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Reportage aus Arizona

Latinos: Gegen Zäune, Mauern und Trump – aber ohne Chance?

Latinos sind die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe der USA. Zur Wahl gehen sie selten - viele dürfen nicht. Aktivisten versuchen, alle anderen zu motivieren – gegen Grenzzäune und gegen Trump.  

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Dieser Zaun an der Grenze zu Mexiko in Arizona soll illegale Einwanderer abhalten. Foto: Jens Schmitz
"Ich würde alles tun, um eine Chance zu bekommen", sagt Claudia Fandoa. "Wenn sie 50 000 Dollar als Strafe festsetzen, verkaufe ich eins meiner Organe. Ich liebe dieses Land!" Der quirligen 44-Jährigen steigen Tränen in die Augen, während sie im schmucklosen Gemeindesaal einer Methodistenkirche im US-Bundesstaat Arizona ihre Geschichte erzählt: Seit sie vor 22 Jahren ein Touristenvisum überzogen hat, hat sie keine Möglichkeit, ihren Status zu legalisieren. Und ihr mexikanischer Pass, sagt die Mutter dreier kleiner US-Bürger, sei nicht mehr gültig.

Wählen darf sie nicht, doch im Wahlkampf engagiert sich Fandoa trotzdem. "Ich habe die Organisation ,Promise Arizona‘ gefunden", sagt sie und deutet auf die Plakate und Poster im Saal. "Trump-Unterstützer haben auch ein Herz. Sie müssen uns kennenlernen!" Menschen wie sie könnten die Wahl entscheiden. Seit Wochen klopft Fandoa gemeinsam mit anderen Freiwilligen in den sonnenheißen Vororten von Phoenix an eine Haustür nach der anderen.

Große Bevölkerungsgruppe – kleine Wahlbeteiligung

Der Anteil der US-Bürger mit lateinamerikanischen Wurzeln wächst seit Jahren. 22 Prozent der Wahlberechtigten in Arizona sind Latinos, aber ihre Wahlbeteiligung ist traditionell schlecht. "Promise Arizona" will das ändern: In leuchtend gelben T-Shirts registrieren die Aktivisten Wähler, leisten logistische Hilfe und sorgen dafür, dass die Angesprochenen auch wirklich abstimmen. Mit Erfolg: Arizona, seit Jahrzehnten in republikanischer Hand, fällt womöglich an die Demokratin Hillary Clinton. "Das liegt nicht nur an Trump, aber auch", sagt Petra Falcon, die Gründerin der Organisation. "Latinos wissen oft nicht, wen sie wählen sollen. Trump und seine Pläne kennen sogar kleine Kinder."

Die 52-Jährige schätzt den Anteil der Trump-Wähler unter Latinos auf fünf Prozent. Der Republikaner, der Mexikaner pauschal als Kriminelle, Drogendealer und Vergewaltiger bezeichnet hat, will nicht nur eine durchgehende Grenzmauer errichten. Er hat auch angekündigt, elf Millionen illegal Eingewanderte zu deportieren und auf Familienbande keine Rücksicht zu nehmen. Das erfüllt viele mit Entsetzen: In den USA geborene Kinder sind Staatsbürger. Der Riss zwischen Nationalitäten und Legalitätsgraden geht durch fast jede Latino-Familie. "Trump hat seine erste große Anti-Einwanderungsrede in Arizona gehalten", sagt die 23-jährige Perla Salgado. "Ich musste das hier in unserem Gemeindezentrum am Fernseher übersetzen. Manche waren zornig, viele hatten Angst."

Salgado ist als Mädchen in die USA gekommen, ihre Eltern durchquerten mit zwei Kindern die Wüste. Im Jahr 2012 verkündete US-Präsident Barack Obama den DACA-Erlass, der es unverschuldet ins Land geratenen Jugendlichen ermöglicht, ihren Aufenthaltsstatus zu legalisieren – gerade rechtzeitig für Salgados Sozialarbeitsstudium.

Für viele Latinos geht es um die Existenz

2014 legte Obama mit dem DAPA-Erlass nach, der auch manchen Eltern eine Perspektive bot – solchen nämlich, die ein Kind mit US-Staatsbürgerschaft hatten. Auf Perlas zwei jüngste Geschwister traf das zu, aber die Opposition in Washington legte das Vorhaben vor Gericht auf Eis. "Das war der Punkt, an dem ich entschied, mich zu engagieren", sagt Perla. "Nun kommt Trump dazu: Wenn er gewinnt, kann er DACA rückgängig machen. Studium, Arbeit, Führerschein – ich würde alles verlieren."

Susan Islas ist US-Bürgerin, sie wurde in Phoenix geboren. Die Mittvierzigerin hat sich in einen Mexikaner verliebt, der 1999 illegal über die Grenze kam. Seit 2007 sind die beiden verheiratet, doch einen Weg, den Status ihres Mannes zu legalisieren, gibt es nicht. Islas will das ändern. "Ich engagiere mich seither bei jeder Abstimmung, um mehr Latinos zum Wählen zu bringen", sagt sie.

Mit Ausnahme von Bill Clinton 1996 hat seit den 50er-Jahren kein demokratischer Präsidentschaftskandidat mehr in Arizona gewonnen. Doch im aktuellen Wahlkampf hat Hillary Clinton zu Trump aufgeschlossen, im Moment liegt sie sogar 0,6 Prozentpunkte vor ihm. Die Kandidatin hat kurzfristig angekündigt, diesen Mittwoch bei Phoenix selbst um den Staat zu werben.

Petra Falcon hat noch nie geglaubt, dass konservative Wahlsiege in Arizona ein Naturgesetz sind. "Wir haben uns nur nicht bemüht", sagt sie. Die gebürtige Amerikanerin hat "Promise Arizona" als Reaktion auf rassistische Polizeikontrollen gegründet. Ihre Gruppe ist eine von 14 Organisationen, die seit 2010 in dem Staat 400 000 neue Wähler registriert haben, 150 000 davon allein in diesem Jahr.

Kilometerlange Zäune an der Grenze

Falcon verweist auf den wenige Stunden entfernten Grenzort San Luis bei Yuma. In San Luis gibt es schon eine Mauer von der Art, wie sie Trump vorschwebt; kilometerweit ziehen sich Doppelzäune und Stahlwände durch Dörfer und Wüste. Dazwischen bringt ein Bussystem morgens und abends Tausende mexikanischer Arbeiter ins Land und wieder nach Hause. "Für US-Farmer, von denen die meisten republikanisch wählen", sagt sie. Latinos nähmen niemandem den Job weg. "Wo die arbeiten, sehen Sie nie einen Weißen. Das will keiner machen."

Latinos dominieren nicht nur die billigsten Jobs im US-Agrarwesen, sondern auch in der Hotellerie. "Wir sind die Mauer vor Trumps Hass, seinem Mangel an Respekt und seinen Beleidigungen", hat der hispanische Vizepräsident der Dienstleister-Gewerkschaft SEIU kürzlich der Presse erklärt. "Und wir sind die Mauer, die ihn aus dem Weißen Haus halten wird." In Phoenix trägt der Streit um den selbsternannten härtesten Sheriff Amerikas zur Mobilisierung bei. Der 84-jährige Joe Arpaio kandidiert für eine siebte Amtszeit, obwohl er vom Justizministerium angeklagt wurde, ein richterliches Verbot rassistischer Fahndungsmethoden ignoriert zu haben. Die Möglichkeit, den hoch umstrittenen Sheriff erst abzuwählen und dann womöglich im Knast zu sehen, lässt vielen Latinos das Herz aufgehen. Die republikanische Gouverneurin Jan Brewer setzte vor zwei Wochen noch einen zusätzlichen Anreiz: "Ach was", tat sie die Frage nach der Bedeutung von Latinos in einem Interview ab. "Die kriegen ihren Hintern zum Wählen nicht hoch." Für viele heißt das: Jetzt erst recht.

Es geht um mehr als nur Trump. Auf regionaler Ebene schicken die Aktivisten inzwischen eigene Kandidaten ins Rennen. "Arizona ist schon seit Jahren so etwas wie Ground Zero für alle, die auf eine Reform des Einwanderungsrechts hoffen", sagt Petra Falcon. "Das war mal ein überparteiliches Anliegen. Dann haben Konservative Latinos als Zielscheibe entdeckt. Sie verändern das Land. Und jetzt ist die Angst davor ein politisches Mittel."

Zwei unterschiedliche Welten auf einem Jahrmarkt

Auf der Arizona State Fair im Zentrum von Phoenix ist klar zu hören, dass sich die alte Mehrheitskultur vor Veränderung fürchtet. Zwischen drei Riesenrädern und einer großen Arena für Rodeos drängeln sich weit über eine Million Besucher bei einem der größten Jahrmärkte des Landes. Cowboys und Publikum lauschen mit gesenktem Kopf, als der weiße Vorbeter beim Rodeo Gottes Schutz für Reiter und Tiere erbittet, für die Zuschauer, das US-Militär. Zum Schluss fleht er um Segen für eine "Nation in Gefahr", die dabei sei, ihren Charakter zu verlieren. Die Verfassung sieht zwar eine Trennung von Kirche und Staat vor und spricht von Gott nur allgemein, aber der Mann beharrt darauf, dass das Land "auf christlichen Prinzipien" begründet worden sei. "Betet, dass die richtige Person gewinnt!", schallt es über den Sand. Dass ein Konservativer gemeint ist, muss niemand erklären.

Bei den Latinos zwischen den Buden ist kaum ein gutes Wort über Trump zu hören. Edger Urbina und Susana Ramirez aus Scottsdale sind seit 20 Jahren legal im Land, haben aber keine Staatsbürgerschaft. Die beiden 40-Jährigen würden Clinton wählen, weil "Donald Trump Mexikaner hasst". Rocio Zepeda (29) ist in New Mexico geboren, sie hat vor zwei Tagen für Clinton gestimmt. Ihr Mann Julio (33) hat keine Papiere und schlägt sich seit 15 Jahren als Bauarbeiter durch. "Ich wähle nicht oft", sagt Rocio, "aber Trump ist eine ignorante Person und ein Rassist."

Latinos mit republikanischem Stimmzettel gibt es, aber man muss sie suchen. Pastor José González von der West Phoenix Victory Outreach Kirche spricht gern über die biblische Geschichte von Esau, der für ein paar Linsen sein Erstgeburtsrecht verkaufte. "Viele Latinos geben ihren Glauben für falsche Versprechen auf", sagt er. "Hillary Clinton erzählt ihnen, sie werde eine Einwanderungsreform bewerkstelligen. Obama hat das auch versprochen, aber er konnte nie liefern."

González hat Frau und zwei Töchter, er ist sicher kein Trump-Fan. "Ich unterstütze weder sein moralisches Leben noch seine verrückten Ideen oder seine Tiraden gegen Einwanderer", sagt der 57-Jährige. "Aber als Christ haben christliche Werte Vorrang für mich." Die Homoehe sei inakzeptabel, Abtreibung dürfe nur in ganz wenigen Notsituationen gestattet sein. "Aus diesen Gründen kann ich nicht für demokratische Kandidaten stimmen. González will aber wählen, er hält das für wichtig." Und als mir klar wurde, dass ich zwischen zwei üblen Kandidaten entscheiden muss, habe ich beschlossen, auf den weniger schlimmen zu setzen."

Im Gottesdienst vor 700 Gläubigen hält González sich mit direkten Äußerungen zurück, aber andere Geistliche hätten seine Argumente zum Nachdenken gebracht, sagt er. "Natürlich gibt es auch welche, die mich für verrückt halten." Dass er mit seiner Position unter Latinos in der Minderheit ist, weiß er, aber ganz so klar wie Petra Falcon sieht er die Lage nicht. "Ich würde schätzen, dass 15 Prozent von uns für Trump stimmen."
Latinos in den USA

Latinos stellen nach Weißen die stärkste Bevölkerungsgruppe. Mit Ausnahme von Asiaten wächst keine Gruppe schneller: Im Jahr 2011 stellten sie mit 52 Millionen Menschen 17 Prozent der Einwohner, 2050 soll es ein Drittel sein. In den Wahlkabinen sind sie unterrepräsentiert: Im bevölkerungsreichsten Bezirk Arizonas, Maricopa County, stellten Latinos 2012 30 Prozent der Einwohner, aber weniger als ein Sechstel der Stimmen. Die Gründe? Einige sind illegal eingewandert, andere haben keine Staatsbürgerschaft. Überdurchschnittlich viele haben keinen Schulabschluss – diese Gruppe geht vergleichsweise seltener wählen.


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