Sechs Jahre alt und keine Zukunft
Von den Eltern misshandelt und verlassen: Claudia ist eines von 17 Kindern im peruanischen Heim "agape".
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Nach dem Abitur hinaus in die weite Welt - Juz-Mitarbeiterin Auria Steiner hat sich den Wunsch erfüllt. Sie arbeitete ein Jahr in einem Kinderheim in Lima, der Hauptstadt von Peru. Dort schloss sie Freundschaft mit Claudia, einem sechsjährigen Mädchen mit erschreckender Vergangenheit.
Claudia ist eines von 17 Kindern im Alter von fünf bis elf, die in dem katholischen Kinderheim "agape" in Lima leben. Ihre Biografie ist in Peru eine von vielen und denen der anderen Heimkinder doch sehr ähnlich: Claudias Vater ist Ende sechzig, verheiratet und hat drei erwachsene Söhne. Claudia ging aus einer Affäre mit einer 18-Jährigen hervor. Die Mutter verschwand nach der Geburt und ließ den Säugling zurück. Der Vater behielt seine Tochter die ersten Monate, musste sie dann aber auf Betreiben seiner Ehefrau weggeben. Einer der Söhne erklärte sich bereit, Claudia aufzunehmen. Er hatte jedoch schon eigene Kinder und auch seine Frau akzeptierte das kleine Mädchen nicht. Sie begann, das Kind zu misshandeln.
Claudia wurde in einem kleinen Raum eingesperrt, verbrachte dort Tag und Nacht allein. Keiner wusch sie. Eine Toilette gab es auch nicht, das Kind lag in seinen Exkrementen. Oft bekam es nichts zu essen, wurde geschlagen und verstand nicht, warum sein Vater es nicht besuchte. Im Alter von sechs Jahren kam Claudia ins Heim - aufgewachsen ohne jegliche Liebe, mit dem Gefühl, unnütz zu sein und verlassen.
Oft versichern die Eltern noch, dass sie bald kommen, um ihre Kinder wieder abzuholen. Die Kinder aber warten vergebens. Sie machen sich Vorwürfe, meinen, die Trennung von den Eltern hätten sie selbst verschuldet. Was übrig bleibt, sind Kinder mit zerbrochenen Seelen, die Gewalt als Liebe auffassen, da sie es nie anders kennen gelernt haben. Sie wissen, dass es ihnen gut geht im Heim, dass sie zu essen bekommen und zur Schule gehen dürfen. Und trotzdem ist es ihr größter Wunsch, wieder zu ihren Familien zurückzukehren. Der kleine César, dessen Körper mit Brandnarben übersät ist, erzählt oft von seinem Vater - dem Mann, der ihn mit heißem Wasser übergoss und ihm eine Eisenstange in den Kopf rammte.
Claudia hat ein starkes Bedürfnis nach Zuwendung und Geborgenheit. Sie tut alles, um möglichst oft in den Arm genommen zu werden. Wenn die deutsche Praktikantin sich um die anderen Kinder kümmert, wird die Sechsjährige eifersüchtig und schlägt um sich. Claudia ruft die Praktikantin "Mama" und erzählt den neuen Heimkindern, dass dies ihre Mutter sei. Vom lieben und anhänglichen Kleinkind verwandelt sie sich innerhalb weniger Minuten zu einem aggressiven Plagegeist. Heimlich versteckt und klaut sie die Schulsachen der anderen, zerstört deren Bilder, indem sie diese zerreißt oder mit der Schere in kleine Stücke schneidet. So bastelte die Gruppe eines Tages Hampelmänner. César wurde zwischenzeitlich zum Psychologen gerufen und als er zurückkam fragte er, wo denn sein Hampelmann sei. Die Praktikantin entdeckte ihn schließlich in einer Ecke: in lauter Einzelteilen zerschnitten. Claudia hatte das getan. Gefragt nach dem Grund, antwortete das Kind: "Ich weiß es nicht."
Dass Claudias Zukunft nicht viel besser als ihre Vergangenheit sein wird, kann man erahnen. Seit April besucht sie die erste Klasse einer staatlichen Grundschule in Lima. Schreiben kann sie nicht, da sie den Bleistift nicht in der Hand halten kann. Statt zu helfen, verteilen die Lehrer Schläge. Ob Claudia das Schreiben und Lesen je lernen wird, ist fraglich. Von 17 Kindern im "agape"-Heim hat dies nur eines geschafft.
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