Waffen? - Steine, Messer, Stöcke!
Generalprobe für "West Side Story" an der Waldorfschule Wiehre: 80 Schüler aus sieben Schulen treten zu Kampf und Tanz an.
Eva M. Müller
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Bandenbildung, Intrigen, Lügen, Ausgrenzung, Hass und Gewalt, dazwischen bitterzarte Liebe - und am Ende: Mord. Wo sich das alles ereignet? Auf der Bühne im Festsaal der Waldorfschule Freiburg-Wiehre. Denn seit Januar rocken, jazzen, tanzen und spielen bis zu 80 Schüler und Schülerinnen in den Proben zu Leonard Bernsteins Musical "West Side Story". Morgen Abend ist Premiere. Die JuZ durfte vorab bei der Generalprobe etwas Broadway-Feeling schnuppern.
Und dann fortefortissimo - zu Paukenschlag und Geigenklang grooven die verfeindeten Gangmitglieder der Gangs der "Jets" und der "Sharks" auf die Bühne. Im Hintergrund heben sich leuchtend Graffitischriftzüge von tristen Mauern ab. Das Bühnenbild skizziert nicht unbedingt New York, es könnte eine x-beliebige Stadt sein. Auf tritt ein Mädchen, mit Turnschuhen, Basketballkappe und den komischen Namen "Anybodys", das - immer wieder - versucht in die Kreise der Jungs vorzudringen. Sehr authentisch verkörpert Josefine Kaps diese Rolle.
Dann Szenenwechsel: Eine Ballade beschreibt die sich anbahnenden Liebesgefühle zwischen Tony von den Jets und Maria von den Sharks. Raphael Rotter und Judith Egel, die das Liebespaar mimen, verzaubern mit tollen Stimmen - und man fühlt sich in längst vergangene "Romeo und Julia"-Zeiten versetzt. Ganz Broadway-like sind immer wieder die schwungvollen Tanzszenen - eine irrwitzige Mischung aus Lateinamerikanisch, Akrobatik und Jazz. Das bringt jedes Mal euphorischen Applaus von den Generalprobengästen.
Sieht also ganz so aus, als könnte diese "West Side Story" für die Waldorfschule Freiburg zu einer Erfolgsstory werden. Und dabei sah vor einem Jahr alles nur nach einem Hirngespinst aus. Damals gab es an der Waldorfschule weder eine Theater-AG noch eine Tanz-AG. Aber eine tanzbegeisterte Schülerin und einen theaterinteressierten Lehrer, die von einem Schul-Musical träumten. "Und wenn schon, dann gleich richtig", begründet Lehrer und Projektgründer Sebastian Schubert seine Entscheidung für das anspruchsvolle Stück "West Side Story". "Ich hatte zwischenzeitlich schon meine Bedenken, ob wir wirklich ein komplettes Musical auf die Beine stellen können", schränkt Abiturientin Chantal Kohlmeyer ein -, sie hat die tänzerische Leitung für das Großprojekt mit über 80 Mitwirkenden aus insgesamt 7 Schulen und Schulprojekten.
Besonders die letzten Proben waren hart: Mehrere Stunden am Stück mussten immer wieder die gleichen Songs geprobt werden. Und Elias Götte, der musikalische Leiter, musste unentwegt mahnen: "Nicht absacken mit den Tönen!" Wenn die Lippen der Solisten an den auf-und zuklappenden Mund von Kaulquappen erinnerten und sich hinter der vermeintlich schutzbietenden Pauke Schüler lümmelten, dann griff Elias zu einem kleinen Trick: Er zeichnete die Probe mit der Digitalkamera auf, damit sich jeder im Anschluss der Proben kritisch begutachten konnte.
Gelohnt hat sich das alles augenscheinlich, wie die Generalprobe beweist: die Rhythmusnummern sind voller Dramatik und Spannung -, die rivalisierenden Gangs verabreden sich zum Kampf. "Waffen?" brüllen die Sharks. "Steine, Messer, Stöcke!" die Antwort der Jets. Eugen Demburg erhält das Zeichen für seinen Einsatz. Aufgebracht plustert er sich auf, rollt die Hemdärmel nach oben, bereit, die Jets zu verprügeln. Im realen Leben hat Eugen viele neue Freunde bei den Probearbeiten gefunden. Der 16-jährige Eugen kommt nämlich gar nicht von der Waldorfschule, sondern besucht das Rotteck-Gymnasium. Durch eine Freundin wurde er auf das Musicalprojekt aufmerksam. Und weil er praktisch schon ewig das Tanzbein schwingt, ist er für seine Rolle als Gangmitglied geradezu prädestiniert. Wie Eugen gibt es mehrere Schüler, die nicht zur Waldorfschule gehen, aber Lust hatten, an dem Musicalprojekt mitzuwirken. So sind auch Akteure aus dem Goethe-Gymnasium in Emmendingen, vom "Time-out"-Projekt und aus verschiedenen Waldorfschulen in Freiburg und Umgebung bei der "West Side Story" beteiligt. Neue Freunde zu finden und mal in die Waldorfschule reinzuschnuppern, finden alle ziemlich aufregend. Und Eugen schwärmt: "Es wäre toll, wenn sich die beiden Schulsysteme zu etwas Neuem vereinen würden."
"Tonight" ist der Titel des Songs, der den bevorstehenden Kampf zwischen den Gangs andeutet. Hinter der Bühne sitzt einer mit Textheft, liest zum x-ten Mal seine Passage: der bevorstehende Kampf verlangt viel Konzentration. Die gekonnte Mischung aus Tai-Chi und Mission-Impossible-Imitation und die Ästhetik des Tanzes ziehen sich wie ein roter Faden durch die Inszenierung.
"Nicht absacken mit den Tönen!" Elias Götte, musikalischer Leiter
Die Szene endet mit dem ersten Mord. Involviert ist auch der 15-jährige Jan-Stephan Henning. Ursprünglich hatte er "gar keinen Bock" beim Musical dabei zu sein. Als dann aber alle Freunde mitmachten, entschied er sich für eine kleine Rolle als Gangmitglied, in der Hoffnung, dann nicht so viel proben zu müssen. Dass aber gerade die Gang immer anwesend sein muss, stört ihn mittlerweile wenig. Auch ihn hat das tänzerisch-kämpferische Musical gepackt. Aufgeregt vor der Premiere? Keine Spur, betont Jan-Stephan selbstbewusst.
"Gee, Officer Krumpe", ein komischer Song, ist der retardierende Moment, der zum tragischen Ende der jungen Liebe überleitet. Am Ende steht Verlust, aber auch Versöhnung. Was die jungen Musiker und Schauspieler sich für morgen Abend wünschen? Viele Zuschauer. Und, fügt Jan-Stephan hinzu, "dass nach den Aufführungen viel Geld für die Musical AG gespendet wird". Damit sollen die Kosten für ausgeliehene Mikrofone, Verstärker und Scheinwerfer beglichen werden. Und wenn Geld übrig bleibt, träumen alle davon, nach Berlin zu fahren und ihre "West Side Story" in der Metropole aufzuführen.
West Side Story in der Waldorfschule Wiehre, Freiburg, Schwimmbadstraße 29: am 21., 22. und 23. November, 20.15 Uhr, Eintritt frei (Spenden erwünscht).
Der 1918 geborene Komponist, Pädagoge und Musiker Leonard Bernstein wählte für sein Musical den Rassenkonflikt zwischen Puertoricanern und Amerikanern. Die Geschichte, die in dem Musical erzählt wird, erinnert an Romeo und Julia. Am 19. August 1947 fand die Uraufführung im "National Theater" in Washington statt und im selben Jahr schon kam das Erfolgsmusical nach New York an den Broadway.
http://www.westsidestory.com
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