Wandern ist völlig ungewohnter "Wahnsinn"
Beim deutsch-japanischen Sportjugend-Simultanaustausch bestanden die 96 japanischen Gäste einige "Mutproben" vom Hochseilgarten bis zum Coiffeur.
JuZ-Mitarbeiter Christian Mutter
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"Kulturschock Japan" ist ein viel gelesener Reiseführer über das Land der aufgehenden Sonne. Aber wie wär’s mal mit "Kulturschock Deutschland"? Vielleicht wagt sich ein japanischer Jugendlicher demnächst daran – denn nach drei Wochen im fernen Germany sollten eigentlich genug Eindrücke gesammelt sein . . .
Südbaden wurde von der Partnerregion Hokushinetsu besucht, neun junge Sportler im Alter zwischen 16 und 19 begannen ihr Regionalprogramm mitsamt Betreuer und Dolmetscherin in Konstanz. Eines der Highlights dort war der Hochseilgarten. In luftiger Höhe spazierten die japanischen Gäste ohne die geringste Spur von Angst auf den verschiedenen Hochplateaus, sprangen ohne mit der Wimper zu zucken von acht Meter hohen, frei stehenden Pfählen und brachten ihre deutschen Gastgeber zum staunen.
In Freiburg hatte der lokales Veranstalter, der PTSV Jahn Freiburg, Gastfamilien organisiert und Matthias Heitzmann, Jugendsportwart des PTSV, hatte mit freiwilligen Helfern ein abwechslungsreiches, manchmal auch durchaus forderndes Programm zusammengestellt – inklusive Stadtbesichtigung mit Freiburger Stadtführerin Frau Maeda, selbst Japanerin und damit bestens mit der fremden Sprache vertraut. Doch nach Münster, altem und neuen Rathaus, Uni-Gelände und Markthalle gab’s erstmal "free time". Ryosuke nutzte diese freie Zeit am Nachmittag, um sich einer "Challenge", einer Herausforderung, wie er es nannte, zu stellen: ein Besuch bei einem deutschen Friseur. Nachdem die Entscheidung gefallen war, er einen Platz auf dem Haarschneide-Stuhl ergattert hatte, wuchs die Nervosität. Flehende Blicke zur begleitenden Dolmetscherin Reiko Oba: schnelle Erklärungsversuche des gewünschten Schnittes. Der Meister hatte einen schwierigen Auftrag zu erfüllen: "Überall ein bisschen weg, aber nicht zu viel, vor allem oben nicht, und auch die langen Kotletten dürfen auf gar keinen Fall weg!" Was anschließend um den Stuhl auf dem Boden des Friseursalons lag, hätte zusammengekehrt eine mittelgroße Hand nicht zur Hälfte gefüllt; aber Ryosuke war zufrieden. Mit etwas Haarwachs auf Vordermann gebracht, erstrahlte er in neuem Glanz.
Eine Station weiter in Bischweier bei Baden-Baden wagte auch Kumiko Okuhara die Friseur-Probe. Kumiko ist 16, 162 Zentimeter klein und quicklebendig – für einen Europäer also die typische Japanerin. Bei der gemeinsamen Fahrt zur Sayonara-Party in Berlin antwortete sie auf die Frage nach dem neuen Haarschnitt, ebenso typisch japanisch mit o-Endung: "Yes, cuto, cuto" ("cute" heißt "schick"). Auch in Bischweier sei der Friseur aber zu grob gewesen, aber das Shampoo beim Waschen habe "very nico" gerochen.
Fragt man die 16-Jährige nach ihren Hobbys, antwortet sie (wie immer über die Dolmetscherin Reiko): "Sonnenbaden und Mittagsschlaf." "Ja, sleepy", fügt Kumiko hinzu. Sie kommt aus Omachi, einer Stadt in der Präfektur von Nagano. Natürlich ist sie 1998 mit ihren Freunden bei den Olympischen Winterspielen gewesen und hat Funaki und Co. beim Goldsprung bejubelt und sich auch ihre Sportart, das Eisschnelllaufen angesehen.
und am Wochenende
mit meinen Freunden saufen."Jun Kaneko, 19-jährige Japanerin
Als deutscher Gastgeber merkte man spätestens hier, dass der Begriff "Wanderung" in Japan eher für die Kurzstrecken von der Wohnung bis zum Supermarkt gebräuchlich zu sein scheint. Längere Strecken? Fehlanzeige. Also hatte auch bereits am Vormittag desselben Tages der Weg vom Schauinsland zum Bergwildpark Steinwasen für viele der japanischen Jungsportler schon eher Marathon-Charakter – U-Bahnen und Bussen in der Heimat sei Dank.
Auch Jun Kaneko, mit 19 Jahren die älteste Teilnehmerin und Gruppensprecherin, ließ sich von den sonntäglichen Märschen beeindrucken. "Viel zu anstrengend für einen Japaner!" Auf den ersten Blick scheint sie westlich orientiert zu sein, große Kreuze schmücken ihren Hals. Aber Japan und Kreuze? War da nicht mal was mit Buddhismus? Jun glaubt nur an sich selbst, nicht an einen Gott. Und warum die Kreuze? Ihr gefalle die Geschichte von Jesus Christus; auch wenn sie nicht daran glaubt. Kreuze seien in Japan als Schmuck und "Fashion, Lifestyle" weit verbreitet. Zudem gebe es natürlich auch Christen in Japan.
Nach ihren Hobbys befragt, antwortet Jun etwas befremdlich mit "Menschen beobachten und am Wochenende mit meinen Freunden saufen". Ihre Eltern, beide Lehrer, kommen erst abends um neun von der Arbeit nach Hause. Als ich ihr erzähle, dass mein Vater als Lehrer normalerweise zwischen 13 und 15 Uhr zu Hause ist, muss sie laut lachen – "undenkbar in Japan". Was ihr an Deutschland gefalle? Wieder ist die Antwort erst etwas seltsam: "Der Himmel ist sehr schön!" In Japan etwa nicht? "Doch, aber bei uns ist er eckig." Er ist von Hochhäusern umstellt.
Nach den gemeinsamen Abschlusstagen in Berlin ist die Resonanz einhellig: es habe ihnen sehr gefallen, lassen die Gäste wissen. Vielleicht reichen die Eindrücke ja für den "Kulturschock-Reiseführer". . .
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