Gewicht

Wie ein Ort in Finnland Kinder fit machen will

Der Schwabbbel soll weg. Seinäjoki in Westfinnland setzt alles daran, Übergewicht seiner Kinder zu reduzieren – beispielsweise mit Klimmzugstangen in Klassenzimmern.  

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Finnland kämpft gegen Übergewicht  | Foto: kwanchaichaiudom - Fotolia
Finnland kämpft gegen Übergewicht Foto: kwanchaichaiudom - Fotolia
Es ist 12 Uhr in der Alakylän Grundschule im westfinnischen Seinäjoki. Draußen bläst ein eisiger Wind, auch im sich zaghaft ankündigenden Frühling ist es hier noch fröstelig. Die Kinder der Klasse 5b essen mit großem Appetit in der Kantine. Pommes, Pizza, Burger? Fehlanzeige! Es gibt Kartoffeln, Huhn, Gemüse. Der Nachtisch besteht heute aus Beeren.

Kein Kuchen mehr in der Kita

Finnland ist dank einem 2012 erlassenen Richtlinienkatalog zur Bekämpfung von Übergewichtig bei Kindern weit mit der Präventionsarbeit, lobt die Weltgesundheitsorganisation WHO. Die Nordnation musste etwas unternehmen. Landesweit ist etwa die Anzahl übergewichtiger Jungs zwischen 14 und 18 Jahren seit Beginn der Messungen 1977 drastisch gestiegen: von 7 auf 25 Prozent. Übergewichtige Kinder bleiben zumeist ein Leben lang dick. Das Herumsitzen vor Smartphones flankierte die Entwicklung. Doch nun ist Finnland am Wendepunkt angelangt, die Zahlen steigen größtenteils nicht mehr. Das Paradebeispiel liefert die 60 000 Einwohner große Stadt Seinäjoki.

Allein bei den Fünftklässlern hat sich die Anzahl übergewichtiger Kinder seit 2013 von 15,9 auf 8,2 Prozent halbiert. "Gerade in unserer Region ist Übergewicht besonders verbreitet bei Erwachsenen", sagt Leena Koivusilta, Professorin für Gesundheitswissenschaften. "Die Landwirtschaft dominiert, die Leute essen traditionell viel Fett und Zucker. Auch ist es keine Gegend, in der viele Akademiker leben, bei denen gesundheitsbewusstes Leben in Mode ist." 2013 haben Verantwortliche der Stadt konkrete Ideen ausgearbeitet. So geht es mit der Aufklärungsarbeit schon vor der Geburt los. In dem Familienberatungszentrum Neuvolavon, das fast alle werdenden Eltern Finnlands in Anspruch nehmen, erklären Krankenschwestern, wie werdende Eltern ihre Kleinkinder gesund ernähren können und warum das wichtig ist.

In den Kindergärten geht es nahtlos weiter. "Wir haben den Zucker abgeschafft. Eltern dürfen auch keine Geburtstagstorten mehr mitbringen. Wir feiern mit anderen Geschenken", sagt Aija-Marita Näsänen, Chefin der 29 Kindertagesstätten im Ort. Eine Zentralküche beliefert auch die Kindergärten mit gesundem Essen. "Zudem haben wir mehr Platz für die Bewegungsfreiheit von Kindern drinnen wie draußen geschaffen."

Auch an der Alakylän Grundschule bewegen sich die Kinder viel mehr als früher. Im Unterricht gibt es Sitzbälle statt Stühle. Die Konzentration habe nicht gelitten, so Grundschulrektor Kimmo Rantanen. "Viele Kinder können sich gerade dann nicht konzentrieren, wenn sie ruhig auf einem Stuhl sitzen müssen. Die Bälle sind da besser. Auch steigert mehr Bewegung und gesünderes Essen letztlich die Konzentration." Der Lärmpegel sei zwar höher als früher, aber die Kinder haben Lärmschutzkopfhörer, die sie bei Stillarbeit aufsetzen können. Während des Unterrichts stehen die Schüler regelmäßig auf, um Kurzgymnastik mit den Lehrern zu machen. Zahlreiche Bewegungsgruppen wurden für die Nachmittagsbetreuung gegründet, damit alle eine Bewegungsart finden, die zu ihnen passt. Schulkinder sollen sich drei Stunden am Tag bewegen, Schulwege eingerechnet.

Ein neues Schulfach entstand: Gesundheitskunde

"Ich war übergewichtig und ständig müde, die anderen haben mich damit aufgezogen. Jetzt bin ich es nicht mehr", sagt der Fünftklässler Arttu. Süßigkeiten hat die Grundschule verbannt, zudem sind mehrmals wöchentlich eine Krankenschwester und ein Arzt vor Ort, die das Schlankheitsprogramm betreuen.

An der weiterführenden Schule Yhteiskoulu für 13 bis 16 Jährige gibt es Klassenzimmer mit Stehpulten. In einem Unterrichtszimmer hängt neben der Tafel eine Klimmzugstange. Der Schulhof wurde mit Spielfeldern umgebaut, sodass er zu Bewegung animiert. Lehrerin Laura Jokiranta unterrichtet Gesundheitskunde, ein Fach, das es neuerdings an allen Schulen gibt. Wie andere Lehrer hat sie Bewegung direkt in den Unterricht eingebaut. Kinder müssen etwa im Wettbewerb anderen mit Körpersprache für Klausuren wichtige Begriffe erklären. Das an vielen finnischen Schulen populäre Spiel ist räumlich getrennt – die Kinder müssen dabei viel hin- und herrennen.

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