Nur mit Eis ist der Sommer klebrig und schön
SOMMER-SERIE (3): Hitzewellen sind ohne Eis nicht auszuhalten - auch wenn es die Tendenz hat, zu schmelzen und zu tropfen.
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Einmal abgeschleckt und schon kann man die schweißverklebten Kleider und die ozonverseuchte Laune vergessen. Die Eiskugel verströmt das einzigartige Aroma des Sommers, das erst durch seine wahrhaft winterliche Komponente, die Kälte, so besonders wird. So problemlos und sorgenfrei wie das Eisessen sollte das ganze Leben sein. Aber halt: eine kleine Unachtsamkeit und meine Finger melden Berührung mit einer klebrigen, kalten Masse: das Eis scmilzt. Schnell reagiert das Hirn und schickt die Zunge auf die Suche nach dem Leck in der Waffel. Ja, richtig, Eis essen ist eine Kunst. Jedenfalls, wenn man nicht nach jedem Eis sofort das T-Shirt wechseln will. Mal läuft das Geschmolzene über den Rand der Waffel, ein anderes Mal bricht die einfach unten ab und man hat das ganze Eis auf dem Hemd.
Nicht einfacher ist es, den letzten Rest Eis vom Stiel zu bekommen und dann auch noch in den Mund. Angeschmolzen flieht es nämlich geradezu vor der Zunge und landet bestenfalls auf dem Asphalt. Eine andere Schwierigkeit beim Eis essen ist das Fahrradfahren, und noch viel mehr, das Aufschließen des Fahrradschlosses. Ein Fahrrad einhändig aufzuschließen und dann noch die Eistüte irgendwie zu balancieren oder sie gar in den Mund zu stecken ist nahezu unmöglich.
Aber ohnehin ist das Eis eigentlich der perfekte Weggefährte beim Flanieren durch die sommerlich überfüllte Stadt. Es ist die perfekte Erfrischung bei einer Einkaufspause im Schatten der Bäume auf dem Rathausplatz. Die Krönung aber ist der farbenfrohe Eisbecher im Straßencafé: ein mit Früchten garnierter Eisberg. Die Kugeln sind wie ein Turm aufeinandergestapelt, ein Märchenschloss in allen nur vorstellbaren Farben und für jeden Geschmack: gletscherweiß ist sonnig-sauer, schoko-braun vollendet süß, giftgrün ist pistazienedel, himmelblau gut für die Potenz und rostrot ist gefrorene Cola.
Das schöne Bild wird zögernd mittels Eislöffel zerstört. Sanft, ja, geradezu schüchtern taucht der Löffel in das Kunstwerk Ringsherum vermischen sich Sprachfetzen aus aller Welt mit den verirrten Töne irgendeines Straßenmusikanten, ein kleines Kind quengelt mangels Eis, während es von seiner Mutter hektisch am Café vorbeigeschoben wird. Und ganz allmählich wird aus der kühlen Farbenpracht des Eisbergs ein matschiges Einheitsgrau. Einzelne Lieblingskugeln sind gegessen, andere sind abgestürzt und in den Tiefen des silbrigen Bechers geschmolzen.
Gelangweilt rührt man in der schmelzenden Pampe und beobachtet die vorbeiziehenden Leute. Jetzt dient der hohe Eisbecher als Schutz vor den scheinbar fragenden Blicken der Passanten. Und spätestens jetzt darf man sich ärgern, dass man schon die kostbaren Kekse gegessen hat, die zum Eis serviert wurden. Denn nichts wäre schöner, als einen Keks in die schlierige, sahnig triefende Flüssigkeit zu tauchen. Also zahlen - und gehen.
Und plötzlich spürt man wieder die drückende Schwüle, das T-Shirt klebt immer noch an der verschwitzten Haut und hat zudem einen Schokofleck mehr. Wieder schiebt die Mutter mit ihrem Kind vorbei. Diesmal in der anderen Richtung. Und diesmal mit vertauschten Rollen, die Mutter unglücklich und das Kind zufrieden. Es strahlt aus vollem Herzen mit eisverschmierten Mund und weigert sich beharrlich, ihn von der Mutter mit einem Taschentuch sauber putzen zu lassen.
Eine ältere Dame läuft vorbei, schaut etwas merkwürdig und lächelt. Warum? Ein Blick ins spiegelnde Schaufenster schafft Gewissheit: Das Eis essen hat nicht nur bei dem Dreikäsehoch klebrige Spuren hinterlassen. Spuren, die jeden daran erinnern, wie schön der Sommer doch sein kann. Und solange wir im Sommer unser Eis bekommen, sollten wir uns nie über die Winter ohne Schnee beklagen.
Holger Köpcke
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