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Wandern ist völlig ungewohnter "Wahnsinn"

Beim deutsch-japanischen Sportjugend-Simultanaustausch bestanden die 96 japanischen Gäste einige "Mutproben" vom Hochseilgarten bis zum Coiffeur.  

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"Kulturschock Japan" ist ein viel gelesener Reiseführer über das Land der aufgehenden Sonne. Aber wie wär’s mal mit "Kulturschock Deutschland"? Vielleicht wagt sich ein japanischer Jugendlicher demnächst daran – denn nach drei Wochen im fernen Germany sollten eigentlich genug Eindrücke gesammelt sein . . .

Ryosuke Yuasa ist 18 und einer von knapp 100 japanischen Jugendlichen, die Deutschland während der vergangenen drei Wochen unsicher machten – manchmal im wahrsten Sinne des Wortes, denn würde ein deutscher Jugendlicher auf die Idee kommen, im neuen Bayern-Trikot zum Training des SC Freiburg zu erscheinen? Ryosuke, der vorher angekündigt hatte, er wolle ein Probetraining und einen Vorvertrag beim SC, tat es. Aber damit nicht genug. Als er drei Rekonvaleszenten zusammen mit dem Masseur langsam um den Trainingsplatz traben sah, packte den spontanen Asiaten die Lust und er rannte einfach mit. Die Spieler guckten erst mal erstaunt; aber nahmen den Neuling in ihre Reihen auf und fragten ihn, wer er sei. "Hidetoshi Nakata" antwortete Ryosuke und meinte den japanischen Fußballstar. Doch die Sportclub-Kicker waren nicht zu überlisten und lachten kräftig mit. Woher er komme? "Komatsu-shi", eine 140 000-Einwohner-Stadt in der Präfektur Ishikawa. Und warum er hier sei? Dafür reichten Ryosukes Englischkenntnisse genauso wenig wie die Japanischkenntnisse von Dennis Kruppke und Seyi Olajengbesi. Sonst nämlich, hätte der 18-Jährige von einer großen Reise berichten können, die im Juli in Frankfurt begonnen hatte. Im Rahmen des 32. deutsch-japanischen Sportjugendsimultanaustausches waren 96 Jugendliche aus Fernost angereist und nach einem Zentralprogramm in Frankfurt auf ganz Deutschland verteilt worden.

Südbaden wurde von der Partnerregion Hokushinetsu besucht, neun junge Sportler im Alter zwischen 16 und 19 begannen ihr Regionalprogramm mitsamt Betreuer und Dolmetscherin in Konstanz. Eines der Highlights dort war der Hochseilgarten. In luftiger Höhe spazierten die japanischen Gäste ohne die geringste Spur von Angst auf den verschiedenen Hochplateaus, sprangen ohne mit der Wimper zu zucken von acht Meter hohen, frei stehenden Pfählen und brachten ihre deutschen Gastgeber zum staunen.

In Freiburg hatte der lokales Veranstalter, der PTSV Jahn Freiburg, Gastfamilien organisiert und Matthias Heitzmann, Jugendsportwart des PTSV, hatte mit freiwilligen Helfern ein abwechslungsreiches, manchmal auch durchaus forderndes Programm zusammengestellt – inklusive Stadtbesichtigung mit Freiburger Stadtführerin Frau Maeda, selbst Japanerin und damit bestens mit der fremden Sprache vertraut. Doch nach Münster, altem und neuen Rathaus, Uni-Gelände und Markthalle gab’s erstmal "free time". Ryosuke nutzte diese freie Zeit am Nachmittag, um sich einer "Challenge", einer Herausforderung, wie er es nannte, zu stellen: ein Besuch bei einem deutschen Friseur. Nachdem die Entscheidung gefallen war, er einen Platz auf dem Haarschneide-Stuhl ergattert hatte, wuchs die Nervosität. Flehende Blicke zur begleitenden Dolmetscherin Reiko Oba: schnelle Erklärungsversuche des gewünschten Schnittes. Der Meister hatte einen schwierigen Auftrag zu erfüllen: "Überall ein bisschen weg, aber nicht zu viel, vor allem oben nicht, und auch die langen Kotletten dürfen auf gar keinen Fall weg!" Was anschließend um den Stuhl auf dem Boden des Friseursalons lag, hätte zusammengekehrt eine mittelgroße Hand nicht zur Hälfte gefüllt; aber Ryosuke war zufrieden. Mit etwas Haarwachs auf Vordermann gebracht, erstrahlte er in neuem Glanz.

Eine Station weiter in Bischweier bei Baden-Baden wagte auch Kumiko Okuhara die Friseur-Probe. Kumiko ist 16, 162 Zentimeter klein und quicklebendig – für einen Europäer also die typische Japanerin. Bei der gemeinsamen Fahrt zur Sayonara-Party in Berlin antwortete sie auf die Frage nach dem neuen Haarschnitt, ebenso typisch japanisch mit o-Endung: "Yes, cuto, cuto" ("cute" heißt "schick"). Auch in Bischweier sei der Friseur aber zu grob gewesen, aber das Shampoo beim Waschen habe "very nico" gerochen.

Fragt man die 16-Jährige nach ihren Hobbys, antwortet sie (wie immer über die Dolmetscherin Reiko): "Sonnenbaden und Mittagsschlaf." "Ja, sleepy", fügt Kumiko hinzu. Sie kommt aus Omachi, einer Stadt in der Präfektur von Nagano. Natürlich ist sie 1998 mit ihren Freunden bei den Olympischen Winterspielen gewesen und hat Funaki und Co. beim Goldsprung bejubelt und sich auch ihre Sportart, das Eisschnelllaufen angesehen.

"Menschen beobachten

und am Wochenende

mit meinen Freunden saufen."Jun Kaneko, 19-jährige Japanerin

Ähnlich "skisprungerfahren" ließen sich manche so gar nicht beeindrucken, als beim Schwarzwaldtag am Sonntag die Besichtigung der neuen Schanzenanlage in Hinterzarten auf dem Plan stand. Erst der Marsch auf den Absprungturm und die anschließende "Wanderung" nach Titisee brachten alle zum schwitzen.

Als deutscher Gastgeber merkte man spätestens hier, dass der Begriff "Wanderung" in Japan eher für die Kurzstrecken von der Wohnung bis zum Supermarkt gebräuchlich zu sein scheint. Längere Strecken? Fehlanzeige. Also hatte auch bereits am Vormittag desselben Tages der Weg vom Schauinsland zum Bergwildpark Steinwasen für viele der japanischen Jungsportler schon eher Marathon-Charakter – U-Bahnen und Bussen in der Heimat sei Dank.

Auch Jun Kaneko, mit 19 Jahren die älteste Teilnehmerin und Gruppensprecherin, ließ sich von den sonntäglichen Märschen beeindrucken. "Viel zu anstrengend für einen Japaner!" Auf den ersten Blick scheint sie westlich orientiert zu sein, große Kreuze schmücken ihren Hals. Aber Japan und Kreuze? War da nicht mal was mit Buddhismus? Jun glaubt nur an sich selbst, nicht an einen Gott. Und warum die Kreuze? Ihr gefalle die Geschichte von Jesus Christus; auch wenn sie nicht daran glaubt. Kreuze seien in Japan als Schmuck und "Fashion, Lifestyle" weit verbreitet. Zudem gebe es natürlich auch Christen in Japan.

Nach ihren Hobbys befragt, antwortet Jun etwas befremdlich mit "Menschen beobachten und am Wochenende mit meinen Freunden saufen". Ihre Eltern, beide Lehrer, kommen erst abends um neun von der Arbeit nach Hause. Als ich ihr erzähle, dass mein Vater als Lehrer normalerweise zwischen 13 und 15 Uhr zu Hause ist, muss sie laut lachen – "undenkbar in Japan". Was ihr an Deutschland gefalle? Wieder ist die Antwort erst etwas seltsam: "Der Himmel ist sehr schön!" In Japan etwa nicht? "Doch, aber bei uns ist er eckig." Er ist von Hochhäusern umstellt.

Nach den gemeinsamen Abschlusstagen in Berlin ist die Resonanz einhellig: es habe ihnen sehr gefallen, lassen die Gäste wissen. Vielleicht reichen die Eindrücke ja für den "Kulturschock-Reiseführer". . .

Ressort: Zisch

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