Porträt
Visionär mit Schattenseiten: Vor 100 Jahren starb Ferdinand Graf von Zeppelin
Sein Luftschiff wollte er zu einer überlegenen Kriegswaffe entwickeln - doch dieses Projekt scheiterte. Am 8. März vor 100 Jahren starb Ferdinand Graf von Zeppelin.
Mi, 8. Mär 2017, 14:13 Uhr
Südwest
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Zeppelin, kurz zuvor 70 Jahre alt geworden, schien psychisch und finanziell am Ende zu sein. Wie hatte es so weit kommen können im Leben dieses Mannes, der doch in schönsten Schlösserprunk hineingeboren war? Am 8. Juli 1838 kam der Erfinder des Starrluftschiffs auf der Konstanzer Dominikanerinsel, im heutigen Inselhotel, zur Welt. Er sei ein Erbe der "Feudalgesellschaft des Mittelalters" gewesen, in der eine "ritualisierte Ritterlichkeit und eine romantisierende Leidenschaft für den Waffendienst und die Kunst des Krieges" gepflegt wurden. So schrieb es der im Jahr 2001 verstorbene amerikanische Historiker Henry Cord Meyer in einem 1998 veröffentlichten Essay über Zeppelin.
Viele adäquate berufliche Möglichkeiten gab es für einen Adelsspross dieser Zeit nicht. Der junge Zeppelin ergriff eine davon mit Begeisterung: die Offizierslaufbahn in Diensten des württembergischen Hofs. Er durchlief die Realschule und das Polytechnikum in Stuttgart, wurde mit 17 Jahren Kadett in der Kriegsschule Ludwigsburg, drei Jahre später Leutnant der württembergischen Armee.
Der freundliche, fleißige und strebsame junge Zeppelin bekam bald Sonderurlaub vom Dienst und wurde als Beobachter des Sezessionskriegs aufseiten der Nordstaaten nach Amerika entsandt. Er erlebte den Einsatz von Maschinengewehren, handbetriebenen U-Booten und Aufklärungsballonen, konnte sogar an einer Fahrt teilnehmen. Zurück in die Heimat kam Zeppelin tief beeindruckt von diesem ersten miterlebten "Maschinenkrieg", sagt Jürgen Bleibler, Sachbuchautor und Technikspezialist im Zeppelin-Museum Friedrichshafen. Gerade die militärische Bedeutung der Luftüberlegenheit habe sich dem lebenslangen militärischen Vertrauten Königs Wilhelm II. von Württemberg eingegraben.
Der Traum vom Fliegen über Schlachtfelder wäre wohl ein "Hobby" des Grafen geblieben, glaubt Bleibler, wenn die Militärkarriere im Jahr 1890 nicht schmachvoll beendet worden wäre. Historiker Cord Meyer nennt die Verbannung aus dem Militärdienst in seiner psychologisierenden Analyse – "das traumatischste und wichtigste Ereignis in Zeppelins Leben". Fortan habe dieser einen "Drang nach Kompensation" für die verlorene Familienehre entwickelt und "psychologische Vergeltung" gesucht. Das Mittel dazu: dem Vaterland "eine neue und spektakuläre Waffe" in die Hand zu geben.
Zunächst ein Rückblick auf die Schmach des Grafen: Im Jahr 1885 wurde Zeppelin zum Militärattaché der württembergischen Botschaft in Berlin ernannt. Zwei Jahre später nahm er den Botschafterposten und die Mitgliedschaft im Bundesrat des deutschen Kaiserreichs an. Eine prekäre Aufgabe, denn es galt, die süddeutschen Interessen in einer Zeit geltend zu machen, in der gemurrt wurde, der "deutsche Hund" tanze nach der "preußischen Pfeife". Die ersten Misstrauensvoten dem Stuttgarter Gesandten gegenüber ließen nicht lange auf sich warten. 1890 bat Zeppelin um die Rückversetzung in den württembergischen Militärdienst.
Im selben Jahr verfasste er ein Memorandum, in dem er beklagte, die preußische Generalität nehme den Part des "Bestimmenden" gegenüber den schwäbischen Offizieren ein. Die Soldaten würden "zu ängstlicher Unterwürfigkeit" erzogen und "ihrem König entfremdet". Das Memorandum kam dem neuen Kaiser Wilhelm II. unter die Augen, der auf Loyalität größten Wert legte. Im Herbst 1890 bekam Zeppelin beim jährlichen Kaisermanöver eine Kavalleriedivision übertragen. Der preußische Kriegsspiel-Aufseher, General von Kleist, war unzufrieden mit Zeppelins Auftritt. Er wurde seines Kommandos enthoben; selber durfte er nur noch seinen Abschied aus der württembergischen Armee einreichen.
Der König in Stuttgart sah die politische Kabale und beförderte seinen Offizier pro forma zum Generalleutnant. Doch Zeppelin war nun, mit 52 Jahren, arbeitslos. Seine Uniform – immerhin – durfte er mitnehmen. Mit ihr sollte er sich noch oft vor Fotografen in Szene setzen.
Mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter hatte der Graf begonnen, Tagebuch zu führen, eine Gewohnheit, die er bis zu seinem Tod beibehielt. Was Zeppelin dachte und fühlte in dieser Zeit der Leere nach dem Karriereknick, ist dennoch unbekannt. Der persönliche Nachlass befindet sich im Besitz des Urenkels Albrecht von Brandenstein-Zeppelin, der mit seiner Familie in einem jahrzehntelangen Streit mit dem Land Baden-Württemberg und der Stadt Friedrichshafen um die Zeppelin-Stiftung liegt und sich einer historischen Aufarbeitung Tausender im Schloss Mittelbiberach gelagerter Dokumente verweigert. Zugänglich ist ein Schreiben Zeppelins an den Sekretär des württembergischen Königs von 1891, wo er ankündigt, "dass ich beabsichtige, demnächst Luftfahrzeuge zu bauen, von deren Lenkbarkeit auch bei starken Windströmungen ich überzeugt bin".
Der Zivilist wider willen meinte es ernst. Seine Fähigkeit zeigte sich, "Leute zu begeistern und zu halten", wie Claudia Emmert sagt, Kunsthistorikerin und Direktorin des Friedrichshafener Zeppelin-Museums. Der württembergische König wies dem Visionär die Manzeller Bucht zum Bau einer schwimmenden Werkstatthalle auf dem Bodensee zu. Von den oberen Fenstern des Schlosses Friedrichshafen aus war die Szenerie gut zu überblicken. Zeppelin wurde zum Wahl-Friedrichshafener, der im damaligen Hotel Deutsches Haus und im Familiensitz auf dem Schweizer Schlösschen Giersberg oberhalb von Konstanz wohnte.
Rastlos knüpfte der Pensionär mit den Luftschiffambitionen Kontakte zu Ingenieuren, Zulieferern und den Daimler-Werken. Zugleich charmierte er beim deutschen Militär mit seiner Erfindung, denn nur das Kaiserreich kam als Finanzier und Abnehmer infrage. Zugleich warnte er, Frankreich könne den Wettlauf um die Beherrschung des "Luftmeeres" gewinnen. Zwar hatte Zeppelin auch die Möglichkeiten einer meteorologischen Forschung oder des Personentransports im Zusammenhang mit seinem geplanten Starrluftschiff erwähnt. Doch sein Ziel, erinnert Jürgen Bleibler, sei es immer gewesen, "dem Vaterland eine überlegene Waffe zu schenken". Noch als knapp 20 Jahre später der Kaufmann und Zeppelin-Vertraute Alfred Colsmann die Deutsche Luftschifffahrts-Aktiengesellschaft (DELAG) gründete, um Geld mit Passagierflügen hereinzubekommen, reagierte der Graf reserviert. Für ihn handelte es sich um die halb verräterische Kommerzialisierung seines hehren Motivs.
Das Geld fehlte von Anfang an. Die alten Feinde in der kaiserlichen Offizierskaste verunglimpften Zeppelins Ideen in den Startjahren als "puren Jules Verne". Der Erfinder brauchte das Familienvermögen seiner Ehefrau Pauline auf. Im Jahr 1900 stieg dann das erste Luftschiff Zeppelin, genannt LZ 1, zur Jungfernfahrt über den Bodensee auf – bis ein Materialbruch nach 18 Minuten zur Notlandung zwang. Es gab jede Menge ungelöster technischer Probleme, von vereisenden Motoren bis zu Navigationsproblemen. Eine zuverlässige Kriegswaffe sieht anders aus.
Mit den Einnahmen gnädig gewährter staatlicher Lotterien wurde LZ 2 gebaut – und havarierte erneut bei Kißlegg im Allgäu. LZ 3 endlich schaffte in seinem Lebenszyklus 43 unbeschadete Fahrten, und zum ersten Mal zeigte die Armee Interesse. Der Ankauf von LZ 4 stand bevor, doch erst sollte Zeppelin beweisen, dass eine 24-Stunden-Fahrt möglich sei. Sie führte am 4. August 1908 von Friedrichshafen bis an den Rhein. Das Luftschiff musste notlanden, wurde repariert und wurde am 5. August bei Echterdingen doch endgültig zerstört.
Etwas schwer Begreifliches geschah danach: Die Niederlage wurde zum Triumph. Einer Legende zufolge soll sich noch an der Unglücksstelle ein Unbekannter vor die herbeigeströmten Schaulustigen gestellt und zu einer Volksspende für die Luftschifffahrt aufgerufen haben. Innerhalb von Monaten kamen 600 000 Mark zusammen, ein Großteil nicht vom "Mann auf der Straße", sondern von Industriebetrieben, Aristokraten und Politikern.
Zeppelins Ruf und sein Bankkonto waren saniert. Er stieg zum Volkshelden auf, dessen Name in einem Atemzug mit Reichskanzler Otto von Bismarck genannt werden sollte. 1908 gründete er mit dem Geld eine Stiftung zur Förderung des Flugmaschinenbaus, schuf die Luftschiffbau Zeppelin GmbH und andere Subunternehmen. Das größte Unternehmen der Zeppelin-Industrie ist heute die ZF AG mit einem Jahresumsatz 2015 von 30 Milliarden Euro und 140 000 Mitarbeitern.
Für die Friedrichshafener Museumschefin Claudia Emmert gehört zum Vermächtnis Zeppelins, "dass er so etwas wie das Silicon Valley des 19. Jahrhunderts geschaffen hat". Die Friedrichshafener verehren ihren Grafen bis heute als einen, der ihnen den Schlüssel zum Wohlstand in die Hand drückte. Jedoch liegen auch Schatten auf der Biografie des "Beherrschers der Lüfte". 1915, als der Erste Weltkrieg den Massentod über Soldaten in Europa brachte, forderte der greise Zeppelin in hetzerischen Briefen, Reden und Gesprächen den Krieg und den massiven Einsatz seiner Luftschiffe für das Flächenbombardement Englands. "Ganz England muss brennen!", rief er 1916 General Karl von Einem zu. Zeppelin forderte sogar die Kommandantur über das erste Luftschiff, das den Bombentod über den Hafen von London bringen sollte.
Am 8. März 1917 starb der Erfinder und vaterlandsvernarrte Offizier. Er wurde auf dem Stuttgarter Pragfriedhof beigesetzt. Seine weiterentwickelten Luftschiffe ließen zwar als Passagiervehikel das Publikum noch staunen, als Kriegswaffen blieben sie infolge der Entwicklung von Flugzeugen bedeutungslos. 1937 ging das 245 Meter lange Luftschiff LZ 129 mit dem Hakenkreuz auf der Heckflosse beim Anflug auf Lakehurst bei New York in Flammen auf. Es war vorbei.
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