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Zischup-Interview mit Anita Lamprecht

"Meine innere Einstellung zu jedem Kind ist wichtig"

Die Zischup-Reporterinnen Mona Lorenz und Isabel Felk sprachen mit Anita Lamprecht, über ihren Beruf, den sie mit 45 Jahren neu erlernt. Sie arbeitet als Erzieherin in der stationären Jugendhilfe-Einrichtung Timeout e.V. in Breitnau.  

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Anita Lamprecht  | Foto: privat
Anita Lamprecht Foto: privat
Zischup: Was hat Sie inspiriert, gerade hier diese Ausbildung zu machen?
Lamprecht: Die Ausbildung zur Arbeitserzieherin mache ich seit Oktober 2010 und sie ist meine dritte Ausbildung. Meine erste Ausbildung als Justizfachangestellte habe ich beim Amtsgericht Freiburg gemacht. Danach habe ich ein Jahr in dem Beruf gearbeitet. Dann habe ich die zweite Ausbildung zur Steuerfachangestellten gemacht. Nach der Elternzeit, in denen ich mich um meine drei Kinder gekümmert habe, arbeitete ich dann später wieder im Steuerbüro. 2007 habe ich ein Angebot von Timeout e.V. – einer stationären Jugendhilfe-Einrichtung in Breitnau – bekommen, in der Verwaltung zu arbeiten. Das Projekt hat mich von Anfang an fasziniert und ich habe dort gerne in der Verwaltung gearbeitet, wobei ich die pädagogische Arbeit der Erzieher mit den Jugendlichen noch faszinierender fand. Leider fehlte mir die pädagogische Ausbildung, was ich immer mehr bereute. Also begann ich mich zu erkundigen, wie ich mich mit meinen 45 Jahren noch einmal beruflich neu orientieren könnte. Der finanzielle Aspekt war entscheidend, denn ich habe drei Kinder, die noch finanziell von mir abhängig sind. Ich fand heraus, dass man bei der Ausbildung zum Arbeitserzieher Meisterbafög bekommt, da es eine Weiterbildung – aufbauend auf dem alten Beruf – ist und somit die finanzielle Seite für mich machbar war. Ich hätte von einem normalen Ausbildungsgehalt nicht leben können. So mache ich nun seit Oktober 2010 die Vollzeitschule und 14-tägig arbeite ich am Wochenende bei Timeout e.V..

Zischup: Was fasziniert Sie an diesem Beruf?
Lamprecht: Die pädagogische Arbeit mit Jugendlichen. Timeout ist eine stationäre Jugendhilfe-Einrichtung, in der Kinder und Jugendliche aufgenommen werden, welche bedingt durch unterschiedlichste Ursachen Schule und Schulbesuch verweigern. Ziel unserer Arbeit ist es, gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen, die in einer Notsituation zu uns kommen, eine Kultur des Zusammenlebens und -arbeitens zu schaffen, einen Ort, an dem sie sich angenommen und sicher fühlen können. Auf diese Weise sollen die Kinder und Jugendlichen sich eine neue Grundlage erwerben, von der aus sie sich wieder in das Lebensumfeld von Familie und Schule integrieren oder gegebenenfalls andere, weiterführende Perspektiven entwickeln können. Während einer Auszeit bietet Timeout Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, in den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Hauswirtschaft zu arbeiten, um zunächst Abstand von den schulischen oder auch privaten Problemen zu bekommen. Nach drei Monaten dürfen die Kinder und Jugendlichen selbst bestimmen, in welchem Umfang und in welchem Tempo sie wieder an schulischen Angeboten teilnehmen. In Kleinstgruppen werden die Schülerinnen und Schüler bei uns unterrichtet. Einzelförderung gehört bei vielen Jugendlichen anfangs dazu. Viele nutzen das Angebot, bei uns den Hauptschulabschluss zu machen. Einige besuchen anschließend eine weiterführende Schule, andere beginnen eine Ausbildung. Die gemeinsame Zeit bei uns wird intensiv zur Aufarbeitung der Problematik genutzt, die zur Schulverweigerung geführt hat. Zentral ist dabei die Schaffung eines sicheren Ortes, von dem aus man das Leben, die eigene Biografie aus einer neuen Perspektive sehen lernt. Im täglichen Zusammenleben ergeben sich vielfältige Möglichkeiten, seine Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln. Damit kann das Selbstwertgefühl wieder wachsen und sich neues Interesse entzünden, dem in der Zukunft beim Lernen eine zentrale Rolle zukommt.

Zischup: Was genau müssen Sie bei diesem Beruf machen?
Lamprecht: Ich arbeite nach meiner Ausbildung hauptsächlich in der Hauswirtschaft, wobei es zum Konzept gehört, zusammen mit den Kindern und Jugendlichen alle anfallenden Arbeiten zu erledigen. Dieses Miteinander-Arbeiten spielt eine zentrale Rolle im Pädagogischen Konzept von Timeout. Das heißt, dass es zum Beispiel keine Putzfrau gibt, die das lästige Klo-Putzen erledigt, sondern die Jugendlichen machen das gemeinsam mit den Betreuern, ebenso wie alle anderen anfallenden Arbeiten im Haushalt und auf dem Bauernhof.

Zischup: Für wie viele Kinder ist Platz in dieser Einrichtung?
Lamprecht: Es werden 16 stationäre Plätze angeboten.

Zischup: Wie viele Kinder befinden sich momentan dort?
Lamprecht: Die Plätze sind immer voll besetzt und es gibt eine Warteliste.

Zischup: Wie reagieren die Kinder an ihrem ersten Tag bei Timeout?
Lamprecht: Die Kinder und Jugendlichen haben sich bewusst entschieden, ob sie zu Timeout kommen wollen. Meistens haben sie sich schriftlich geäußert, warum und weshalb sie gerade zu Timeout kommen möchten, nachdem sie ein paar Probetage da waren und alles kennen lernen konnten. Sie reagieren trotzdem sehr unterschiedlich, je nach Charakter und Temperament. Manche ziehen sich zurück, andere sind neugierig und gehen auf alles offen zu.

Zischup: Haben Sie eine gute Beziehung zu den Kindern, wenn ja – wie zeigen sie Ihnen das?
Lamprecht: Ich arbeite während meiner Ausbildung nur alle 14 Tage im Wochenenddienst, da kann man nicht direkt von Beziehung reden, da ich den Alltag der Jugendlichen viel zu wenig mitbekomme. Es freuen sich trotzdem die meisten, wenn ich komme. Mein Vorteil ist, dass ich gut kochen kann und sich alle auf das gekochte Essen freuen. Meine innere Einstellung zu jedem Kind beziehungsweise Jugendlichen finde ich im Umgang mit ihnen viel wichtiger. Ich denke in jeder pädagogischen Arbeit ist es von ganz enormer Bedeutung, dass man dem Menschen, mit dem man es zu tun hat, offen und nicht verurteilend oder wertend gegenüber steht, auch wenn er anders denkt oder fühlt als ich. Ich freue mich immer auf die Arbeit, weil ich die Jugendlichen wieder sehe, denn ich mag jeden einzelnen auf seine Art. Ich glaube, das spüren die Jugendlichen.

Zischup: Wenn ein neues Kind dazu kommt, wie nehmen es die anderen auf?
Lamprecht: Die neuen Jugendlichen werden gut aufgenommen, da jeder, der da ist, weiß, wie schwierig, neu und aufregend sein erster Tag war. Ich finde es herrscht bei Timeout im allgemeinen das Klima eines guten sozialen Miteinanders.

Zischup: Gibt es Probleme zwischen den Kindern, wenn ja was sind die Gründe dafür?
Lamprecht: Klar gibt es manchmal Probleme oder Streitereien, wie in jeder Gemeinschaft und die Gründe dafür sind vielfältig, wie überall. Oft ist es fehlende Toleranz gegenüber der Andersartigkeit des Anderen. Es wird aber von Seiten der Erzieher darauf geachtet, dass Toleranz und ein gutes soziales Miteinander als ganz wichtiges Gut in unserer kleinen Gemeinschaft geachtet wird, was meiner Meinung auch in jeder großen Gesellschaft wünschenswert ist. Jeder sollte bei sich beginnen, die Welt besser zu machen.

Zischup: Wie gehen Sie vor, wenn Kinder sich verweigern mitzuhelfen?
Lamprecht: Wenn sich jemand ständig verweigert, gilt das nicht als cool, sondern er stört den Ablauf der Gemeinschaft, das bekommt er dann auch von den anderen Jugendlichen gesagt. Außerdem haben die Jugendlichen eine Beziehung zu den Tieren aufgebaut. Die Kühe müssen morgens und abends gemolken und versorgt werden und sind auf die Menschen angewiesen. Das ist meistens Grund genug für die Jugendlichen, solche Dinge nicht in Frage zu stellen. Es ist schließlich für die meisten Jugendlichen etwas anderes, morgens aufzustehen, weil ein Tier auf sie angewiesen ist oder weil in der Stadt der Lehrer in der Schule mit dem Unterricht beginnt. Die sinnvolle Arbeit und das Erleben, dass die getane Arbeit nützlich ist für alle, die auf dem Hof leben, ist Grund genug für die Jugendlichen, ihre Aufgaben ernst zu nehmen. Ich glaube, es ist für jeden Menschen ein gutes Gefühl durch sein Können einen Beitrag zum reibungslosen Ablauf in der Gemeinschaft beizutragen.

Zischup: Würden Sie sich jetzt im nach hinein für einen anderen Beruf entscheiden?
Lamprecht: Ich bin dabei, meinen Traumberuf zu erlernen, da ich die Arbeit mit Jugendlichen sehr sinnvoll finde. Gerade die Arbeit bei Timeout finde ich für mich sehr erfüllend, weil das Projekt für mich eine Herzensangelegenheit ist und ich das pädagogische Konzept sehr sinnvoll und gut finde. Die Veränderungen bei den Kindern und Jugendlichen, die in relativ kurzer Zeit oft zu sehen sind, wie sie zum Beispiel aus einer Orientierungslosigkeit zu einem für sie sinnvollen Platz in der Gesellschaft finden, ist für mich der Hauptgrund, weshalb mir die Arbeit so große Freude bereitet. Wenn dann manchmal ehemalige Jugendliche zu Besuch kommen und erzählen, welchen Weg sie durch den Aufenthalt bei Timeout eingeschlagen haben, bestärkt mich das immer wieder, was für ein gutes Konzept die gemeinsame Arbeit auf dem Hof ist.

Ressort: Schülertexte

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