Langer und kurioser Abschied von Bukarest

Nach einem Auslandsjahr in Rumänien ist die Roma-Studentin eigentlich bestens im Bilde – nicht jedoch über den Fluch, von dem sie erlöst werden muss.  

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Fernweh ist ein gut bekanntes Phänomen in einer globalisierten Welt. Kaum ein Reiseziel, das nicht erreichbar wäre. Mehr als nur die Sehnsucht nach fernen Zielen spiegelt das sehr sinnige Projekt "FernWeh". In Freiburg bei "iz3w" angesiedelt, beschäftigen sich die fünf Mitarbeiter kritisch mit den sozialen Widersprüchen als Folge globalen touristischen Geschehens. Mit EU-Geldern finanziert, entwickelt "Fernweh" Aktionen, die anregen und sensibilisieren sollen. (Nachzulesen auf zwei sehr informativen Websites, siehe Textende.) Eine dieser Aktionen war der Schreibwettbewerb "stories from paradise" - nachdenkliche oder verrückte, kurz: besondere Geschichten über Begegnungen auf Reisen. Die JuZ druckt hier einen der prämierten Texte ab - den von "melamar".

Ich sitze hinter dem Lenkrad meines Autos, das in der Bukarester Soseaua Pantelimon geparkt steht. Hohe Plattenbauten soweit das Auge reicht. Ich warte, während mein Freund Giacomo noch etwas besorgt vor unserer Abfahrt aus der Stadt, in der wir fast ein Jahr lang gelebt und studiert haben. Giacomo, der Politikwissenschafts-Student, hatte neben dem Studium noch als Volontär in einem Projekt für Straßenkinder gearbeitet. Ich hatte mich, im Rahmen meines Rumänisch-Studiums, auf meine Diplomarbeit zum Thema Roma-Literatur in Rumänien vorbereitet und dafür den Intensivkurs für Roma-Sprache an der Uni Bukarest besucht.

Zehn Monate hatte ich in der rumänischen Hauptstadt zugebracht, in einem Studentenheimzimmer am Stadtrand, hatte einen flüchtigen Herbst erlebt, klirrende Kälte im Winter, einen fast nicht vorhanden Frühling, der binnen zwei Wochen einem schier unerträglich heißen Sommer gewichen war. Hatte Menschen kennen gelernt, Freundschaften geschlossen. Zum Beispiel mit Nicoleta, der ihrer eigenen Kultur gegenüber sehr kritischen Romni aus Giurgiu, direkt an der bulgarischen Grenze. Nicoleta, die im Alter von 14 von ihrem Vater zwangsverheiratet worden war, von ihrem Mann misshandelt und gedemütigt wurde, bis sie sich mit 20 Jahren scheiden ließ und mit den zwei Kindern zu ihren Eltern zurückkehrte. Nicoleta, die mich ständig fragte: "Warum lernst du Zigeunerisch? Was gefällt dir an unserer Sprache? Die Zigeuner sind keine guten Leute, pass auf, ich sag’s dir aus Erfahrung."

Nicoleta, die sich so einsam fühlte, die so gerne einen Partner gehabt hätte und trotz ihrer Schönheit, ihrer Intelligenz und ihrer bloß 28 Jahre niemanden finden konnte. "Ein Zigeuner heiratet keine 28-jährige Frau", hatte sie mir erklärt, "schon gar keine, die geschieden ist und Kinder hat." Aber ein Gadjo, ein Nicht-Rom, kam für sie auch nicht in Frage. "Welcher Rumäne heiratet schon eine Zigeunerin? Noch dazu eine, die sich als solche deklariert, die fürs Minderheitenradio und für einen Roma-Verein arbeitet?" Es war eine Sackgasse, in die Nicoleta geraten war. Die einzige Hoffnung, die ihr bleibt, ist es, eines Tages einen verständnisvollen Ausländer zu finden, der sie so nimmt wie sie ist.

Nun sitze ich im Auto und warte auf Giacomo und obwohl ich die Stadt noch gar nicht verlassen habe, beginne ich schon, die Menschen zu vermissen, mit denen ich hier zusammen gewesen bin. Nicht nur Nicoleta, auch Mariana, die indisch aussehende, hoch gebildete, warmherzige Romni aus der Moldau, dann Elena, die als Roma-Beauftragte im Bukarester Rathaus sitzt und natürlich Manuel, den spanischen Botschaftsangehörigen, der mir seine Liebe zu Cannabis erst gestand, nachdem ich mein aus Österreich geschmuggeltes Haschisch bereits ohne ihn verraucht hatte. Wann würde ich all diese Leute wiedersehen? Würde ich sie überhaupt wiedersehen?

Giacomo braucht ein ganzes Weilchen für seine Besorgungen, jedoch stört mich das gar nicht. Vielmehr nutze ich die Gelegenheit, noch einmal die Atmosphäre der rumänischen Hauptstadt in mich aufzusaugen. Es ist Sommer. Ein später Vormittag und bereits siedend heiß. Von den Kanaldeckeln drückt es einen unangenehmen Geruch herauf, die Luft ist voller aufgewirbelten Staubes, es riecht so stark nach Benzin, wie dies nur in einem Land passieren kann, das noch keine Katalysator-Pflicht kennt.

Die Geräuschkulisse ist von hupenden Autos und Manele-Musik, einer an türkische Harmonien erinnernden Mischung aus volkstümlicher rumänischer Musik, Roma-Musik und Schlager, die zum Bauchtanz einlädt, geprägt. Das Straßenbild ist sehr belebt, man sieht vorwiegend einfach gekleidete Menschen, die hier Besorgungen erledigen, Straßenverkäufer, Zigeuner, herumstreunende Kinder. Viele junge Burschen tragen Jogginganzüge aus glänzenden Stoffen, Sportschuhe und Goldkettchen aus falschem Gold.

Manch einer trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift: "B.U.G. Mafia", soll heißen: "Bucharest Under Ground Mafia". So heißt der HipHop-Act der Stunde, der die zwielichtige Soseaua Pantelimon zum Mythos erhebt, in der Weise, in der etwa MCs aus New York über Brooklyn rappen. "Pantelimon pâna la moarte!" - "Pantelimon bis zum Tod!" heißt es beispielsweise in einem ihrer Tracks. An Machogehabe ihren amerikanischen Vorbildern in nichts nachstehend, gelingt es den Veteranen des rumänischen Gangster-Rap zumindest, den jungen Bewohnern des eher übel beleumundeten Pantelimon-Viertels, aus dem eigfast jeder weg will, ein wenig Selbstbewusstsein einzuflößen.

Die jungen Mädchen sieht man nicht so häufig in Sportschuhen und Jogginghosen. Sie zeigen lieber ihre Beine und das ganzjährig. Sogar im Winter bei Temperaturen von minus 20 Grad sieht man junge Frauen in Miniröcken und hochhackigen Schuhe, oft mit Plateau-Sohlen, die im Westen schon gar nicht mehr getragen werden. Ausschnitte sind tief gesetzt und Damen-T-Shirts, die den Bauch bedecken, gibt es – wohl wegen mangelnder Nachfrage – so gut wie gar nicht zu kaufen.

Während ich also im Auto sitze, das Radio eingeschaltet, bei offener Tür, kommt eine Romni auf mich zu. Sie ist schon älter, vielleicht 50 und sie trägt das farbenbunte, traditionelle Gewand der Cortorari, der sogenannten "Zeltzigeuner", die man eigentlich mehr in Siebenbürgen, auf der anderen Seite der Karpaten, antrifft. Zielstrebig steuert sie auf mein durch sein österreichisches Kennzeichen auffälliges Auto zu. Ich weiß, dass sie Geld will. Was sonst? Ich erinnere mich an den Bulibascha einer Roma-Siedlung, die ich einst besucht hatte, an das verzweifelt-beschämte Geständnis: "Wir müssen stehlen um zu essen."

Oft war ich in Roma-Siedlungen zu Gast gewesen, auch im Klausenburger Viertel "Iris", das zu betreten die ansässige Polizei nicht wagt und wo es aussieht, wie in einer brasilianischen Favela: kleine, notdürftig zusammengeschusterte Hütten aus altem Holz und Wellblech, ohne Wasser und Strom, die nackte Erde als Boden, eine Arbeitslosen- und Analphabeten-Rate von nahezu 100 Prozent. Immer war ich anständig behandelt worden, als Ehrengast sozusagen, niemals war ich von Zigeunern betrogen oder bestohlen worden. Natürlich hatte ich auch immer gewusst, wem ich aus dem Weg gehen musste und war nie in die Falle der Wahrsagerinnen getappt.

"Ich werde dir zeigen,

wohin dein Geld

verschwunden ist."

An diesem heißen Spätvormittag in Bukarest werde ich jedoch neugierig. Ich weiß, die Frau will mein Geld. Doch wie wird sie vorgehen? Für 10 000 Lei (etwa 30 Cent) liest sie mir aus der Hand. Ich würde eine große Zukunft haben, gesund und erfolgreich sein, es zu Geld bringen, einen guten Mann finden und zwei Kinder mit ihm haben. Doch es gäbe da ein Problem. Ich hätte einen Feind oder eine Feindin, der oder die einen Fluch ausgesprochen habe.

Dieser Fluch sei nicht leicht aufzuheben, jedoch könnte sie es für mich tun, obgleich es sie eine große mentale Anstrengung kosten würde. Ich willige, leicht amüsiert und neugierig, ein. Sie hält mir den 10 000 Lei-Schein, den ich ihr gegeben habe, unter die Nase. Ich solle darauf spucken und zwar drei Mal. Ich tue, wie mir geheißen. Die Romni murmelt darauf hin ein paar mir unverständliche Sätze in ihrer Sprache. Dann erklärt sie mir, dass der Fluch zu stark sei und dass es einen großen Geldschein bräuchte um ihn zu brechen. Ich öffne also vorsichtig meine Geldbörse, diese dabei fest in meinen Händen haltend und ziehe einen 100 000 Lei-Schein (etwa drei Euro) heraus.

Misstrauisch fragt die Frau, ob das alles sei, was ich aufbrächte. Der Gegenzauber würde nur wirken, wenn ich den größten Geldschein, den ich hatte, herausgab. Außerdem bräuchte sie den Schein nur für das Ritual, sie würde ihn mir zurückgeben, schließlich hätte ich ihr ja schon mit dem 10 000er geholfen. Ich hätte keinen größeren Schein als den 100 000er lüge ich. Nun wiederholt sich das Ritual. Ich muss drei Mal auf das Geld spucken, die Romni murmelt unverständliche Worte vor sich hin, bis sie meint, nun sei ich frei und meinem zukünftigen Glück stünde nichts mehr im Wege.

Selbstverständlich, wenn auch mehr oder weniger pro forma, frage ich nach, was nun mit meinem Geldschein sei, den die Frau inzwischen schon in den Falten ihres Gewandes hatte verschwinden lassen. Zuerst schimpft sie mich aus, ich sei undankbar, dann sagt sie mir: "Ich werde dir zeigen, wohin dein Geld verschwunden ist." Sie hebt ihre langen Röcke hoch, unter denen sie nichts trägt, zeigt mir ihre rot-braun behaarte Scham und meint: "Pizda asta a mâncat banii." – "Diese Fotze hat das Geld gegessen." Und sie geht, Schimpfworte ausstoßend, davon. Vor lauter Verblüffung macht sich ein dämliches Grinsen auf meinem Gesicht breit und ich schüttle den Kopf, wie um es loszuwerden.

Bald darauf erscheint, völlig verschwitzt, da er offenbar gerannt war, um mich nicht allzu lange warten zu lassen, Giacomo, entschuldigt sich überschwänglich für sein langes Ausbleiben und fragt, ob ich mich schon gelangweilt hätte. "Nein, ich hab mich gar nicht gelangweilt. Im Gegenteil, ich habe gerade Bekanntschaft mit einer Zigeunerin gemacht." "Und?" fragt Giacomo "Hast du Romanés mit ihr gesprochen?" "Nein", sage ich, "wir haben Rumänisch geredet." Mit einem geheimnisvollen Lächeln auf den Lippen starte ich den Motor.

http://www.trouble-in-paradise.de

http://www.iz3w.org/fernweh/

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