Hochwasser in Baden-Württemberg
Meteorologe im Interview: Kann vor Unwettern besser gewarnt werden?
Zu wenige Warnungen, zu ungenaue Vorhersagen: Nach den schweren Unwettern in Süddeutschland wird Kritik an Meteorologen und Medien laut. Was könnte besser laufen? Ein Experte im Interview.
Di, 31. Mai 2016, 17:34 Uhr
Panorama
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Hildebrand: Was die Medienpolitik angeht bin ich kein Experte. Eine Informationskette wie bei der Tornado-Alley in Oklahoma oder Kansas in Amerika gibt es aber in Deutschland schlichtweg nicht. Dort greifen bestimmte Mechanismen mit Sirenen und Fernsehunterbrechungen, die einzelne Orte oder Städte warnen.
BZ: Wäre so ein Warnsystem hier denkbar? Und: Wie müsste es aussehen?
Hildebrand: Dass in Deutschland ein "Tatort" für eine Unwetterwarnung unterbrochen wird, wird wohl nie passieren. Einblendungen im laufenden Programm halte ich für gut und möglich. Beim Privatfernsehen, wo ich auch arbeite, läuft das alles über das Internet, dort würde auch kein Spielfilm unterbrochen werden. Auch Push-Meldungen oder SMS-Benachrichtigungen über das Handy halte ich für sinnvoll.
BZ: Hätte das in Braunsbach geholfen oder sogar Leben retten können?
Hildebrand: Das lässt sich nicht genau sagen, denn die Warnung vor Starkregen war ja da – auch ziemlich genau auf die Region bezogen. Aber welchen Ort genau es trifft, lässt sich nicht vorhersagen. Auch das Ausmaß in Braunsbach oder in Schwäbisch Gmünd kam erst durch eine unfassbar unglückliche Verkettung von sehr schlimmen Umständen zustande. In Braunsbach hat vor allem die geographische Lage eine Rolle gespielt. Es liegt in einem engen Tal, und auch der Fluss Kocher und die Zuläufe sind sehr schmal.
BZ: Sind solche Naturkatastrophen überhaupt vorhersehbar?
Hildebrand: Der Starkregen war, wie gesagt, sehr gut vorhersehbar. Die Unwetterwarnungen haben es auch genau getroffen. Wir von wetter.com verbreiten die Warnungen des Deutschen Wetterdienstes. Diese Dienstleistung des DWD ist gesetzlich vorgeschrieben und auch sehr gut. Dass aber das Hochwasser so durch genau diesen Ort schießen würde, war nicht vorhersehbar. Das hätte auch fünf Orte weiter passieren können, wenn sich die Gewitter genau dort so heftig entladen hätten.
Hildebrand: Vorhersagen beziehen sich meistens auf Landkreise und Höhenverhältnisse. Einen Tag vorher kann man als Meteorologe ruhigen Gewissens eine Vorhersage treffen, und weiß: Das wird so eintreffen. Bei Temperaturen ist das aufs Grad genau möglich. Auch ob Regenmengen von 50 Litern oder 80 Litern pro Quadratmeter fallen, ist vorhersagbar. Entsprechend werden auch Wetterwarnungen gestaltet. Anders ist es bei einer Gewitterlage: Gewitter sind sehr lokale Ereignisse.
BZ: Oft hat man aber das Gefühl, dass zum Beispiel Wetter-Apps ungenau sind.
Hildebrand: Die vorinstallierten Wetter-Apps auf Handys kommen oft aus Amerika und sind zu weitmaschig. Auch der Aktualisierungszeitpunkt der Daten ist oft unklar. Auf solche Apps würde ich mich nie verlassen. Wetter-Apps aus Deutschland hingegen beziehen sich auch auf kleinste Orte.
BZ: Ist es denkbar, dass sich Vorhersagen noch weiter verbessern?
Hildebrand: Ich denke schon. Wenn Wettermodelle noch schneller, noch genauer berechnet werden können, wird sich da in den nächsten Jahren noch einiges tun. Schon in den letzten zehn Jahren hat sich vieles verbessert.
Hildebrand: (lacht) Man kann keine Vorhersage für den Sommer abgeben. Langfristige Prognosen, die auch in Amerika berechnet werden, schaue ich mir auch mal ganz gerne an – aber alles, was da berechnet wird, sind Abweichungen von Mittelwerten. Das ist also keine Wettervorhersage. Ab dem achten Tag kommt jedes Wettermodell ins Straucheln.
BZ: Wie kann man sich selbst vor Unwettern schützen?
Hildebrand: Ich finde, jeder hat die Aufgabe, sich über Wetterwarnungen zu informieren. Es ist fast eine Frage von Hol- und Bringschuld. Wenn einer während Starkregens mit 100 Sachen über die Bundesstraße rast, und von Aquaplaning nichts gewusst haben will, muss man am gesunden Menschenverstand zweifeln. Dass zum Beispiel bei einem Fußballspiel wie zuletzt in Rheinland-Pfalz 33 Menschen durch einen Blitzeinschlag verletzt werden können, das verstehe ich nicht. Die Aufmerksamkeit ist verloren gegangen, denn der Punkt ist doch: Die Natur hat uns im Griff, und nicht wir sie.
Alexander Hildebrand (49) hat Meteorologie und Hydrologie an der Uni Freiburg studiert. Der gebürtige Breisacher lebt in Berlin und arbeitet bei dem Online-Portal wetter.com. Unwetter sind sein Spezialgebiet und so heißt seine Videokolumne auch "Alex extrem".
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