Melken, Butter stampfen und Bergsteigen am anderen Ende der Welt
WAS TUN IM AUSLAND (TEIL 7): Mit dem Internationalen Jugend-Kulturaustausch für ein Jahr in Neuseeland – arbeitend, reisend und feiernd.
JuZ-Mitarbeiterin Jana Gretschel
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Neuseeland schien mir das perfekte Ziel für eine große Reise: englischsprachig (aber nicht USA), erprobt (aber nicht ausgelutscht), kein Kulturschock wie in Afrika – und atemberaubend schön. Was aber tun in diesem reizvollen Land? Die Organisation "International Cultural Youth Exchange" ("internationaler Jugendkulturaustausch") bot interessante Farm- und Sozialprojekte an – und ich stieg ein.
Nach einer Woche Kennenlern-Camp mit weiteren Austauschlern aus aller Welt kam ich zu meiner ersten Familie in Waitomo auf der Nordinsel. Meine Aufgabe: Die Tiere eines Wildtierparks versorgen, Touristen herumführen, Haushalt organisieren und vor allem Wäsche waschen – und das bei fünf Jungs unter 11. Ich lernte Lämmer zu füttern, vor Straußen wegzurennen und gar nicht erst ans Bügeln zu denken. Das ursprüngliche Farmleben weitab von der Zivilisation war für mich als Stadtkind eine harte, aber lohnende Erfahrung. Ich verlor die Scheu, von Kopf bis Fuß dreckig zu werden oder Tiere hart anzufassen. Später veranstaltete ich als "typisches Farmmädel" sogar souverän "Farmleben vor 100 Jahren"-Shows für japanische Reisegruppen mit Handmelken und Butterstampfen.
Da ich mich jedoch – häufiges "Auslandsschicksal" – als billige Hilfskraft ausgenutzt fühlte, wechselte ich nach einem Vierteljahr zu einer anderen Familie in der Gegend. Dort passte ich vor allem auf die dreijährige Tochter auf (ein Engel nach den fünf Rabauken), durfte jedoch auch bei den Pferden helfen. Die Gasteltern führten Touristen auf Ausritte durch die grünen Hügel. Es war traumhaft, an Farnpalmen und Tropfsteinhöhlen vorbei durch diese Landschaft zu reiten.
Nach einigen Monaten brach ich dann auf, um mit Freunden fünf Wochen lang die Südinsel zu erkunden. Was für ein Abenteuer! Knappe Budgets und eine turbulente Gruppendynamik setzten den Rahmen für den Roadtrip mit Stadtbummel, Silvesterparty, zwei Kajaktouren, unzähligen Wanderungen (die uns an unsere Leistungsgrenze brachten) und hundert neuen Bekanntschaften.
Von den paradiesischen grün-goldenen Stränden des Abel-Tasman-Nationalparks im Norden über türkisblaue Seen vor vergletscherten (fast) Dreitausendern rund um den Mount Cook bis zum nebelverhangenen Urwald der spektakulären Fjorde im Süden sahen wir fast alles. Und nahmen mit, was ging: Weinverkostungen, Bungee-Jumping, Pinguine beobachten, Wildwasser-Rafting, Skydiving und natürlich Herr-der-Ringe-Drehorte besuchen.
Im Vergleich zur umwerfenden unberührten Wildnis der fast menschenleeren Südinsel kommt einem die etwas dichter besiedelte Nordinsel mit den hügeligen Schafsweiden, den vielen Farmen und Schotterstraßen viel westeuropäischer vor. In mehreren Wochen- und Wochenendtrips erkundete ich auch hier alles: die Kauriwälder und Sanddünen im Norden und die Millionenstadt Auckland. Besonders liebte ich den Tongariro National Park – eine Vulkanlandschaft mit Geysiren, blubberndem Schlamm und schneebedeckten Kegelvulkanen inmitten dürrer Heidelandschaft.
Mein Lieblingsort war jedoch die Hauptstadt Wellington, in der ich das letzte halbe Jahr verbrachte. Die lebendige Stadt liegt auf steilen Hügeln im Süden der Nordinsel am Meer und bietet einfach alles: ein mondänes Zentrum, traditionsreiche Regierungsgebäude, Strände, Wildnis keine zehn Minuten von der Ausgehmeile, schöne Vororte und ein reges Kulturleben. Ich arbeitete in einer vorbildlichen Behindertenstiftung, wo ich mit Studenten aus aller Welt sechs Schwerstbehinderte pflegte und beschäftigte. Es machte mir überraschend viel Spaß. Wir unternahmen viele Ausflüge in Wellingtons Umgebung, gingen oft ins Museum oder Kino oder verbrachten gemütliche Tage "daheim". Die Zeit dort war wunderbar, ich genoss jeden Tag. Und das Wetter schien mich für das völlig verregnete kalte erste halbe Jahr entschädigen zu wollen. In Neuseeland regnet es bis zu sieben Meter pro Jahr (in Stuttgart: 70 Zentimeter). In Wellington hatte ich doch noch einige Wochen "Sommer" – dreimal bekam ich sogar hitzefrei, weil es über 20 Grad hatte.
Auf den zweiten Blick ist Neuseeland doch recht verschieden von Europa. Da die Maoris erst seit über 1000 und die Europäer seit 200 Jahren dort siedeln, fehlt der jahrtausendlange kulturgeschichtliche Hintergrund, dem man in Europa überall begegnet. Das Leben dort scheint einfacher, ursprünglicher, lockerer. Vor allem die Einstellung der Farmer zur Arbeitsteilung in der Ehe, aber auch die fast naive Offenheit und Freundlichkeit der Menschen überraschte mich. Ich lernte die selbstverständliche Naturverbundenheit kennen und lieben, die optimistische "Can do"-Mentalität und die Verschrobenheit der Kiwis. Das Land ist wirklich perfekt geeignet für einen längeren Besuch – und ich vermisse nach meinem Jahr seit der Rückkehr ganz schön vieles.
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