Wissenschaft
Warum der Phosphat-Kreislauf aus den Fugen gerät
Wale, Seevögel und Fische holen Phosphat aus dem Meer. Weil sie weniger werden, ist der Kreislauf gestört. Forscher warnen, dass die Ernährung der Menschheit in Gefahr ist.
Sebastian Gruber
Sa, 23. Apr 2016, 0:00 Uhr
Bildung & Wissen
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Doch die Reserven an Phosphor sind endlich. Besonders die Landwirtschaft verbraucht inzwischen mehr Phosphate, als von der Natur bereitgestellt werden. Mit jeder Ernte werden große Mengen entnommen und nicht mehr in den Naturkreislauf zurückgeführt. Weshalb Forscher seit geraumer Zeit warnen, dass die Ernährung der Menschheit in Gefahr ist.
Wann die letzten Phosphatlagerstätten ausgebeutet sind, darüber streiten die Wissenschaftler: Manche sagen in 200 bis 300 Jahren, andere in 50 bis 100 Jahren. Den natürlichen Phosphatkreislauf dachte sich die Wissenschaft lange so: Rund zehn Prozent des auf den Landmassen umlaufenden Phosphats wird ausgeschwemmt, von den Flüssen ins Meer transportiert und setzt sich dort in den tiefen Regionen ab, wo es zunächst verloren scheint. Doch im Verlauf von Millionen Jahren heben sich durch die Bewegungen in der Erdkruste Teile des Meeresbodens wieder an, sodass die phosphathaltigen Gebiete an die Oberfläche kommen, dort verwittern und neues Material liefern, das Pflanzen und Tiere einbauen. Weil die Verwitterung viel zu langsam arbeitet, springen Bakterien in die Bresche und bereiten den lebenswichtigen Stoff für die Organismen auf. So liest es sich zumindest in einem Lehrbuch aus dem Jahr 1990.
Aber Christopher Doughty von der Universität Oxford kommt zu einer ganz anderen Einschätzung. Aufgrund der aktuellen Forschungslage ist er der Meinung: Es sind die Ausscheidungen der Tiere, die den Phosphatkreislauf der Erde über weite Strecken am Laufen halten. Die Fauna holt den wertvollen Stoff aus dem Meer und bringt ihn zurück an Land, beziehungsweise verteilt ihn über die Kontinente. Dieser Kreislauf, schreiben Doughty und seine Kollegen in einem Beitrag für das Fachblatt PNAS, sei in Gefahr.
Und das habe auch mit dem Menschen zu tun. In den Ozeanen sind es vor allem die großen Wale, die sich tief unten ihr Futter holen: Krill oder Kraken und andere Beute. Nahe an der Oberfläche erleichtern die großen Meeressäuger dann in regelmäßigen Abständen Darm und Blase. Mit dem Kot und dem Urin werden wichtige Grundsubstanzen wie Eisen, Stickstoffverbindungen und Phosphate aus der Tiefe des Meeres in den höheren Regionen getragen. Es ist ein natürlicher Dünger. Algen, die mit Hilfe des Sonnenlichts Photosynthese betreiben, nehmen sie auf. Dieses pflanzliche Plankton dient wiederum anderen Meeresbewohnern als Futter.
Am Meer lebende Tiere bringen die Grundsubstanzen an Land: Seevögel etwa, die sich von Fischen ernähren und deren Hinterlassenschaften sich als Guano auf Inseln oder in Küstennähe ablagern – natürlicher Dünger für die Vegetation. Besonders die großen Pflanzenfresser schleppen die Phosphate und den Stickstoff in ihrem Darm ins Landesinnere und setzen die Nährstoffe dort in einer Form frei, in der sie für Pflanzen besser verwertbar sind. Auf diese Weise tragen sie dazu bei, dass sie selbst immer genug Nahrung finden – und ernähren gleichzeitig die Räuber, die es auf sie abgesehen haben und dann die essenziellen Bausteine ebenfalls weiterverbreiten.
Mehr noch als Seevögel sorgen wandernde Fischarten wie der Lachs für Phosphor-Nachschub, betonen Doughty und seine Kollegen aus Europa und den USA – dann nämlich, wenn sie sich zum Ablaichen durchschlagen bis zu den Oberläufen ihrer Geburtsflüsse, tief im Hinterland, und auf dem Weg dahin von Bären oder Ottern in Massen gefressen und verdaut werden.
Dieser Nährstoffkreislauf funktioniert mittlerweile schlechter als früher. Das hat zum einen natürliche Ursachen: Große Pflanzenfresser wie Mammuts, die riesige Mengen Phosphate und andere Grundsubstanzen über Land transportieren konnten, sind vor 12 000 Jahren ausgestorben. Zum anderen hat der Mensch seither massiv in die Natur eingegriffen: Es gibt kaum noch große, frei umherziehende Herden. Die Berechnungen zeigen zudem, dass die Walpopulation durch die intensive Bejagung in den vergangenen Jahrhunderten um 66 bis 99 Prozent abgenommen hat. "Einige der größten Spezies haben ernste Einbußen erlitten", warnen die Wissenschaftler. "Zum Beispiel wurde der Blauwal auf der südlichen Halbkugel auf ein Prozent seines ursprünglichen Bestandes dezimiert." 27 Prozent aller Seevogelarten gelten als bedroht. Und vergleicht man historische Aufzeichnungen mit dem heutigen Vorkommen von Wanderfischen, dann schwimmen weniger als zehn Prozent der einstigen Schwärme im Pazifischen Nordwesten und im nördlichen Atlantik.
Die Wissenschaftler schätzen, dass die Nährstoffverteilung durch Wale und große Landtiere insgesamt nur noch acht Prozent der früheren Kapazität erreicht. Regional sei das sehr unterschiedlich: Während der Phosphattransport im südafrikanischen Krüger Nationalpark mit seiner intakten Fauna noch zu 100 Prozent funktioniert und auf dem afrikanischen Kontinent zu 46 Prozent, liegen alle Landmassen außerhalb Afrikas bei unter fünf Prozent – in Südamerika nur bei rund einem Prozent. Bei den Seevögeln liegen die geschätzten Werte zwischen fünf und 35 Prozent der ursprünglichen Düngungskapazität, bei den wandernden Fischarten soll diese auf vier Prozent gesunken sein. Das seien nur sehr ungefähre, mit vielen Unsicherheiten behaftete Zahlen, räumt Doughty ein.
Denn die Frage, ob der Planet unfruchtbarer geworden sei durch das Fehlen zahlreicher Giganten, lässt sich derzeit nicht eindeutig beantworten. Klar ist, dass der menschengemachte Aderlass an Phosphor alles übersteigt,was die Natur alleine wieder ausgleichen könnte. Da helfen auch die Haustiere wenig, bekräftigen Doughty und sein Team in ihrer Studie: "Erstens sind die meisten domestizierten Tiere eingezäunt oder im Stall." Und das verhindere die Verbreitung der Nährstoffe. "Zweitens halten die meisten Züchter nur einen Tiertyp, zum Beispiel Vieh. Aber eine einzige Spezies verhält sich annähernd gleich, sie frisst an einem Platz, entleert sich an einem anderen und konzentriert die abgegebenen Nährstoffe, statt sie breit zu verteilen", so Doughty. Im Gegensatz dazu ernähren sich viele verschiedene Arten höchst unterschiedlich und suchen eben nicht die gleichen Orte auf, sodass die Phosphate überall landen.
Weniger Zäune und eine ganze Menagerie an Nutztieren könnten da einiges bewirken, meinen die Wissenschaftler. Außerdem hoffen sie, dass die sich erholenden Walpopulationen den natürlichen Kreislauf wieder ein wenig in Schwung bringen. Das könnte sogar dem Klima helfen, wenn durch das Düngen der Ozeane mehr Kohlendioxid aus der Atmosphäre in die Biomasse eingebaut und – nach deren Absterben – am Meeresgrund gebunkert wird, meint Doughty. Allerdings: Den Treibhauseffekt zum Stillstand bringen, das werden auch die Walfäkalien sicherlich nicht.
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