Zum Bezahlen zückt der Tourist aus China sein Handy
Die Revolution des bargeldlosen Zahlungsverkehrs geht an deutschen Kunden noch vorbei, nicht aber am deutschen Einzelhandel.
Carsten Hoefer
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Das Verschwinden des Bargelds wird seit Jahren prophezeit, ohne dass davon in Deutschland bislang viel zu spüren wäre. Doch die Revolution hat im Bezahlwesen längst Einzug gehalten: An einer stetig steigenden Zahl deutscher Ladenkassen ist Zahlen per Handy zwar längst möglich – doch häufig nicht für deutsche Kunden gedacht.
Der chinesische Großkonzern Tencent machte am Montag über seinen deutschen Partner Wirecard AG publik, dass von November an mit dem Chatprogramm Wechat für chinesische Touristen Bezahlen per Handy in Deutschland möglich sein wird. Bereits präsent ist Tencents schärfster Konkurrent Alibaba, der in Deutschland rasant expandiert und mit der App Alipay die Pionierrolle übernommen hat. Quasi im Verborgenen ist Deutschland von einer Entwicklung erreicht worden, die nach Einschätzung vieler Fachleute weitreichende Auswirkungen auf den globalen Finanzsektor haben wird.
"In Europa wird Alipay von 10 000 Einzelhändlern akzeptiert, davon über 2000 in Deutschland", sagt Yang Xinyun, Sprecherin der Alibaba-Finanztochter Ant Financial in Hongkong. Dazu zählen etwa die Drogeriekette Rossmann, die Ladenkette des in China sehr beliebten Kochtopfherstellers WMF, das Münchner Edelkaufhaus Ludwig Beck sowie der Münchner Flughafen.
Die Zielgruppe sind nicht die bargeldverliebten Deutschen, sondern Chinesen. Das in München ansässige Unternehmen Wirecard, ein internationaler Dienstleister für elektronischen Zahlungsverkehr, ist Partner für beide Unternehmen. "Der chinesische Tourismus in Deutschland boomt, und Besucher aus Fernost nehmen die Möglichkeit, hierzulande mit ihrer heimischen Zahlmethode zu bezahlen, gerne an", sagt Jörn Leogrande, Vizechef des Wirecard-Mobilgeschäfts.
Viele Europäer haben von Tencent und Alibaba noch nie gehört, in China haben die beiden Konzerne eine mit Google und Amazon vergleichbare Marktmacht. Tencent beziffert die Zahl der Wechat-Nutzerkonten auf 938 Millionen. Alipay hat 520 Millionen Nutzer. Nach einer im April publizierten Studie der Vereinten Nationen wurde im vergangenen Jahr über beide Apps bereits die schwer vorstellbare Summe von fast drei Billionen Dollar bewegt.
Alljährlich besucht eine zweistellige Millionenschar chinesischer Touristen Europa. Und die Mehrheit interessiert vor allem eins: Kaufen, kaufen, kaufen. Chinesische Touristen sollen 2015 nach einer Meldung der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua fast 300 Milliarden im Ausland ausgegeben haben. In den Augen vieler Gäste aus der Volksrepublik ist Europa hauptsächlich ein gigantisches Einkaufszentrum; noch dazu eines mit günstigen Preisen. Die Durchschnittsausgaben eines chinesischen Touristen in Europa liegen nach Wirecard-Schätzung pro Besuch bei 3000 Euro.
Doch mit altmodischen Phänomenen wie Münzgeld oder EC-Karten geben sich insbesondere jüngere Chinesen nur noch ungern ab. Zwar hat sich der Online-Einkauf mit dem Handy auch in Deutschland verbreitet, nicht aber das mobile Zahlen an der Ladenkasse. Alipay dagegen ist eine reine Bezahl-App, Wechat ein Chatprogramm mit integrierter Zahlmöglichkeit. Den meisten Deutschen ist die Entwicklung bislang aus einem einfachen Grund verborgen geblieben: Von Alipay gibt es gar keine deutsche Version, der deutschen Wechat-Ausgabe fehlt die Bezahlfunktion.
"Beim mobilen Bezahlen sehen wir im Gegensatz zur Akzeptanz bei anderen bargeldlosen Verfahren beim deutschen Verbraucher immer noch eine große Zurückhaltung", sagt Marco Liesenjohann vom IT-Branchenverband Bitkom. "Die Entwicklung des mobilen Bezahlens hängt von einer Verhaltensänderung des Verbrauchers ab." Dieser Prozess werde maßgeblich davon bestimmt werden, wie stark das Smartphone als universelles Werkzeug im Alltag verstanden werde – und damit eben auch als Mittel der Wahl zum Bezahlen, meint Liesenjohann.
Die Bedeutung der Entwicklung geht über den deutschen Einzelhandel weit hinaus. "Die gigantischen chinesischen Technologiefirmen, ausgestattet mit einem Überfluss an Geld und IT-Infrastruktur, haben globale Ambitionen", schrieben die Fachleute der Unternehmensberatung EY 2016 in einer Studie zur chinesischen Finanztechnologie. Alibaba und Tencent stoßen mit großer Wucht in nichtchinesische Märkte vor: "Derzeit sind wir mehr auf die Bereitstellung finanzieller Dienstleistungen in Entwicklungsländern fokussiert", sagt Ant-Financial-Sprecherin Yang. Das Unternehmen sei aber offen für Kooperationen mit europäischen Partnern.
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