"Sobald ihr lallt, bin ich weg"
FUDDER-DEBATTE: Vier junge Menschen diskutieren über Alkohol, das Alleinetrinken und die Schwierigkeit, Nein zu sagen.
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Keine Party, kein Konzert, kein Fußballspiel, kein Wochenende ohne: Für junge Erwachsene gehört Alkohol zum Alltag. Über den Kater am Morgen nach der Uniparty und den Blackout im Ibiza-Urlaub wird irgendwann gelacht. Paula Kühn hat mit vier jungen Südbadenerinnen und Südbadenern über die Alltagsdroge Alkohol und ihren ganz persönlichen Umgang damit gesprochen.
Matteo: Ein bis zwei Bier pro Woche sind in Ordnung. Ich glaube, es gibt recht früh Schäden.
Heidi: Ein bis zwei Bier am Abend sind in Ordnung. Ab dem vierten wird es problematisch.
Nora: Es gibt offizielle Statistiken, die sagen, dass eine Frau bis zu 12 Gramm reinen Alkohol am Tag verträgt und ein Mann etwa das Doppelte. Ich finde es schwer, sich daran zu orientieren, schließlich spielen Alter, Gewicht und erbliche Vorbelastung auch mit rein. In der Suchtprävention heißt es auch, dass man zwei Tage alkoholfrei bleiben soll. Das ist gar nicht so einfach, wenn ich so in meinen Bekanntenkreis schaue.
Heidi: Ich arbeite in der Gastronomie. Bei mir kommen viele auf ihr Feierabendbier vorbei. Die haben alle zehn bis zwölf Bier im Rachen wenn sie heim gehen. Für die ist das täglicher Standard. Die meisten trinken dann Zuhause weiter. Und irgendwann kann man nicht mehr ohne.
Matteo: Ich mache eine Ausbildung zum Winzer. Bei der Arbeit ist Alkohol strikt verboten. Was jeder privat macht, ist seine Sache, aber auf der Arbeit wissen wir, mit was für einem Produkt wir es zu tun haben.
für Geselligkeit."
Matteo Rinklin
Heidi: Das kommt schleichend. Man sitzt zusammen, trinkt, beginnt, auch allein zu trinken. Dann merkt man, dass man unsicher wird und trinken muss, um etwas Bestimmtes machen zu können und unter Leute zu gehen. Und dann kann man nicht mehr aufstehen, ohne zu trinken.
Fudder: Wie bist Du vom Alkohol losgekommen, Heidi?
Heidi: Ich habe einen kalten Entzug gemacht, bin zu meinem Bruder gefahren, um mich abzulenken. Seither bin ich trocken.
Matteo: Ziemlich heftig am Anfang oder?
Heidi: Der Entzug war nicht so schlimm, aber was danach kam, war richtig übel. Da kam dann das wahre Leben auf einmal auf mich zu, all’ das, was ich mit dem Alkohol zu deckeln versucht habe. Ich bin richtig depressiv geworden und es ist alles zusammengefallen. Wenn ich bei meinem Gastro-Job sehe, wie meine Arbeitskollegen sich verhalten, wenn sie trinken, ist mir das manchmal richtig peinlich. Ich sage meinen Freunden: ’Sobald ihr lallt, bin ich weg’. Die werden manchmal richtig unangenehm, fangen an, grundlos zu pöbeln. Früher war ich genauso. Aber da war ich 18 und keine 30. Das sind erwachsene Leute. Die haben zum Teil Kinder und verhalten sich richtig asozial.
Fudder: Wie spricht man es an, wenn jemand zu viel trinkt?
Heidi: Einfach sagen, wie du es siehst. Ich habe auch schon zwei Kollegen zum Entzug gebracht. Überreden brauche ich keinen, aber wenn sie wollen, bin ich die Letzte, die nicht hilft. Aber es gibt auch Menschen, da renne ich gegen die Wand. Die wissen genau, dass sie alkoholsüchtig sind und wollen es nicht hören.
Fudder: Warum wird Alkohol nicht als so gefährlich wahrgenommen?
Matteo: Wein ist eben auch ein Produkt für Geselligkeit. Man trinkt ja gerne Wein zu gutem Essen.
Nora: Jeder sucht nach tollen Erlebnissen. Und das ist etwas, was einem die Droge Alkohol enorm gut liefert. Es ist sehr einfach, sehr schnell, sehr entspannend. Schlechte Erlebnisse mit Alkohol sind schnell vergessen.
Fudder: Verschafft Alkohol auch ein Gefühl der Freiheit?
Heidi: Absolut, ja.
Matteo: Dafür ist man ja Mensch oder? Um seine freien Entscheidungen zu treffen. Manche Menschen wissen eben, wie man mit riskanten Sachen umgeht und manche Menschen werden abhängig.
Nora: Ich glaube auch, dass viele gar nicht die Lust haben, sich wirklich mit dem Thema Alkohol auseinander zu setzen. Es ist einfacher, nach Hause zu kommen und eine Flasche Bier aufzumachen. Stattdessen könnte man auch seine Bergschuhe anziehen, auf den Berg gehen und ein geiles Erlebnis haben. Aber das ist schon ein bisschen mehr Aufwand.
Matteo: Abends eine Flasche Bier – ich würde das als normal bezeichnen. Da muss man nichts suchen, was man stattdessen machen kann.
Nora: Ich finde es schon kritisch, wenn das jeden Tag ist. Ich würde mir überlegen, mal etwas anderes zu machen, die Joggingschuhe neben den Kühlschrank stellen und eine Runde joggen gehen. Da hat man dann auch ein viel besseres Gefühl. Und man könnte auch mal einen Selbsttest machen und schauen, ob man auch ein paar Wochen ohne Alkohol auskommt. Danach schmeckt dann ein Glas Bier auch gleich wieder ganz anders.
Fudder: Trinkt ihr manchmal allein?
Larissa: Ich finde es gefährlich, allein zu trinken. Wenn man mal einen schlechten Tag hat, ist die Versuchung groß, ein Glas Wein zu trinken. Alles wird dann für den Moment leichter und man kann seine Traurigkeit vielleicht kurz vergessen.
Matteo: Ich trinke manchmal allein. Aber nicht, weil ich mich schlecht fühle, sondern, um gute Momente abzuschließen. Wenn ich krank bin, trinke ich vor dem Schlafen gehen einen Schnaps.
Nora: Ich trinke super selten allein. Aber wenn, dann genieße ich auch richtig: mit einem Glas Wein in der Badewanne sitzend oder auf dem Balkon. Gefährlich wird das Alleinetrinken, wenn es regelmäßig wird. Kritisch finde ich auch, wenn man versucht, seine Gefühlslage mit Alkohol zu verändern. Zum Beispiel, wenn man trinkt, um nach einem stressigen Tag besser drauf zu kommen.
Fudder: Warum ist es so schwer, weniger oder gar nicht zu trinken?
Larissa: Wenn man in der Gruppe trinkt, trinken in der Regel ja alle recht viel. Wenn man dann sieht, wie alle um einen herum betrunken werden und über Sachen lachen, die man nüchtern nicht lustig findet, fühlt man sich ausgeschlossen und will dazu gehören und auch das gleiche Gefühl haben, wie die anderen. Es ist schwierig, ’Nein’ zu sagen.
Heidi: Das ist aber so wichtig!
Nora: Da muss jeder ganz stark bei sich selbst anknüpfen. Will ich heute Abend wirklich trinken? Und das verlangt sehr viel von einem, da standhaft zu bleiben.
Larissa: Ja, klar ist es wichtig. Aber da geht es darum, dazu zu gehören. Alkohol ist etwas Geselliges, etwas, das Gruppen zusammen hält. Das ist eigentlich ziemlich traurig: Warum brauchen wir Drogen, um zu reden, um Spaß zu haben, um runter zu kommen? Wenn man Alkohol trinkt, kann man plötzlich über alles reden. Oder auch Sachen ansprechen.
Heidi: Ja. Und dann sagt man Sachen, die man vielleicht gar nicht sagen möchte. Und am Morgen danach denkt man dann: ’Oh mein Gott!’ Einen klaren Kopf haben, das ist Gold wert. Ich bin dankbar, dass ich die Erfahrung gemacht hab und dass ich jetzt trocken bin. Ich bin auch so gesellig und froh, dass ich den Alkohol nicht brauche. Bei der Arbeit trinken die Leute so viel, das ist schon krass.
Larissa: Viele brauchen den Alkohol auch, um zu funktionieren. Ich sehe das häufig bei Frauen. Da ist es oft eine verdeckte Sucht. Die trinken zum Teil, um den Stress zu kompensieren und um alles gleichzeitig zu schaffen: zu arbeiten, die Kinder zu versorgen, das Familienleben zu organisieren, um alles zu managen.
Fudder: Wie geht man also am besten mit Alkohol um?
Nora: Ich bin für eine stärkere und kritischere Auseinandersetzung mit Alkohol und zwar in allen Schichten. Das heißt auch, dass offener mit dem Thema umgegangen wird. Dass man offener darüber reden kann und dann auch schneller dazu kommt, sich Hilfe zu holen oder es bei anderen anzusprechen. Alkoholkranke werden immer noch stark stigmatisiert.
Heidi: Ja, aber die Scham ist oft groß.
Larissa: Alkohol ist und bleibt ein Teil unserer Gesellschaft. Deshalb darf das Thema nicht tabuisiert werden. Alkoholerkrankte werden stigmatisiert und es ist schwierig für sie, Hilfe zu bekommen.
Fudder: Liegt das vielleicht auch daran, dass wir so eigentlich ganz gerne trinken und deshalb gar nicht wissen wollen, wie gefährlich Alkohol eigentlich ist?
Nora: Ja, dazu ist mir gerade noch ein Satz eingefallen: Alkohol ist ein bisschen wie der Wolf im Schafspelz.
Matteo: Beim richtigen Umgang ist Alkohol ist eine schöne Droge. Und es ist wichtig, dass Hilfe für Leute geboten wird, die den richtigen Umgang nicht richtig können oder verlernt haben.
Heidi: Es geht einfach darum, das Maß zu finden, seine Grenzen zu kennen. Das ist das A und O. Eigentlich bei allen Sachen im Leben.
Diskussionsteilnehmer
» Heidi Lindner (Name von der Redaktion geändert), 33, kommt aus Freiburg und arbeitet in der Gastronomie. Sie wurde als Teenager alkoholabhängig und machte mit 18 Jahren einen Entzug. Seitdem trinkt sie keinen Alkohol mehr.Matteo Rinklin, 19, kommt aus Eichstetten. Er macht eine Ausbildung zum Winzer und findet Wein als Genussmittel vollkommen in Ordnung.
» Larissa Mayer, 21, kommt aus Freiburg und engagiert sich im Alkoholpräventionsprojekt "Prärie". Als "Peer" ist sie im Freiburger Nachtleben unterwegs und spricht mit Jugendlichen über Alkoholkonsum. Sie trinkt selber gern auch mal mit Freunden, weiß aber Alkohol mit Vorsicht zu genießen.
Nora Elfgang, 29, studiert in Freiburg Soziale Arbeit und arbeitet bei "Prärie". Dort bereitet sie als Ausbilderin die "Peers" für ihren Einsatz vor.
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