Party machen im Rollstuhl
Barrierefreiheit ist mehr als eine DIN-Norm: Wie es ist, im Freiburger Nachtleben als Rollstuhlfahrer unterwegs zu sein.
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Ausgehen gehört zum Leben dazu – auch, wenn man im Rollstuhl sitzt, so wie Phil Hensel. Der 29-jährige Freiburger geht gerne und viel aus. Wie es für ihn ist, in Clubs, Kneipen und Diskotheken unterwegs zu sein, und warum DIN-Normen für Barrierefreiheit nicht ausreichen, wenn es die Mitmenschen sind, die den Spaß am Ausgehen verderben:
Ich bin Musikfan, Ausgehen ist mir sehr wichtig. Ich arbeite viel, und irgendwann will ich auch meine Freunde treffen – und zwar nicht nur zu Hause. Ich will feiern gehen, logisch!
"Barrierefreiheit bedeutet einen umfassenden Zugang und uneingeschränkte Nutzungschancen aller gestalteten Lebensbereiche", erklärt der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen auf seiner Website. Die Baubehörden achten darauf, dass öffentlich zugängliche Orte bestimmten DIN-Normen entsprechen. Diese Vorschriften haben auch den Slow Club barrierefrei gemacht.
auch die anderen Partygäste
So einfach und bequem wie im Slow Club ist das Ausgehen als Rollstuhlfahrer in Freiburg nicht überall, aber so schlimm, wie man es aufgrund der hohen Kellerclubdichte der Stadt annehmen könnte, ist es auch nicht. Meine Probleme sind ziemlich banal. Gibt’s in einem Club Stufen? Kann ich aufs Klo? Auch der Größenunterschied ist ein Problem: Als Rollstuhlfahrer sitze ich auf Po-Höhe gehender Menschen. Es ist oft viel los , und ich fahre schon mal jemandem über die Füße. Bierduschen kriege ich häufig ab, aber während andere dann eine nasse Tasche oder ein nasses Bein haben, erwischt es mich auf Brusthöhe. Theken sind manchmal zu hoch, und wenn das Thekenpersonal im Stress ist, wird man auf Sitzhöhe schon mal übersehen.
Im Jazzhaus ist ein Teil der Theke niedriger als der Rest – das ist für mich angenehm. Dort gibt es – wie auch im Kagan und im Schneerot – einen Aufzug, der mich in den Keller bringt. Jazzhaus-Chef Michael Musiol ist stolz darauf, dass das Jazzhaus barrierefrei ist. "Wir sind das schon seit 25 Jahren", sagt er. Musiol hätte gerne noch mehr erhöhte Stellplätze für Rollstuhlfahrer. "Aber bisher haben wir immer eine Lösung gefunden."
Ich habe eine angeborene Querschnittslähmung, Spina bifida. Kurze Distanzen kann ich zu Fuß gehen; den Rollstuhl benutze ich bei längeren Strecken, beim Einkaufen oder eben, wenn ich abends ausgehe. Die enge Treppe im El.Pi kann ich zum Beispiel dank des Geländers heruntergehen, meine Freunde tragen dann den Rollstuhl runter. Damit ich im Crash ein Konzert besuchen konnte, haben mich dort auch schon einmal zwei kräftige Türsteher samt Rollstuhl beherzt die Treppe heruntergetragen.
Ins Schmitz Katze gehe ich auch gerne, denn Eingang und Außenanlagen des Clubs sind barrierefrei. Schade nur, dass die Betreiber die Behindertentoilette auch als Getränkelager nutzen. Mit meinem Aktiv-Rollstuhl passe ich zwar noch gut rein, für jemanden in einem Elektrorollstuhl wird es allerdings eng. "Das muss ein dummer Zufall an dem Abend gewesen sein", sagt ein Verantwortlicher des Clubs zu meinem Erlebnis. Ein Zufall, den ich mehrmals erlebt habe.
Barrierefreiheit im technischen Sinne ist wichtig, aber ich schaue beim Ausgehen immer mehr auf die soziale Komponente von Barrierefreiheit: Wie geht’s mir beim Weggehen? Wenn ich mich an einem Ort unwohl fühle, dann nützt auch eine DIN-Norm nichts – und umgekehrt rege ich mich aber auch nicht über sperrige Getränkekisten auf dem WC auf, wenn sonst alles passt.
"Hey, voll cool, dass du heute Abend auch da bist!", sagt an einem Samstagabend ein Typ an der Theke des Jazzhaus zu mir, es ist Yum-Yum-Party. "Kennen wir uns etwa?", frage ich. "Nee, aber ich find’s cool, dass du ganz alleine unterwegs bist – ohne Betreuer! Respekt!" An meine Antwort kann ich mich nicht erinnern – an mein Gefühl aber schon: Ich fühlte mich auf meine Behinderung reduziert.
Auch im Jahr 2013 scheint die Tatsache, dass ein Rollstuhlfahrer an einem Samstagabend ausgeht, immer noch zu irritierend. Oft genug stehe ich in einem Club plötzlich im Fokus. Medizinstudenten fragen mich über meine Lähmungshöhe aus, angehende Lehrer wollen wissen, ob ich in der Schule gemobbt wurde, Sozialpädagogen erzählen mir von ihrer Zivildienstzeit in der Seniorenresidenz. "Du hast bestimmt voll die durchtrainierten Oberarme. Zeig mal!" Doch ich will weder meine Oberarme zeigen, noch mein Handicap thematisieren: Ich will Freunde treffen, Musik hören, Bier trinken und einen entspannten Abend verbringen .
Skurril wird es, wenn mir gegenüber blinder Aktionismus betrieben wird. Dann kommt es auch schon mal vor, dass ich von Wildfremden grundlos durch den Raum geschoben werde oder dass ich "nur so aus Neugier" gefragt werde, was bei mir denn mit Mädels so gehe. Ich habe oft das Gefühl, dass einige erwarten, dass ich stets gewillt bin, über mein Handicap zu sprechen, dabei möchte ich nicht anders behandelt werden sondern als genau so cool, uncool oder betrunken wahrgenommen werden wie alle anderen auch.
Ich frage mich beim Weggehen oft, wo die anderen Rollstuhlfahrer in meinem Alter sind – außer den zwei, drei, die ich manchmal sehe. Ich nehme an, dass die meisten jungen Menschen mit Behinderungen sich nicht trauen feiern zu gehen, und zwar nicht primär wegen Treppenstufen und fehlenden Klos, sondern wegen der Blicke und Reaktionen. Um die auszuhalten braucht man eine selbstbewusste Haltung. Es ist so schade, dass sie nicht unterwegs sind, denn es ist doch das Normalste der Welt, Party zu machen.
BARRIEREFREI UNTERWEGS
Seit 2002 dokumentiert das Online-Portal Freiburg-fuer-alle.de die Zugänglichkeit von Sehenswürdigkeiten, Gastronomie und öffentlichen Einrichtungen in der Stadt und veröffentlicht einen kostenlosen Stadtführer zum Thema.Weltweit wird auf Wheelmap.org die Rollstuhltauglichkeit von Orten mit Hilfe eines Ampelsystems bewertet.
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