Tragikomödie
Könnte besser sein: "Es war einmal in Deutschland"
Was braucht man als KZ-Überlebender nach dem Krieg am meisten? Geld – darauf kann sich das Häuflein jüdischer Männer, das sich da im Jahr 1946 in einem Durchgangslager in Frankfurt am Main zusammengefunden hat, sofort einigen.
Di, 4. Apr 2017, 0:01 Uhr
Kino
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Wobei alle Geschäfte an der Haustür stattfinden – und David nur die Ware liefert, denn die US-Militärverwaltung verweigert ihm die Lizenz, bis Offizierin Sara Simon (Antje Traue) seine Rolle im Naziregime geklärt hat: Warum gehörte er zu den privilegierten KZ-Häftlingen? Wollte er auf dem Obersalzberg Hitler töten oder war er ein Kollaborateur? Das ist der zweite Handlungsstrang in Sam Garbarskis Tragikomödie "Es war einmal in Deutschland", deren Drehbuch der 1948 in München als Sohn einer jüdischen Mutter geborene Belgier gemeinsam mit Michel Bergmann verfasst hat – nach dessen semi-autobiografischen Romanen "Die Teilacher" (2010) und "Machloikes" (2011).
Die Geschichte um die Teilacher, wie jüdische Vertreter im Einzelhandel genannt wurden, ist die gelungenere: Wenn David und seine Kollegen ihren potentiellen Käufern ein X für ein U vormachen, wenn sie mit Altnazis ein Schnäpschen auf den Sohn trinken, der für Deutschland den Heldentod gestorben ist, wenn sie auf Pflichtgefühl, Neid und Schnäppchengier der Hausfrauen spekulieren – und mit jedem Trick ein ordentliches Paket Weißwäsche verticken, dann ist das höchst vergnüglich anzusehen und macht "Es war einmal in Deutschland" zu einer sympathischen Gaunerkomödie à la "Ocean’s Eleven", garniert mit bitter-lakonischen Sprüchen, schwarzem Humor und eingestreuten jiddischen Vokabeln.
Aber auch zur harmlosen Unterhaltung. Was vor allem daran liegt, dass "David’s Six", wiewohl die Teilacher sämtlich gut besetzt sind und ihre Darsteller schön aufspielen, etwas unterbelichtet bleiben in diesem Ensemblefilm um eine Hauptfigur, die Moritz Bleibtreu in gewohnter Tragikkomödiensouveränität verkörpert. Was den anderen widerfahren ist und wie sie mit ihrer Leidensgeschichte umgehen, scheint mehr als Potpourri jüdischen Schicksals zu interessieren denn als Erfahrung eines Individuums. Besonders deutlich wird das in der eigentlich bestürzendsten Szene des Films: Krautberg erhängt sich, weil er glaubt, statt eines Nazischergen einen Mithäftling in den Tod geschickt zu haben – und doch bleibt man beim Zusehen seltsam unberührt.
Die Verbindung von Tragik und Komik glückt am besten in der Figur des David, die mit ihrer Coolness (ja, das Wort klingt ein wenig zu heutig, aber Bleibtreu spielt genau so) tiefe Abgründe zudeckt. Der Mann hat immer einen Witz auf Lager – und genau damit hat er das Lager überlebt, aber auch seine Familie. Oder ist er gar ihr Totengräber? Die Befragung durch Sara Simon (auch sie wirkt als Figur zu heutig, ist eher Special Agent als US-Ermittlerin der Nachkriegszeit) scheint sukzessive die Wahrheit zu Tage zu fördern, zumal man als Zuschauer die Rückblenden, die seine Erzählung illustrieren, eine ganze Weile lang für bare Münze nimmt.
Aber dann zeigt sich, dass die Wunden der Vergangenheit woanders schwären und David nicht schwindelt, weil er ein heiteres Münchhausen-Naturell besitzt, sondern weil das uneigentliche Sprechen ihm zur Überlebensstrategie wurde. Ohne Lüge, sagt er am Ende, sei das Leben nicht zu ertragen – in seinem Fall muss man ergänzen: Ohne seine Witze und seine Lügen wäre es ausgelöscht worden.
Sam Garbinski, der mit "Irina Palm" (2007) ja gezeigt hat, wie wunderbar er sich auf Tragikomödien versteht, hätte aus Stoff und Vorlage seines neuen Films zweifellos mehr machen können: mehr Dramatik, schärfere Tragik wie Komik, glaubwürdigere Figurenzeichnung. Und doch stimmt der Satz, den der Film an den Anfang gestellt hat: "Dies ist eine wahre Geschichte. Und was nicht ganz wahr ist, stimmt trotzdem."
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