Pop

Honeymoon: Das dritte Album von Lana Del Rey

Lana Del Rey hat auf ihrem dritten Album nicht versucht, Hits auf Teufel komm raus zu produzieren. Genau das ist die Stärke von Honeymoon – eine morbide, teils cannabisgeschwängerte Scheibe.  

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Scheues Reh mit Siebziger-Jahre-Fixierung: Lana Del Rey   | Foto: Neil Krug
Scheues Reh mit Siebziger-Jahre-Fixierung: Lana Del Rey Foto: Neil Krug
Eine Frau will ihre Ruhe. Im pastellfarbenen Video zur aktuellen Single "High by the Beach" streift sie durch ein Steilküsten-Haus, (vorne Meer, hinten Schnellstraße), das Haar und die weißen Vorhänge flattern im Wind, als ein schwarzer Hubschrauber angeflogen kommt, in dem ein Fotograf sitzt. Was macht Lana? Eilt durch das mondäne Haus zum Strand, schnappt sich einen zwischen Felsen versteckten Gitarrenkoffer, entnimmt ihm ein mächtiges Maschinengewehr und holt den Heli mit einem Schuss vom Himmel. "All I wanna do is get high by the Beach/ All I wanna do is get by by the Beach/ Get by Baby, Baby bye bye", singt sie dazu im recht direkten Refrain: Alles, was ich will, ist am Strand high werden und alles um mich herum vergessen. Musikalisch ist das Stück mit einem etwas schnelleren, aber immer noch hingetupft wirkenden elektronischen Beat unterlegt, der Gesang ist leicht verfremdet. "High by the Beach" ist nicht richtig schnell, aber noch das temporeichste Lied des gesamten Albums, ein Musik gewordener, überdrüssiger Tagtraum.

Introvertierter Star

Eine Frau will ihre Ruhe. Lana ist auch vier Jahre nach dem ersten Riesenerfolg kein extrovertierterer Mensch geworden. Im Gegenteil. Vor kurzem zog sie vom Los Angeles’ Indieviertel Silverlake in, Achtung Parallele zum "Beach"-Video, ein Häuschen am Strand von Malibu. Sie ist jetzt mit dem italienischen Fotografen Francesco Carrozzini zusammen, mit dem sie im August auf der Hochzeit von Monaco-Prinz Pierre Casiraghi war, ansonsten macht sie sich in der Öffentlichkeit rar. Interviews zum neuen Album wollte das scheue Reh gleich gar nicht geben. Nur mit dem Schauspieler James Franco hat sie gesprochen, aber der schreibt auch ein Buch über sie und ist ein guter Freund. In die Welt der exaltierten Popstars Beyoncé, Taylor Swift, Rihanna oder Katy Perry hat sie trotz Mainstreamerfolgs sowieso nie gehört. Ihre Selbstinszenierung ist eine andere. Mysteriös, geheimnisvoll, tiefgründig. "Man kann keine bleibenden Werte in der Popmusik schaffen, wenn man nichts zu erzählen hat", sagte sie vor einem Jahr. "Ich weiß jetzt schon genau, dass ich später meinen Kindern meine ganze Lebensgeschichte anhand meiner Songs erzählen kann."

Keine Hits, trotzdem gut

Als Lana Del Rey noch sprach, im April 2014 zum Album "Ultraviolence", kündigte sie schon an, mit dessen Nachfolger nicht lange zu warten. "Es wäre dumm von mir, wenn ich meine Kreativität zurückhalten würde."

Als Co-Produzent und Songschreiber ist wieder Rick Nowels mit von der Partie, der schon zusammen mit Del Rey für die einzigartige Klangfarbe der Songs des Debüts "Born to die" sorgte. Auf "Honeymoon" findet sich nichts, was sich landläufig als Hit bezeichnen ließe, doch macht gerade das Fehlen schlichter Pop-Schlüsselreize einen Teil der Faszination aus. Wie das Album schon anfängt! "Honeymoon", der Titelsong, dauert über sechs Minuten, Lana singt so traurig und so schön wie nie, dazu spielen Streicher. Das Lied würde auch in einer Kirche gut klingen.

Dazu singt sie davon, ihr Leben vor lauter Träumerei nicht auf die Reihe zu kriegen, was eines ihrer lyrischen Leitmotive zu sein scheint.

Noch dunkler, mysteriöser und faszinierender wird es in "Terrence Loves you". Prägend ist das Piano, Lana singt dieses sehr langsame, getragene Lied mit aller stimmlichen Eleganz, es geht um eine Hollywood-Legende, die nicht alt werden will, aber irgendwie ist es auch egal, worum es geht. Bei Lana Del Rey ist es die Atmosphäre, die der Kunst den Stempel aufdrückt, und meist haben die Songs irgendetwas mit Schönheit, Verfall, Traurigkeit, der Liebe und dem Tod zu tun.

Etwas mehr Pop, aber noch immer sehr soft und verkünstelt: "Music to Watch Boys to". Lana hat nicht die tollste Stimme auf dem Planeten, aber sie kann ihren Gesang variieren. Manchmal singt sie extra tief, speziell in den Refrains wechselt sie gern in das Falsett, das macht sie sehr gut. Obwohl das Grundgefühl des 14 Songs langen Albums ein sehr durchgängiges ist – der etwas morbide, romantische, betörende, an Cannabis und schönen Menschen reiche Sonntagvormittag im Künstlerviertel Venice Beach der Siebziger Jahre – wird einem beim Hören nicht langweilig, trotz kleinerer Hänger. Das Cover Klassikers "Don’t Let Me Be Misunderstood" mit seinem Kirmesmusikakkordeon passt nicht richtig rein, "The Blackest Day" wirkt mit seiner Anlehnung an Madonnas "Deeper" ebenfalls etwas deplatziert. "Art Deco" ist wieder mal mehr vertonte Szenerie (Poolparty spätnachts mit stark melancholischer Note), und "Freak" ist praktisch die einzige Nummer, in der Del Rey und Nowels mit TripHop-Sprengseln ein wenig Richtung urbaner Musik gehen.

Hinreißend aber wird es dann doch noch mal. Nach "God Knows I Tried", zurückhaltend instrumentiert mit Westerngitarre und dezent an die Eagles angelehnt, möchte man Lana endgültig in den Arm nehmen und trösten, so schrecklich traurig singt sie sich in ein Meer aus Tränen. Und bei dem etwas vom Blues beeinflussten "Salvatore", in dessen Refrain die Worte "ciao amore" nicht fehlen, hat ein gefühlvoller Mensch gar keine andere Wahl als vor dieser geballten Sinnlichkeit zu kapitulieren. Von "Soft Ice Cream" singt Lana hier immerzu. Und die kalifornische Hitze flirrt.

Lana del Rey: Honeymoon (Universal)

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