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Zischup-Interview

"Viele traurige Geschichten"

  • Mathilda Beckherrn, Klasse 9b, Marie-Curie-Gymnasium & Kirchzarten

  • Di, 06. Juni 2017, 00:00 Uhr
    Schülertexte

     

Wafa Khalil kommt aus Syrien und lebt seit 1996 in Freiburg. Sie ist Sozialarbeiterin beim Deutschen Roten Kreuz. Über ihre Arbeit in der Flüchtlingshilfe interviewte sie die Zisch-Reporterin Mathilda Beckherrn aus der Klasse 9b des Marie-Curie-Gymnasiums in Kirchzarten.

Viele Flüchtlinge benötigen Unterstützung   | Foto: dpa
Viele Flüchtlinge benötigen Unterstützung Foto: dpa
Zischup: Frau Khalil, wie lange arbeiten Sie schon in der Flüchtlingshilfe und wo?
Wafa Khalil: Ich bin seit einem Jahr und vier Monaten beim Deutschen Roten Kreuz als Sozialarbeiterin beschäftigt. Zuerst arbeitete ich in der Notunterkunft in der Stadthalle. Seit vier Monaten sind die Flüchtlinge im Kappler Wohnheim untergebracht und ich bin nun dort tätig.
Zischup: Wie kamen Sie dazu, sich für diese Arbeit zu engagieren?
Khalil: Nach Abschluss meines Psychologiestudiums suchte ich neben einer Tätigkeit eine weitere Herausforderung. Da ich die arabische Sprache beherrsche und immer mehr Flüchtlinge kamen, wollte ich vor allem Dingen helfen.


Zischup:
Wie oft fahren Sie nach Syrien? Und wie erfahren Sie die Lage dort?
Khalil: Vor 2011 fuhr ich jedes Jahr dorthin, nach den ersten Unruhen im Jahre 2011 sah ich meine Familie vier Jahre nicht mehr. Seit diesem Jahr habe ich die Möglichkeit, meine Verwandten an einem ruhigen Ort zu treffen, im Libanon. Viele machen von dieser Möglichkeit Gebrauch, zum Beispiel ihre Familie in der Türkei zu treffen. Durch die Erzählungen meiner Familie bekomme ich einiges über die Lage in meiner Heimat mit. Viele Stadtteile sind nicht mehr bewohnbar und werden durch den IS oder die freie Armee kontrolliert. Meine Familie musste aus ihrem Stadtteil fliehen, lebt aber immer noch in Damaskus. Die Unsicherheit ist überall spürbar. Abends muss man früh zu Hause sein, man kann sich nicht frei bewegen, viele haben ihre Wohnung und Arbeit verloren.

Zischup: Wie sieht Ihre Arbeit aus?
Khalil: Ich bin in einem Büro als Sozialarbeiterin tätig und habe 80 Klienten. Meine Aufgaben bestehen zum Beispiel darin, Anträge an das Sozialamt zu stellen, damit die Flüchtlinge Geld bekommen, oder Unterlagen für das Jobcenter vorzubereiten.
Auch beim Vereinbaren von Arztterminen stehe ich ihnen zur Seite und arrangiere Dolmetscher für die Arztbesuche. Für die Kinder der Klienten suche ich geeignete Schulplätze und kümmere mich um Sprachkurse und die allgemeine Integration der Flüchtlinge.
Zischup: Gibt es ein Erlebnis, das Sie besonders beeindruckt hat?
Khalil: Da gibt es einige, zum Beispiel die traurige Geschichte einer Familie, die ihren Mann beziehungsweise Vater auf der Flucht verlor, ebenso das Schicksal jesidischer Frauen die von dem IS verfolgt, verhaftet und vergewaltigt wurden. Besonders schlimm finde ich auch, dass viele Jugendliche zum Teil unter 14 Jahren alleine hierher kommen und hoffen, dass ihre Familie auf Antrag nachfolgen kann. Diese Jugendlichen sind hier auf sich gestellt und mit der Situation völlig überfordert.

Zischup: Haben Sie auch negative Erfahrungen gemacht?
Khalil: Doch auch. Aber nur selten werden Flüchtlinge auch mal aggressiv oder gereizt. Einer meiner Klienten wurde einmal so aggressiv, dass er mich nur noch mit einem Security-Mann im Büro aufsuchen durfte.
Zischup: Welche Gefahren sehen Sie bei der Flüchtlingsthematik?
Khalil: Wichtig ist es, die Menschen von Anfang an richtig in die Gesellschaft zu integrieren und anzunehmen. Es ist eine große Herausforderung für die Betreuer.
Zischup: Wo brennt es Ihrer Meinung nach am meisten? Wo braucht es dringend Unterstützung?
Khalil: Meistens fehlt es an Sozialarbeitern.

Zischup: Wie sieht es bei Ihnen in Zukunft aus, wollen Sie sich weiter engagieren?
Khalil: In nächster Zeit möchte ich mich im Flüchtlingsbereich weiter betätigen – bei der Erziehung von Kindern und der Betreuung junger Flüchtlingseltern. Weiter möchte ich meine Dolmetscherfähigkeiten weiter ausbauen.
Zischup: Wenn ich mich einsetzen wollte, in welcher Form könnte das stattfinden?
Khalil: Du könntest eine Patenschaft mit einer Gleichaltrigen übernehmen, das könnte zum Beispiel heißen, dass du mit ihr Freizeit verbringst und ihr beim Deutsch lernen hilfst oder ihr die Umgebung zeigst. Ehrenamtlich gibt es viele Möglichkeiten, sich einzusetzen, zum Beispiel in eine Jugendheim. Dort kann man gemeinsam spielen und Essen zubereiten.

Ressort: Schülertexte

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