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Balkan

Wo die Trainingshose Alltagskluft ist

In vielen Balkanländern gehören die Schlabberhosen zum Lifestyle / Man trägt sie schwarz, oft aber auch in zarten Farben.  

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Schwarze Trenerkas tragen die coolen Jungs.   | Foto: Colourbox
Schwarze Trenerkas tragen die coolen Jungs. Foto: Colourbox

WIEN/BELGRAD. Sie entscheidet mitunter darüber, ob jemand auf der Straße ernst genommen wird. Die Trainingshose der coolen Jungs, glänzend, oft schwarz, Streifen an der Seite, selbstverständlich mit Sonnenbrille getragen, gehört auch zum Accessoire der Gigolos auf dem Balkan. Wer mit solchen "Trenerkas" auf der Straße auftaucht, ist meist selbstbewusst, die Mode steht für Urbanität, aber auch für gelassene Männlichkeit. Ihre Träger strahlen Souveränität aus.

Anders als in Mittel- und Nordeuropa sind die Trainingshosen vielerorts nicht nur beim Sport tragbar. Die Trainingshosen-Grenze in Europa verläuft irgendwo unterhalb von Zagreb, die Trainingshosen-Dichte ist in Bosnien-Herzegowina schon beträchtlich höher, in Montenegro entkommt man ihr nicht, in Serbien ist sie ganz normale Fashion. Wissenschaftlich ist das Phänomen noch nicht erforscht. Aber da die Beinkleider aus glänzendem Polyamid, weichfallender Baumwolle oder Samt mit den Einwanderern vom Balkan längst die Vorstädte Mittel-, West- und Nordeuropas erobert haben, könnte man nun damit beginnen, die Sache zu analysieren – mit ein paar Thesen.

Erstens: Die Trainingsanzüge dürften auch deshalb zur Alltagskleidung geworden sein, weil die Übergänge zwischen Freizeit und Arbeit auf dem Balkan viel fließender sind, gerade weil die Arbeitslosigkeit so hoch ist und die Jobs oft nur ein, zwei Stunden dauern. Es zahlt sich also gar nicht aus, sich für den Beruf umzuziehen. Der Tag hat für viele keine Berufsstruktur.

Zweitens: Die Beliebtheit der Trenerka hat möglicherweise etwas mit der Dimije zu tun, jener schlabberigen, stoffreichen Hose für Frauen, die aus der osmanischen Tradition stammt. Betrachtet man die in den zurückliegenden Jahren modern gewordenen Jogginghosen, die rund ums Gesäß extrem weit geschnitten sind, könnte man sogar von Dimije-Kopien sprechen.

Drittens: Im ehemals sozialistischen Jugoslawien orientiert sich die Mode traditionell weniger an den Mittel- und Oberschichten, nimmt aber gerne Referenzen der Arbeiterklasse auf. Auch in der Musik ist hier Trash oft Kult. Die Trenerka ist das Markenzeichen der Proletarier, die sie zum Stil erhoben haben und sich selbstbewusst über all das angeblich Schöne hinwegsetzen. Die Trainingshosen-Träger signalisieren gegenüber den Eliten: "Wir gehören nicht zu Euch und wir wollen das auch gar nicht. Wir sind ohnehin cooler."

In Slowenien, wo die Trenerka öfters in jenen Städten zu finden ist, wo in jugoslawischer Zeit Gastarbeiter aus dem Süden kamen, werden die Orte mit hoher Trainingshosen-Dichte "Olympische Dörfer" genannt. Als Zoran Jankovic, der Bürgermeister von Ljubljana – mit serbischen Wurzeln – im Jahr 2011 die Parlamentswahlen gewann, führte die national-konservative Konkurrenzpartei SDS diesen Sieg darauf zurück, dass Leute, die Trenerka tragen, in großer Anzahl in die Wahllokale gingen. Im slowenischen Kontext war das ein abfälliges Statement gegenüber Menschen aus dem übrigen Ex-Jugoslawien, die vor langer Zeit aus dem Süden nach Slowenien gekommen waren und nun die Wahlen mitbestimmten. In Ljubljana kam es nach diesem Statement zu einer Solidaritätsdemonstration für den Balkan-Lifestyle: Die Leute protestierten in Trainingsanzügen auf der Straße. Das war so etwas wie eine Kollektiv-Absage an das mitteleuropäische Spießertum, das sich naserümpfend vom Trainingshosen-Menschen abwendet.

Der mittelalte Mann auf dem Balkan trägt statt Jeans die Trainingshose, weil sie bequemer ist. Manche von den ausgebeulten Dingern sind sogar regenfest, die meisten dieser Trenerkas haben keine Streifen, sondern sehen aus wie Plastik-Wanderhosen. Diese Outdoor-Trainingshose wird meist mit dem Oberteil getragen, oft ist sie schwarz und hat ein grelles Innenfutter. Die meisten Frauen tragen sie erst ab etwa dem 50. Lebensjahr. Es handelt sich um ein ähnliches Phänomen wie die "praktische Kurzhaarfrisur" von Frauen in West- und Mitteleuropa.

Zudem gibt es die "Es ist Wochenende und ich bin gerade aus dem Bett gekommen"-Trainingshosen: Sie sind immer aus Baumwolle und meist hell wie Pyjama und haben unten ein Bündchen. Sie werden von Frauen und Männern gleichermaßen getragen. Am Wochenende werden durch das häufige Erscheinen dieses Kleidungsstücks viele Straßen auf dem Balkan zu Wohnzimmern umfunktioniert. Es geht darum, die"totale Freizeit" zu demonstrieren – und wirklich niemand kann in so einem Aufzug ernsthaft an Arbeit denken. Die, die jene Pyjama-Trainingshosen tragen, sind meist verheiratet und hauptsächlich daran interessiert, mit Nachbarn auf der Straße zu quatschen.

Wichtig ist auch die Kombination – zur Trenerka gehören Turnschuhe. Bis zum 40. Lebensjahr tragen die Menschen nur Sneakers, ab dann, wenn die Männer nicht mehr so fesch sein wollen, tragen sie schwarze, oft relativ spitze Schuhe, die manchmal ausgeleiert sind, aber etwas Geschäftliches an sich haben. Orte wie das südserbische Vranje sind zur Beobachtung des Phänomens bestens geeignet. Jeder zweite trägt hier die Trenerka am Sonntag. Viele Leute haben eine Alle-Tage-Trainingshose und eine Sonntags-Trainingshose. Die coolen Jungs haben zusätzlich zu den glänzenden Trainingshosen oft kahl rasierte Köpfe. Manche lassen sich auch die Haare bis auf einen breiten Streifen am Kopf rasieren – die Frisur nennt man Tarzanka.

Die Trainingshose ist unter Frauen weniger weit verbreitet als unter Männern. Frauen, die sich eher in der Mode-Tradition befinden, die in den 1990ern auf dem Balkan entstand, tragen rosa, goldene oder weiße Trenerkas aus Samt. Diese Frauen stellen sich zumeist als aufreizend dar – und tragen Markennamen auf ihren eng anliegenden Trenerkas.

Ressort: Panorama

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