Account/Login

Zwei Generationen, zwei Weltanschauungen

BZ-GASTBEITRAG: Iwan Schalaginow über das Pussy-Riot-Urteil und warum es Russland in zwei Lager geteilt hat.  

Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen

Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.

Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.

Akzeptieren
Mehr Informationen
Im vergangenen halben Jahr wurde Russland von drei jungen Frauen der Punk-Band Pussy Riot noch tiefer in zwei Lager geteilt. Es geht jetzt nicht mehr nur um Wladimir Putins Rückkehr ins Präsidentenamt und die Unzufriedenheit mit dem Staatssystem, sondern auch um einen tiefen Bruch zwischen den Generationen: zwischen den Ansichten und Lebensweisen der jungen Leute und der Generation, die schon in der Sowjetunion gelebt hat.

Die Mitglieder der alternativen feministischen Band Pussy Riot haben Putin wegen der harten Unterdrückung der Opposition und die russisch-orthodoxe Kirche scharf für ihre Rolle als Diener des Staates kritisiert. In der Form war diese Aktion für die Mehrheit der Russen mindestens schlimm, wenn nicht beleidigend. Es war unschön als Kunst und unmoralisch als Protest. Das Hauptproblem ist, dass einige nur die Form der Aktion sehen, während andere den Sinn des Protestes verstehen. Die erste Gruppe billigt den harten Schuldspruch von zwei Jahren Gefängnishaft wegen "Rowdytums aus religiösem Hass" für die Pussy-Frauen, während die anderen die politischen Hintergründe beklagen. Zwei Generationen der Russen, zwei Weltanschauungen.

Laut einer Umfrage des Instituts "Öffentliche Meinung" stimmen 53 Prozent der Russen dem Pussy-Riot-Urteil zu. Es sind meistens die Russen ab 45 Jahre, Rentner, Bewohner kleiner Städte und Dörfer – Putins traditionelle Wähler. Sie sind politisch passiv und leben nach dem Motto "Meine Stimme kann nichts entscheiden". Man kann ihre Gleichgültigkeit verstehen, weil diese Generation sich gut an die sowjetische Stagnationsperiode, den Zusammenbruch des Staates und das komplizierte Leben in den 90er Jahren erinnert. Aber auf welche Weise hat Putin den Wunsch nach Stabilität erfüllt?

Mit ihr bekam Russland das Monopol der Kremlpartei "Einiges Russland", eine riesige Korruption, die Unterdrückung der Opposition, eine von Ölexporten abhängige Wirtschaft und den Missbrauch der Kirche. Eines der wichtigsten Probleme ist der Mangel an alternativen Informationsquellen. Fast niemand der 50- und 60-Jährigen kann das Internet nutzen und dort andere Ansichten erfahren. Diese Generation hat sich daran gewöhnt, das Fernsehen als Hauptinformationsquelle anzusehen. Und die weiche staatliche Propagandamaschine nutzt das brillant. Anderseits übt die auf jede Weise den Kreml unterstützende Kirche großen Einfluss aus.

Putin und die Kirche sind heilige Werte dieser Generation, wenn man sie angreift, sind die Beleidigten bereit, sie blind zu rechtfertigen. Dieser Teil der Gesellschaft billigt es, wenn ein weltliches Gericht nach religiösen Maßstäben ein politisches Urteil fällt.

Das zweite Lager besteht aus den progressiven Bewohnern der großen Städte wie Moskau, Sankt Petersburg oder Krasnodar. Diese Leute sind bis 35 Jahre alt, haben oft mindestens eine Hochschulausbildung, interessieren sich für Politik und benutzen das Internet als Hauptkommunikationsmittel. Meistens sind sie oppositionell gestimmt und sympathisieren mit alternativen Kandidaten. Die 20- und 30-Jährigen sind unzufrieden mit dem Zustand der Justiz, des Wahlrechts und der Redefreiheit. Das ist die erste Generation, die den eisernen Schraubstock des Sowjetregimes nie gespürt hat – sie können frei reisen und haben keine Angst, Kritik zu äußern. Wo aber kann die junge Generation ihre Ansichten aussprechen, wenn die meisten großen Medien vom Staat abhängig sind? Es bleibt nur eine Möglichkeit – in die scharfe Opposition zu gehen, auf den Straßen zu protestieren oder skandalöse Protestaktionen zu veranstalten.

Statt auszuwandern wollen junge Russen das Land verändern

In der russischen Gesellschaft bildet diese Protestgeneration fast 20 Prozent, genau so viele Russen finden das Pussy-Riot-Urteil unfair und politisch begründet. Während vor fünf Jahren viele Großstadtbewohner auswandern wollten, denken sie heute: "Warum muss ich weggehen? Das ist mein Land, meine Stadt, die Macht soll mir dienen statt mich zu einem Spielzeug zu machen". Der mutige Kampf für demokratische Rechte gegen Beamten- und Kirchenwillkür hat die junge Generation zusammengeschlossen. Einerseits wurde die Gesellschaft durch den Pussy-Riot-Prozess in zwei Lager geteilt, anderseits rückte jede dieser Gruppen enger zusammen. Beide Generationen lieben das Land, aber nur eine ist bereit, den nicht so schönen Staat Russland zu ändern.

– Iwan Schalaginow, 20, studiert internationale Journalistik an der Moskauer Lomonossow-Universität und macht derzeit ein Praktikum bei der Badischen Zeitung.

Ressort: Kolumnen

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel