf – von den Risiken von Big Data, der totalen Überwachung durch die NSA über Screen-Abhängigkeit bis zu den Veränderungen, die Internet und Smartphones in unserem sozialen Zusammenleben verursachen. Was ist Ihnen da am wichtigsten?
Wilkens: Man muss all diese Dinge im Kontext ansehen. Digital kann die Welt verbessern, daran glaube ich ganz fest – aber bisher ist das noch nicht passiert. Und bei manchen Sachen sind die Nebeneffekte schlimmer als die positive Wirkung, die sie eigentlich erzielen sollten. Es ist vielleicht wie bei einem Medikament, das zwar gegen Kopfschmerzen hilft, man dann ganz schlimme Magenkrämpfe bekommt oder sogar stirbt. In der Packungsbeilage habe ich absichtlich keine Gewichtung gemacht. Ich persönlich werde aber stutzig bei der Frage, wie viel eigene Entscheidungsmacht ich eigentlich noch habe. Wie selbstständig bin ich in der Datenökonomie, wenn mir Amazon Bücher schickt, bevor ich sie bestellt habe, weil sie wissen, dass ich sie bestellen werde? Das finde ich schrecklich. Ich will nicht fremdgelenkt und von Algorithmen hin und her geschubst werden. Ich finde es auch lustig und traurig zugleich, wenn man Menschen durch die Straßen gehen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln sitzen sieht – und alle gucken nur gebannt auf ein schwarzes kleines Ding.
Fudder: Vor zwanzig, fünfzig oder hundert Jahren haben alle Menschen in diesen Situationen auf Zeitungen geguckt.
Wilkens: Das mag so gewesen sein. Meiner Erfahrung nach kommt man aber bei einer Zeitung immer noch leichter ins Gespräch als mit so einem Ding vor der Nase. Das signalisiert: Ich will nicht reden.
Fudder: Aber mit dem Ding kommuniziert man eben auch.
Wilkens: Das stimmt, aber eben mit der vermeintlichen ganzen Welt, nicht mit den Menschen in der engeren Umgebung, mit denen, die physisch da sind. Da hat man Situationen im Restaurant in der Kneipe oder selbst Zuhause im Wohnzimmer, wo jeder separat kommunikativ unterwegs ist. Ich traf auf einer Veranstaltung kürzlich eine junge Frau, die genau das als "total super" und auch viel "sauberer" bezeichnete – endlich nicht mehr mit Leuten reden zu müssen, sondern nur durch das Smartphone. Wenn jemand diese Entscheidung für sich trifft, mag das für den Einzelnen angenehm sein, für uns als Gesellschaft ist es aber ein Desaster.
Fudder: Nutzer finden Shoppingvorschläge auf Amazon oder die Auto-Vervollständigen-Funktion auf Google praktisch – nicht problematisch. Woran liegt das?
Wilkens: Menschen mögen es bequem, selbst, wenn sie um die Nebenwirkungen oder Langzeitfolgen dieser Bequemlichkeit wissen. Wir fahren ja auch immer noch alle Auto, obwohl der Klimawandel Realität ist.
Fudder: Ihr Buch endet mit einem Alphabet der Offline-statt-Online-Aktivitäten. Praktizieren sie die alle selbst?
Wilkens: Die Liste ist sehr persönlich. Ich will mit ihr deutlich machen, dass es sich lohnt, zu denken statt zu googlen. Wir suchen auf alle Fragen sofort die Antwort online, anstatt selbst wenigstens einmal zehn Sekunden nachzudenken. Außerdem wird uns das digitale Leben manchmal als alternativlos verkauft. Aber wenn es keine Alternativen mehr gibt, lebt man in einer totalitären Gesellschaft. Es gibt viele Dinge, die man noch analog machen kann. Es ist nicht schwierig und keine Härte, auf das Digitale zu verzichten. Ein Brettspiel statt dem Computerspiel macht auch Spaß.

André Wilkens: Analog ist das neue Bio. Sachbuch. Metrolit Verlag, Berlin 2015, 220 Seiten, 18 Euro, 13,99 Euro (E-Book)

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