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Keine Sterne über Ouagadougou

  • Do, 22. Mai 2003
    Zisch

     

In Burkina Faso, einem der ärmsten Länder der Welt, verbringt eine Abiturientin ihr Praktikum in einem Waisenhaus und lernt viel über Gemeinschaft und Gelassenheit im "african way of life" / Text: Lina Fiedler und Fotos: Lina Fiedler und AFP.

N ach dem Abitur wollte ich ins Ausland, raus aus Europa, und über den Tellerrand schauen. Ich wollte mich sozial engagieren, etwas bewirken und über die Arbeit die Menschen und ihre Lebensweise wirklich kennen lernen. Und ich hoffte, mich über neue Erfahrungen selbst besser einordnen zu können und mein Leben zu bereichern. Schließlich landete ich bei einer Praktikumsstelle in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, das zu den westafrikanischen Staaten gehört. Burkina Faso grenzt an Mali, Niger und die Küstenstaaten Ghana, Elfenbeinküste, Togo und Benin (siehe Kartenausschnitt). Es zählt zu den ärmsten Ländern der Erde, 90 Prozent der Landbevölkerung leben hier beispielsweise ohne Strom.

In Ouagadougou leben 1,2 Millionen Menschen, ein Zehntel der Gesamtbevölkerung - und täglich kommen mehr. Sie hoffen auf Arbeit und Wohlstand, doch dieser Traum geht kaum in Erfüllung. Was früher noch Stadtrand war, ist heute der ausgedehnte Stadtkern, umgeben von immer neuen Slums und Lehmhütten. Und die vielen Einwohner bringen viele Probleme mit sich: Umweltverschmutzung, Abgase und Lärm belasten die Menschen. Sterne sieht man nachts nie, weil die Stadt immer unter einer Smogglocke liegt: die Menschen bewegen sich fast alle motorisiert fort, das Fahrrad wurde vom Mofa abgelöst. Auf einem Mofa finden vier Menschen oder auch 30 Hühner Platz, alles kein Problem. Wenn jemand sein Bett transportieren will, dann wird das quer aufs Mofa geladen. Getankt wird Altöl, das furchtbar rußt und stinkt. Die Straßen sind nur zum Teil geteert, die meisten sind staubige Pisten, gesäumt mit Verkaufsständen: Buden, Garküchen, Decken mit Obst und Gemüse. Frauen, Kinder, alte und junge Männer verkaufen alles, was sie finden, um an Geld für eine Mahlzeit zu kommen. Dafür wird auch Müll pfiffig recycelt: aus alten Autoreifen werden Schuhe, Taschen und Wasserbeutel genäht. Altes Blech wird zu Eimern und Spielzeug umgebogen. Trotzdem bleiben Müllberge. Der Abfall wird auf leer stehenden Grundstücken oder auf den Straßen "entsorgt". Jeden Abend steigen dunkle Rauchwolken über Ouagadougou auf: der Müll wird angezündet, um Platz zu schaffen. Auch das Abwasser ist ein Problem, denn die Stadt hat kein Abwassersystem. Wohin also mit dem verschmutzten Wasser? Stinkende Abwassergräben vor den Häusern ziehen Moskitos und anderes Ungeziefer an.

Aber Ouagadougou hat auch schöne Stellen. Eine davon ist das Waisenhaus "Ampo" im Osten von Ouagadougou. "Ampo" steht für "Association Managré Nooma pour la Protection des Orphelins" - Gesellschaft zum Schutz von Waisen unter dem Leitsatz eines afrikanischen Sprichworts: "Das Gute geht niemals verloren." Das Waisenhaus wird getragen vom deutschen Förderverein "Sahel e.V." und wurde von Katrin Rohde gegründet. Die kam in den 90er-Jahren her, um einem erkrankten afrikanischen Freund spezielle Medikamente zu bringen - und blieb. Die resolute Powerfrau verkaufte ihre Buchhandlung in Plön und baute mit dem Erlös 1996 einen Hof in Ouagadougou, der zunächst dem Schutz von Straßenjungen galt. Heute ist das Projekt auf 100 Kinder angewachsen: Waisen, Halbwaisen und Kinder aus Großfamilien, die zu Hause nicht miternährt werden können - besonders die Zahl der Aidswaisen steigt ständig.

Ein separater Hof für die Mädchen wurde 1999 gebaut, um mehr Kinder aufnehmen zu können. Doch die Warteliste ist lang. Katrin Rohde, deren Ideen und Kampfgeist niemals versiegen, gründete weitere Hilfsprojekte: eine Rollstuhlwerkstatt für Behinderte, eine Ausbildungsstätte für Straßenjungen, ein Aufklärungsprojekt zur Familienplanung und Aidsprävention und eine Krankenstation mit Gynäkologie, in der für 15 Cent jeder hilfsbedürftige Mensch behandelt wird.

Im Mädchenhof bewohnte ich das "chambre visiteur", das Besucherzimmer mit fast europäischem Standard. Es verfügte sogar über einen Ventilator - nur leider fiel der Strom und damit der Ventilator oft aus. Das Zimmer war mit zwei schmalen Betten ausgestattet, eine Blechkiste diente zur Aufbewahrung der Kleider, was ich sehr praktisch fand, da ich das Zimmer auch mit Spinnen, Geckos und kleinen Kröten teilte.

Die 48 Mädchen im Alter von 6 bis 19 Jahren schlafen zu fünft oder zu sechst auf Strohmatten in runden Lehmgebäuden, die mit der Schneiderei und der Küche einen Hof bilden. In der Mitte ist ein Dach, unter dem gegessen, gespielt und gefeiert wird. Anders als in den wenigen staatlichen Waisenhäusern haben die Kinder hier keine eigenen Zimmer mit Betten und Spielzeug. Mit Bedacht: Katrin Rohde ist es wichtig, dass die Kinder möglichst nahe an dem Umfeld bleiben, in das sie nach Abschluss ihrer Schul- oder Berufsausbildung auch wieder entlassen werden. Deshalb müssen die Kinder hier auch selbst initiativ sein, die Hütten fegen, die Wäsche von Hand waschen, kochen und aufräumen.

An das einfache Leben hatte ich mich bald gewöhnt. Fremd war das Essen: Nach dem Händewaschen wird der Hirsebrei zur Kugel geformt und in eine Soße getaucht. Das alles nur mit der rechten Hand, weil die linke als unrein gilt. Im Ampo gibt es übrigens zweimal täglich warmes Essen - das ist keine Selbstverständlichkeit. "Fettsein" gilt hier als erstrebenswertes Ziel: Es verkörpert Wohlstand.

Unter der Woche haben die Kinder von Ampo Schule bis um fünf - eine Schulpflicht gibt es hier nicht, es ist also eher ein Recht auf Schule, das die Kinder von Ampo genießen können. An den freien Tagen gibt es Musik und Sport, Gitarren- und Trommelunterricht, bald auch einen Chor - und die Mädchen stärken ihr Selbstbewusstsein beim Karate, die Jungs halten sich mit Fußball fit.

Das Waisenhaus hat außer Katrin Rohde, Zivi und Praktikanten nur afrikanische Mitarbeiter. Praktika sind nicht genau festgelegt: Es ist viel Eigeninitiative gefragt, bei großer Eigenverantwortung und tollen Erfolgserlebnissen. Ich betreute die Kinder bei den Haus- aufgaben und gab Nachhilfe, wurde zum Gesprächspartner, gab Musikunterricht, half im Büro und plante Aktionen wie T-Shirts-Bemalen und Plätzchenbacken. Zwischen den Aufgaben blieb oft viel Zeit. Aber das Leben in Afrika geht bei der Hitze einfach langsamer. Nach einem Nachmittag mit den Frauen beim Kochen im Hof hat man nach unserem Verständnis nichts "geleistet". Trotzdem fühlte man eine Erfülltheit allein schon wegen des Gemeinschaftsgefühls. S o spielte ich mit den Mädchen, saß bei den Frauen im Hof, die kochten, stillten, plauderten. Nie würde eine Frau mit ihren Kindern isoliert zu Hause sitzen: Sie ist immer in Gesellschaft anderer Frauen im Hof. Ich gewöhnte mich bald an den "african way of life", bei dem alles etwas länger braucht als man denkt. Dazu kommt die Lebensfreude, mit der die Menschen dort ihren Alltag meistern. Während wir uns Freude in Form von Konsumgütern kaufen, zählt in Afrika die Gesellschaft mit Musik und Festen. Eine Afrikanerin gab mir mit auf den Weg: "Du wirst durch den afrikanischen Lebensstil innerlich ruhig und kannst viel Kraft schöpfen für das Leben in eurem durchorganisierten Europa."

Infos auch zu Patenschaften gibt's unter: http://www.sahel.de - und in Katrin Rohdes Buch "Mama Tenga", Kiepenheuer & Witsch.

Spenden: Förderkreis Sahel e.V., Sparkasse Kreis Plön, Konto - Nr: 5785, BLZ: 21051580, Stichwort: Lina Fiedler

Ressort: Zisch

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