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Interview

Woche der Demenz in Freiburg: "Mit der Körpersprache signalisieren: Du bist mir wichtig"

  • Do, 12. September 2024, 22:04 Uhr
    Freiburg

     

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Demenz – und dann? Die Woche der Demenz sucht Antworten. Luigi Palmisciano leitet das Pflegeheim St. Johann und spricht über Deeskalation bei herausforderndem Verhalten von Menschen mit Demenz.

Luigi Palmisciano  | Foto: Thomas Kunz
Luigi Palmisciano Foto: Thomas Kunz

BZ: Wann sind Sie in Ihrem Arbeitsalltag zum ersten Mal mit jemandem mit Demenz in eine Situation geraten, die Sie herausgefordert hat?

In meiner Ausbildung in St. Johann gab es ein Erlebnis, das mich bis heute prägt. Ich begegnete einer 90 Jahre alten Frau mit Demenz, die unbedingt zu ihrer Mutter wollte. Sie sagte sehr verzweifelt, dass ihre Mutter auf sie warten würde. Ich war überfordert und sagte ihr, dass sie doch 90 Jahre alt und ihre Mutter längst verstorben sei. Daraufhin stürzte die Frau in eine Krise: Sie bekam Krämpfe und hat geweint und gezittert. Als ich sie beruhigte und mit ihr über ihre Mutter sprach, wurde es besser. Ich bot ihr Kaffee und Kuchen an, und sie konnte zur Ruhe kommen. Damals wurde mir klar, dass mich das Thema Demenz interessiert. Ich habe mich fortgebildet, bin Gerontologe und später Deeskalationstrainer geworden. Denn es kommt oft zu herausfordernden Situationen, und dann ist Deeskalation nötig.

BZ: Wie gehen Sie und Ihr Team mit Eskalationen um – und was sollten Angehörige in solchen Momenten tun?

Ganz wichtig ist, dass sich alle klarmachen, dass Menschen mit Demenz sich nicht mit Absicht so verhalten, wie sie sich verhalten. Niemand sollte ihr Verhalten als gegen sich persönlich gerichtet interpretieren. Es ist meinem Team gelungen, das zu verinnerlichen, und das wirkt sich auf die Menschen mit Demenz sehr positiv aus. Für Angehörige ist das natürlich besonders schwierig. Wenn zum Beispiel eine Mutter ihre Tochter nicht mehr erkennt, ist das verletzend für die Tochter. Noch schwieriger wird es, wenn die Mutter sich gegenüber der Tochter aggressiv verhält und sie ablehnt. In so einer Situation sollte die Tochter möglichst ruhig mit der Mutter reden, im Augenkontakt mit ihr sein und mit der gesamten Körpersprache signalisieren: Du bist mir wichtig. Nötig ist viel Geduld und das Vermeiden von Streit. Man sollte sich die Sorgen und Ängste des erregten Menschen anhören, sie ernst nehmen und Sicherheit vermitteln. In seltenen Fällen eskaliert die Situation so stark, dass sich Angehörige bedroht fühlen. Wenn das passiert, sollten sie überlegen, ob die Betreuung zu Hause wirklich noch möglich und richtig ist.

BZ: Das Thema Demenz ist schon lange bekannt – warum ist immer noch eine Woche der Demenz nötig?

Im Vergleich zur Zeit meiner Ausbildung gibt es mittlerweile sehr viel mehr Bücher, Filme, Diskussionen und Informationen aller Art zu Demenz. Oft sagen mir Angehörige, dass sie sehr froh darüber sind. Aber das Problem ist: Wenn sie nach Hause kommen zu dem Menschen mit Demenz, den sie betreuen, fühlen sie sich trotzdem sehr alleingelassen. Ich bin dankbar, dass das Netzwerk Demenz regelmäßig die Woche der Demenz organisiert. Das Thema Demenz und der positive Umgang damit muss immer wieder neu angekurbelt werden, damit es für unsere Gesellschaft normal wird, sich damit auseinanderzusetzen. Eine wichtige Unterstützung für Angehörige wäre, wenn sie Besuch von Fachleuten bekämen, die herausfordernde Situationen zu protokollieren. Daraus könnten sich dann Umgangsempfehlungen entwickeln. So machen wir das auch bei uns in St. Johann. Wenn man herausfindet, welcher Beweggrund hinter dem Verhalten steht, sind wir einen großen Schritt weiter und brauchen in der Regel weniger sedierende Medikamente. Leider fehlt eine ausreichende Finanzierung, um dieses Vorgehen flächendeckend umzusetzen.

Luigi Palmisciano (60) ist Altenpfleger, Gerontologe und Deeskalationstrainer und leitet das Pflegeheim St. Johann unter der Trägerschaft des Vereins Marienhaus St. Johann. Von seinen 82 Bewohnerinnen und Bewohnern haben 35 Prozent eine ärztlich bestätigte Demenz-Diagnose.

Veranstaltung: ",Ich will dir nichts tun!' Deeskalation in der Begegnung mit herausforderndem Verhalten bei Menschen mit Demenz", Vortrag von Luigi Palmisciano in der Woche der Demenz am Freitag, 20. September, 17 Uhr, im Wohnheim St. Johann, Kirchstraße 13. Eintritt frei. Woche der Demenz (ab Montag): mehr.bz/woche-der-demenz24

Ressort: Freiburg

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 13. September 2024: PDF-Version herunterladen

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Kommentare

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Dieter Maier

1354 seit 8. Jun 2011

Laut Ärztezeitung führt viel Alkohol früh in die Demenz. Es sind vor allem Männer betroffen.
Alkoholmissbrauch ist nach Daten einer französischen Studie der mit Abstand wichtigste Grund für eine früh beginnende Demenz.

Stefan Kienzler

4909 seit 15. Jul 2020

Arno Zaltenbach,
Anderen Ahnungslosigkeit zu bescheinigen, zeigt nur auf welch hohem Ross Sie sitzen. Könnte ja sein, daß Sie gar nicht alles mitbekommen, was wichtige Studien oder Fachartikel betrifft, weil Sie diese gar nicht lesen. Voreingenommenheit könnte auch ein Grund sein. Ihre Kommentare gehen immer in die gleiche Richtung, das ist ja nichts Neues. Meine Meinung hat sich seit Jahren nicht geändert, warum auch? Ich bin Bestens damit gefahren, was meine Gesundheit anbetrifft. Meinen Arzt sehe ich nur 1x im Jahr, zum Gesundheitscheck.


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