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Lernt doch, was ihr wollt

Die Albert-Schweitzer-Schulen haben ein ausgezeichnetes Konzept für Inklusion – und individuelles Lernen ist ein wichtiger Teil.  

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Runde Sache: Rahim Seferi und Joshua Clottey erkunden die Erde. Foto: Ingo Schneider
Die einen lernen Mathe, die anderen Deutsch. Eine Schülerin sitzt am Tisch, zwei Jungs machen es sich auf einem Teppich bequem, ein anderer lehnt mit Kopfhörern auf den Ohren an einem Pult. Die Albert-Schweitzer-Schüler machen, was sie wollen: Auf dem Stundenplan steht individuelles Lernen. Das ist Teil des Konzepts, für das Werkrealschule und Förderschule in Landwasser alles umgekrempelt und den Landesinklusionspreis bekommen haben.

Der Junge mit den Kopfhörern lässt sich am Computer einen Text vorlesen. Bolino Reinhard schreibt dabei auf ein Arbeitsblatt und gibt sein Diktat schließlich ab. Sein Gefühl? "Gut", meint der 14-Jährige. Er hat selbst beschlossen, dass die Zeit reif ist für den Test. Dass die ganze Klasse die Hefte rausnimmt zum Diktat, die Zeiten sind passé. "So finde ich’s besser", sagt Bolino Reinhard, und nimmt sich die nächste Aufgabe vor. Die suchen die Achtklässler auch selbst aus, jeder nach seinem Tempo. In jeder Jahrgangsstufe gibt es zwei Klassen, eine davon ist gemischt. In der 8a lernen sechs Förderschüler mit 16 Werkrealschülern. Und zwar nicht nur in einzelnen Stunden, sondern immer. Wer da wer ist? Für Außenstehende nicht auszumachen.

Für die Schüler stecken Regale voller Aufgaben, sortiert nach Fächern und Themen, in Mathe etwa Geometrie, Geld und Bruchrechnen. Die Schüler bekommen Vorgaben und Anleitung, Hilfe, Struktur und Punkte. Jede Woche wird darüber gesprochen, ob sie ihre Lernziele erreichen. "Wir haben nicht ein Lernprogramm für die Klasse, sondern 22", sagt Jutta Spranz. Sie ist die Mutter des individuellen Lernens an der Albert-Schweitzer. Ihre Erfahrung: "Die Schüler sind völlig entspannt – und ehrgeiziger."

An einem Tisch steckt ein Expertenfähnchen, das Schüler bekommen, die einen Aufgabenbereich gemeistert haben. Dzulijana Hajrizi ist Expertin für Addition. "Wenn jemand Hilfe braucht, kann er zu uns kommen, und wir können’s ein bisschen erklären", sagt die 14-Jährige. Kooperatives Lernen ist ebenfalls Teil der "neuen Lernkultur" in Landwasser.

Alles begann, als die Werkrealschüler immer unterschiedlicher geworden waren und klassische Unterrichtsmethoden nicht mehr weiterhalfen. Eine neue Form musste her, weg vom Bestrafen, hin zum Begleiten. Dazu kam die Anfrage vom Schulamt in Sachen Inklusion.

Die Werkrealschule machte Nägel mit Köpfen: "Schulwände raus, Bänke weg", sagt Rektor Joachim Diensberg. Ins Klassenzimmer kamen Einzeltische, ins Konzept Montessori-Elemente, andere Strukturen, Coaching, Lernjobs, auch Frontalunterricht und Raum zum Experimentieren. Begleitet wurde die Umstellung durch ein Projekt der Robert-Bosch-Stiftung, Stadt, Land und Profis – und von einer wohlgemeinten Warnung, sich nicht zu übernehmen. Das Schulteam hat viel diskutiert und sich anfangs mit der Bodenseeschule ausgetauscht, später auch mit der Vigeliusschule in Haslach.

2011 startete die erste fünfte Klasse mit der neuen Kultur für Kinder mit und ohne Lernbehinderung, mit und ohne Migrations- und Flüchtlingsgeschichte. Heute sind sie in der achten Klasse und eine ganze Etage ist umgebaut für sie und die folgenden drei Inklusionsklassen. "Alle lernen nach dem Prinzip", sagt Diensberg. An seiner Tür hängen Gratulationen: Weil die beiden Ganztagsschulen Heterogenität als Bereicherung begreifen, hat ihnen das Land im Sommer den Preis verliehen, 15 000 Euro inklusive. "Eine Ehre und Bestätigung", findet Spranz, "und ein Mutmacher für andere."

Immer zwei der vier Inklusionsklassen haben einen gemeinsamen Raum für Teamarbeit. Rahim Seferi und Joshua Clottey lösen auf dem Teppich eine Aufgabe im Fach Welt, Zeit, Gesellschaft: "Wir legen die Bevölkerung der Erde aus." Es gibt Männchen und Karten mit Infos zu Kontinenten, Fläche, Einwohnern und Arealitätsziffer: In Asien haben die Leute am meisten Platz, schätzen die 13-Jährigen, die aber noch am Ausarbeiten sind.

Jede Klasse begleitet auch eine Sonderpädagogin. Sie sorgt dafür, dass der spezielle Bildungsanspruch der Förderschüler von je 2,5 Stunden in der Woche eingelöst wird und sie sich nicht überfordert fühlen. "Es funktioniert", sagt Sonja Pohlmann, die die Förderschule leitet. Dabei sei das Modell nicht für jeden Schüler etwas. Und nicht jeder, der teilnimmt, muss an das selbe Ziel kommen. "Das oberste Ziel ist selbstständige Lebensführung", sagt Pohlmann.

Dabei hilft der Forschertag, denn die Schüler erkunden nicht nur auf dem Teppich die Welt. Einmal in der Woche führt das Lehrerduo die Klasse auf unbekanntes Terrain: Sie besuchen ein Museum, besteigen einen Berg oder fahren Zug. So üben sie ungewohnte Situationen, sagt Jutta Spranz: "Mit dieser Klasse kann man inzwischen hin, wo man will."

INKLUSION

Wie viele Kinder mit Behinderung Freiburger Regelschulen besuchen, dazu gibt es keine aktuelle Statistik. Dieses Jahr soll es eine neue geben, die allerdings die Privatschulen nicht erfasst, die zum Teil ebenfalls inklusiv arbeiten. Im Schuljahr 2012/13 wurden an den öffentlichen Schulen 271 Kinder inklusiv beschult – mit Abstand die meisten an Grundschulen (143 Kinder).

Ressort: Freiburg

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