Konzept

Werkzeug für Schulen im Kampf gegen sexualisierte Gewalt

Schulen sind nicht immer Schutzort, sondern mitunter auch Tatort. Der Umgang mit sexualisierter Gewalt ist für Vertrauenspersonen und Lehrer weiter mit Unsicherheiten verbunden.  

Mail

Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen

Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.

Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.

Akzeptieren
Mehr Informationen
1/2
Wo ist meine Grenze? Plakate sollen alle Schüler ansprechen. Foto: Marijan Murat/dpa

Quelle: Deutsche Presse-Agentur (dpa).
Die BZ-Redaktion hat diese Meldung nicht redaktionell bearbeitet.

Leonberg (dpa/lsw) - So richtig deutlich sprechen die Amtsträger und Experten am Beruflichen Schulzentrum in Leonberg nicht an, was an den vielen Schulen im Land tagtäglich passiert, aber die Plakate an der Wand liefern eine grobe Vorstellung: Ungewolltes Anfassen wird gezeigt, Übergriffe im Netz und das sogenannte "Catcalling", etwa wenn jemand einer Frau anzüglich hinterherruft oder pfeift. Das Land macht jetzt gegen solche Angriffe mobil. Alle Schulen werden verpflichtet, ein Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt einzuführen. Es geht um Handlungsfähigkeit bei konkreten Verdachtsfällen und um eine neue Kultur an Schulen.

Klar ist: Sexualisierte Gewalt gehört zum Alltag an den Schulen im Südwesten. "Es kann überall vorkommen, an jeder Schule", sagt Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) in Leonberg. Statistisch seien ein bis zwei Kinder pro Klasse von sexualisierter Gewalt betroffen. "Das wollen und können wir nicht akzeptieren." Besonders häufig Opfer seien Kinder mit Handicap, mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen, die sich nicht wehren könnten. 

152 Fälle in der Kriminalstatistik

Nacktfotos in Chatgruppen, unangemessene Berührungen im Klassenzimmer, Missbrauch im Sportunterricht - der Umgang mit solchen Fällen ist schwierig. An wen können sich Opfer wenden? Wie schafft man eine Vertrauenskultur, damit Kinder überhaupt den Mut aufbringen, Missstände aufzuzeigen? Und wie müssen Lehrer damit umgehen? Wann muss gehandelt werden? 

Der Polizei werden nur wenige Fälle bekannt, im Jahr 2023 registriert die Kriminalstatistik 152 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung an Schulen im Land. Für 2024 gibt es noch keine Zahlen. Aber viel spielt sich im Dunkelfeld ab. Häufig werde das Problem noch bagatellisiert und tabuisiert, sagt Schopper. Oft wüssten Kinder und Jugendliche gar nicht, dass sie Opfer geworden seien. Und bei Lehrkräften bestehe mitunter eine große Unsicherheit, was bei einem Verdachtsfall zu tun sei. Auch müsse die Möglichkeit bestehen, falsch verdächtigte Personen zu rehabilitieren. Sonst könne das Leben zerstören, so Schopper. 

Wie beim Brandschutz

Die Schulen sollen nun verbindliche Schutzkonzepte einführen. Mit Leitfäden, Fortbildungen und Interventionsplänen soll sexualisierte Gewalt strukturierter und besser bekämpft werden. Lehrkräfte sollen schneller und besser auf ein Netzwerk an externen Experten zugreifen können. Schopper erinnert daran, was der Amoklauf von Winnenden ausgelöst hat an Konzepten gegen Gewalt an Schulen. So etwas brauche es auch im Kampf gegen sexuelle Übergriffe.

Es ist so ähnlich wie beim Brandschutz, meint die Unabhängige Beauftragte des Bundes für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus. Nur weil in jedem Flur Pläne für den Notfall hängen würden, wüssten die Menschen, wo es im Fall eines Feuers lang geht. Das brauche es auch im Kampf gegen sexualisierte Gewalt. "Die Hilfslosigkeit ergreift uns bei dem Thema ein ganzes Stück mehr", sagt Claus. Es brauche klare Standards und Kriterien. Wenn Schülerinnen und Schüler eine gewisse Kompetenz vor Ort spürten, dann führe das auch dazu, dass mehr Vorfälle angesprochen würden.

Normalität im Klassenzimmer?

"Es gibt in unserem Umfeld niemanden, der auf sozialen Medien noch keine anzüglichen Inhalte geschickt bekommen hat", sagt der Vorsitzende des Landesschülerbeirats, Joshua Meisel. "Es ist extrem dramatisch, dass es so zur Normalität geworden ist." Das Problem sei weitaus schlimmer als die Kriminalstatistik vermuten lasse.

Am Beruflichen Schulzentrum in Leonberg sind sie bei dem Thema vorangegangen, haben bereits eine Vertrauensstelle aus dem Boden gestampft und eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für geschilderte und beobachtete Fälle nach festem Muster verfasst. Lehrer sollen Protokoll führen, sich sofort an eine Vertrauensperson wenden. Handelt es sich nur um eine Grenzverletzung oder um einen sexuellen Übergriff? Geht es um einen begründeten oder nur vagen Verdacht? Solche Fragen müssten dann geklärt werden.

© dpa‍-infocom, dpa:250311‍-930‍-400312/2

Schlagworte: Theresa Schopper, Kerstin Claus, Joshua Meisel

Weitere Artikel