"Na klar über Rot!"
Wenn es in Freiburg dunkel wird, treffen sich Rennradfahrer zu geheimen Rennen durch die Stadt – unser Autor ist mitgefahren.
Finn Olsen
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In Freiburg finden nachts Fahrradrennen statt. Ohne Genehmigung und ohne Absperrungen liefern sich hippe Rennrad-Aficionados halsbrecherischen Verfolgungsjagden – ohne Rücksicht auf Verkehrsregeln. Die Hatz durch die Stadt heißt Alleycat. fudder-Autor Finn Olsen ist mitgefahren.
"Alleycat heißt streunende Katze", sagt Michel, der sich gerade seine Rennradschuhe anzieht. Michel trägt eine kurze Schirmmütze, das Schild hat er nach oben gebogen; auf dem Rücken eine Kuriertasche. Er ist Fahrradkurier, normalerweise fährt er Briefe und Pakete aus. Heute sind es Wasserbomben. Er erklärt mir: "Ich bin ein Gendarm. Mein Ziel ist es, Räuber zu fangen und ins Gefängnis zu bringen. Du darfst ein Räuber sein. Du musst die Stationen auf deiner Karte abfahren und möglichst unbemerkt von uns Cops alle Stempel abholen. Du benutzt am besten Schleichwege." Auf meiner Karte sind sechs Stationen eingezeichnet. E-Werk, Stühlinger Kirchplatz, Spielplatz Draisstraße, Eschholzpark, Spielplatz Stühlinger und das Gefängnis am Tennenbacher Platz. Dazwischen lauern die Cops.
Das erste Alleycat wurde in Toronto gefahren, lange bevor deutsche Szene-Radler Fixies durch Innenstädte schoben. In Freiburg gibt es die Rennen selten, und wenn, dann erfahren nur Eingeweihte davon. Plakate, Flyer, öffentliche Facebook-Einladungen gibt es nicht. Aus gutem Grund: Alleycats finden im Geheimen statt, es gibt keine Absperrung, keine Genehmigung und keine Verkehrsregeln. Alleycat-Fahrer suchen den schnellsten Weg, fahren gegen Einbahnstraßen und über Stoppschilder. "Was wir machen, ist illegal. Im Zweifel bremst das Auto", sagt Michel und grinst. "Und rote Ampeln, fahrt ihr da drüber?" Michel wischt etwas Dreck vom Rahmen seines Rads, prüft noch einmal den Sitz seines Sattels und sagt: "Na klar über Rot!"
Dass das mit den roten Ampeln unter Alleycat-Racern eine ganz wichtige Sache ist, merke ich erst, als es zu spät ist. Ein Cop hat mich auf der Stefan-Meier-Straße aufgespürt, er hat mich an dem weißen Haarband erkannt, das alle Räuber tragen. Als ich ihm entgegen komme, fährt er einen U-Turn und verfolgt mich. Den Cop dicht hinter mir fahre ich auf eine Ampel zu; als ich noch hundert Meter entfernt bin, springt sie auf Rot. Ich verstehe nun, dass die rote Ampel weit mehr ist als eine Verkehrsregelung. Sie ist die Mutprobe: Fahre ich drüber, bin ich eine streunende Katze, ein Räuber. Kneife ich, bin ich ein gewöhnlicher Stadtradler. Viel zu fest packe ich die Schaumstoffgriffe meines Lenkers, in meinem Magen dreht sich ein Karussell, der Rücken ist schweißverklebt. Dann fahre ich über die Ampel - und bin erleichtert. Ich bin einer von ihnen.
Zwei Stationen habe ich bereits passiert, ich war am Stühlinger Kirchplatz und am E-Werk. Um meinen Atem etwas zu beruhigen, fahre ich den Umweg über die Ferdinand-Weiß-Straße zur nächsten Station, dem Eschholzpark. So kann ich entspannen, ohne auf einen Cop zu treffen. Doch ich liege falsch. Aus dem Schatten parkender Autos taucht auf einmal Moritz hinter mir auf, er zückt die Pistole und schießt mit Wasser. An mir vorbei, wie ich finde. Direkt auf meinen Rücken, wie er findet. Nach kurzer Diskussion gebe ich nach - und fahre ins Gefängnis. Ich muss von Neuem beginnen.
mir ein echter Cop
Ich begreife, dass das Spiel vorbei ist – etwa 150 Meter trennen mich von dem Polizeiauto. Ich richte meinen Blick nach vorne und beschleunige. Ich flüchte. Auf Höhe der Bar Brasil reiße ich den Lenker nach links, kreuze die Straße und fahre über die Gleise der Tramtrasse, die hinaufführen zur Stadtbahnbrücke. Mit einem Satz springe ich über die Schienen, und zwänge mich in Höchstgeschwindigkeit durch einen schmalen Ausgang.
Dann biege ich in eine Seitengasse, blicke über meine Schulter auf eine leere Straße und rolle in einen Hinterhof. Zwischen Taubendreck und Mülltonnen lege ich mein Fahrrad ab, setze ich mich auf den Boden und lehne meinen Kopf an eine graffiti-verschmierte Hauswand. Hier findet mich kein Polizist.
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