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Charlotte Niemeyer: „Ich bin nicht der Typ, der rasch aufgibt“

Fr, 11. Oktober 2024

Anzeige Die Kinderklinikneubauvorantreiberin über die neue Kinder- und Jugendklinik, die Initiative zur Verbesserung der Patientenversorgung sowie zukünftige Projekte in der Kinder- und Jugendpsychiatrie

Hat noch viel vor und plant schon neue Projekte: Charlotte Niemeyer. FOTO: KATHRIN BLUM

Charlotte Niemeyer hat sich jahrelang unermüdlich für die neue Kinderklinik eingesetzt. Im Interview spricht sie über den Entstehungsprozess, Extrameilen und Elterngesundheit.

Fast 14 Jahre ist es her, seit Sie den Wunsch nach einer neuen Kinderklinik erstmals öffentlich formuliert haben. Erinnern Sie sich an die ersten Reaktionen?

Von offizieller Seite kam damals die Forderung, zuerst einen zweistelligen Millionenbetrag an Spenden zu sammeln.

Spitzenmediziner als Spendensammler.

Es ist natürlich – höflich formuliert – ein Missverständnis, wenn Ärzte und Klinikmitarbeiter Spenden sammeln sollen, um einen dringend benötigten Klinikneubau zu erwirken. So ist es ja dann auch nicht gekommen. Trotzdem muss man realistischerweise sagen: Es braucht die Öffentlichkeit, um so ein Anliegen anzuschieben. Als wir 2011 losgelegt und 2012 die „Initiative für unsere Kinder und Jugendklinik Freiburg e.V.“ gegründet haben, ging es uns nicht vorrangig um die Zahl der Spenden, sondern darum, Verständnis dafür zu schaffen, was Kindermedizin ist und warum Kinder mehr brauchen als Medizin.

Ist das gelungen?

Ja, wir konnten viele Menschen für die Idee begeistern, die Klinik von den Patienten aus zu denken und den Umgang mit kranken Kindern, Jugendlichen und Familien in der Klinik zu verändern. Wir konnten vermitteln, dass es auf den Inhalt und die Konzepte ankommt. Der Klinikbau an sich wurde vom Land finanziert. Die umgesetzten Konzepte der heilenden Umgebung hingegen von vielen Spendern, die mit ihrer Spende einen oder mehrere Kubikmeter „Geborgenheit und Zuwendung“ (Patientenzimmer) oder „Kraftschöpfen“ (Patientenbücherei und Ruheraum) geschenkt haben.

Am Ende sind gute sechs Millionen Euro Spenden zusammengekommen. Das ist weit weg von der einst geforderten Summe ...

Im Vergleich zu Städten, in denen private Stiftungen großer Unternehmen ungewöhnlich großzügige Spenden ermöglichten, mag die Summe vielleicht klein erscheinen. Die Leistung der Region, die Anzahl der Förderer, die dahintersteht, ist aber umso größer. Viele Menschen haben Kindermedizin kennengelernt, die „Initiative“ begleitet und -uns den Rücken gestärkt.

Sprechen Sie deshalb davon, dass die neue Klinik eine Leistung der ganzen Region, dass sie „unsere“ Kinderklinik ist?

Ja, wir haben sie uns gemeinsam erarbeitet. Ich bin den damaligen Akteuren im St. Josefskrankenhaus sehr dankbar, dass sie bereit waren, etwas gemeinsam zu schaffen. Ein Krankenhaus für die Region, eine Klinik für die ganze Welt. Die Architekten, viele Mitarbeiter im Klinikum und der am Bau beteiligten Firmen sind Extrameilen gelaufen, um die patientenorientierten Konzepte umzusetzen. Und sehr viele Menschen in der Region haben mitgeholfen, die Klinik so zu realisieren, wie sie heute dasteht. Es freut uns, dass sich viele mit dieser Art von Medizin identifizieren. Der Ansturm am Tag der offenen Tür im September hat das eindrücklich gezeigt.

Wodurch unterscheidet sich die Medizin in der neuen von jener in der alten Klinik?

Die medizinische Versorgung ist und war in beiden Häusern exzellent. In der alten Klinik gab es in den Patientenzimmern auf 7,6 Quadratmetern keinen Platz für Patienten und Eltern. Die neue Klinik hat nicht nur mehr Raum, entscheidend ist, dass sie in ihrer architektonischen Struktur vom sogenannten Eltern-Kind-Patienten aus gedacht ist. So gibt der sogenannte Anders-Warten-Raum allen Altersgruppen die Möglichkeit, Wartezeit auch sinnvoll zu nutzen, zur Lebenszeit zu machen. Für stationäre Patienten gibt es einen „Raum für Entwicklung und Normalität“. Dort sollen Begegnungen und auch familiärer Lebensalltag gefördert werden. Es gibt hier Rückzugsnischen für Jugendliche; Tische, an denen Familien gemeinsam essen und spielen oder die Eltern auch mal arbeiten können, außerdem Räume für Schule und psychologische Betreuung. Im neuen Haus sollen Gemeinschaft für Kinder und Eltern, aber auch Rückzug und Privatheit möglich sein.

Sie haben sehr für die Klinik und ihr besonderes Konzept gekämpft. Der Weg war lang. Und mühsam. Wie oft waren Sie kurz davor, alles hinzuschmeißen?

Ich bin kein Mensch, der rasch aufgibt. Aber auch wenn man sich sehr für eine Sache einsetzt, muss man Kompromisse akzeptieren. Man darf sich von Rückschlägen nicht zu sehr beeindrucken lassen, sondern muss schauen, ob es nicht doch einen anderen, einen innovativen Weg gibt, weiterzukommen. Im Übrigen verbinde ich mit dem Entstehungsprozess unserer neuen Kinderklinik sehr viele positive Erfahrungen. Auch Menschen, die dem Anliegen anfänglich kritisch gegenüberstanden, sind im Laufe der Zeit gute Freunde und Unterstützer geworden.

Nicht nur Architekten haben die neue Kinderklinik geplant, sondern auch eine Psychologin. Wie kam es dazu?

Durch einen Zufall: Bei einer Tagung in den Niederlanden 2012 habe ich die Architektin Gemma Koppen und die Psychologin Tanja Vollmer kennengelernt, die gemeinsam Konzepte zur heilenden Umgebung entwickeln. Wir hatten großes Glück, dass wir mit ihnen zusammenarbeiten durften, finanziert durch die „Initiative“. Heute ist „healing architecture“ in aller Mund, vor gut zehn Jahren war das noch anders.

In einem Interview 2017 haben Sie gesagt: Das Umfeld in einer Kinderklinik macht die Hälfte des Genesungsprozesses aus. Werden die Patienten jetzt schneller gesund?

Zugegeben, das ist eine kühne Behauptung. Es gibt keine Daten, die belegen, dass das Umfeld im Krankenhaus eine Auswirkung auf die Geschwindigkeit der Heilung hat Tanja Vollmer untersucht aktuell im Rahmen einer Studie, welche Empfindungen Patienten und deren Eltern in der neuen Klinik im Vergleich zur alten haben. Allerding: kann man vieles nur bedingt messen. Es gibt zum Beispiel nur wenig Literatur über Elterngesundheit. Eltern tun alles für ihr krankes Kind und stellen dabei ihre eigenen Bedürfnisse zurück. Häufig bedeute ein krankes Kind so auch Raubbau an der Gesundheit der Eltern. Genauso betroffen sind Geschwister. In der Kinder- und Jugendmedizin geht es nicht nur darum, einen Patienten zu heilen, sondern auch darum, langfristige Schäden im Familiengefüge zu vermeiden. Aus Erfahrung wissen wir, dass Auswirkungen der Krankheit eines Kindes auf die Familien auf lange Sicht genauso dramatisch sein können wie die Erkrankung selbst. Insofern ist es richtig zu sagen: Das Umfeld, in dem wir behandeln und Patienten und Familien begegnen, wirkt sich direkt auf den Genesungsprozess und die Gesundheit aller Familienmitglieder aus.

Ihr Ziel ist erreicht, die Klinik steht, ist finanziert, hat eröffnet. Wird die „Initiative“ jetzt aufgelöst?

Nein, dieser Verein wird weiterhin gebraucht. Es sollte keinen Unter schied machen, ob Kinder somatisch oder psychisch krank sind. Deshalb muss ein nächstes Projekt sein, mit der Öffentlichkeit und dem Universitätsklinikum den dringend benötigen Neubau für die Tageskliniken der Kinder und Jugendpsychiatrie auf den Weg zu bringen. Die Zahl der betroffenen Patienten steigt auch nach der Pandemie weiter. Wir brauchen für Freiburg und die Region dringend eine Lösung. Mit den aktuellen räumlichen Kapazitäten ist die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie nicht in der Lage, alle erkrankten und teils akut gefährdeten Patienten adäquat zu betreuen. Das Universitätsklinikum stellt notfallmäßig das Gebäude der alten Kinderklinik zur Verfügung. Das kann aber nur eine Übergangslösung sein. Es braucht auch hier einen Neubau. Die Initiative hat sich vorgenommen, diesen voranzubringen. Freiburg hat es einmal geschafft - und kann das auch ein zweites Mal.

Sie könnten sich jetzt zurücklehnen, machen aber das Gegenteil und klingen hochmotiviert. Werden Sie niemals müde?

Ich habe das Glück, zu den Schnellerholern zu gehören. Wenn ich einmal genug geschlafen habe, bin ich wieder fit. Und dass ich alt bin, heißt ja nicht, dass ich müde sein muss. Ich möchte auch zukünftig noch Dinge voranbringen – bei der Patientenversorgung genauso wie in der Krebsforschung.
Kathrin Blum

Charlotte Niemeyer

Kinderärztin, Krebsforscherin, Kinderklinikneubauvorantreiberin: Charlotte Niemeyer war von 2001 bis 2023 Ärztliche Direktorin an der Unikinderklinik. Sie ist Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und hat großes Renommee als Krebsforscherin. Sie wurde unter anderem mit dem Deutschen Krebspreis und für ihr Lebenswerk von der European Hematology Association ausgezeichnet. Das Land Baden-Württemberg würdigte sie mit dem Verdienstorden. Von 2010 an hat sich die heute 70-Jährige für den Neubau der Kinder- und Jugendklinik eingesetzt.
kbl


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