Keine Prinzessin
Die neue Miss Germany, Leonie von Hase, schert sich nicht um alte Konventionen – und verkörpert damit den Wandel des Wettbewerbs.
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen
Etwas verwirrte Blicke links und rechts von ihr. Ralf Klemmer, Chef des Veranstalters, der Miss Germany Corporation, versucht ihr für eine Millisekunde ins Wort zu fallen, doch sein Sohn Max gibt ihm ein Zeichen. Das ist schon in Ordnung, so die Botschaft. Normalerweise, also in den vielen Jahren, in denen es diesen etwas angestaubten Schönheitswettbewerb schon gibt, lief das anders ab. Da waren es die Chefs, also die Klemmers, die die Anwesenden begrüßten, die Veranstaltung lobten, den meist schüchtern dreinblickenden Missen an ihrer Seite gratulierten. Erst danach durfte die frisch Gekrönte etwas sagen. Erst wenn die Männer fertig waren, so war die Hackordnung. Doch Leonie von Hase schert sich nicht um solche Konventionen. Und genau so ist das eigentlich auch gewollt.
Eine Revolution, das ist ein starkes Wort für eine solche Veranstaltung. Doch genau das strebte Max Klemmer, Juniorchef der Miss Germany Corporation, an. Der Schönheitswettbewerb, den es seit 1927 gibt, sollte im Me-Too-Zeitalter ankommen, man könnte auch sagen: Man wollte ihn retten. Eine Frau auf ein Maß, am besten 90-60-90, zu reduzieren, sie auf den perfekten Nasenwinkel und Cellulite hin zu analysieren, schickt sich nicht mehr. Und so sollte sich der Wettbewerb neu erfinden, weg von einer reinen Schönheitsveranstaltung, hin zu einer Suche nach Persönlichkeit, Authentizität, nach starken Frauen, die im Leben stehen und ein Vorbild sein können.
Das klingt nach Marketing, aber dass der Veranstalter es ernst meint, sieht man schon zu Beginn der Show am Samstagabend im Europa-Park in Rust. Die Begrüßungsmusik ist kaum verklungen, da laufen die Kandidatinnen schon über den Laufsteg. Nicht im kurzen Rock, nicht im Ballkleid – eher in Straßenklamotten. Und vor allem: Früher liefen die Frauen in strenger Choreographie, gestylt und möglichst sexy. Doch an diesem Tag läuft jede anders. Manche winken in die Menge, andere reißen die Arme nach oben, eine dreht sich um die eigene Achse. Die Persönlichkeit soll sich schon beim Einlauf zeigen. Die Zuschauer sorgen derweil für Stimmung, insbesondere als die Kandidatin aus Baden-Württemberg, Jessica Bisceglia aus Trossingen, einläuft, hallen "Jessi, Jessi"-Sprechchöre durch den Raum. Sie hat ihren gesamten Freundeskreis mitgebracht, rund 60 Unterstützer, sagt ihr Freund Peter Ohler grinsend. "Wir haben halt den Heimvorteil."
Der Kreis der Kandidatinnen wird nun allmählich verkleinert, zunächst fliegen vier Frauen aus dem Rennen. Die verbliebenen werden näher vorgestellt, wobei sich auch da Überraschungen auftun. Einige Kandidatinnen sind verheiratet, manche haben Kinder, eine ist gerade schwanger. Noch vor Kurzem wäre allein einer dieser Umstände ein Ausschlusskriterium gewesen.
Vor der Bühne sitzt die Jury. Auch die sieht ungewöhnlich aus. Weil sie radikal auf nur sechs Personen verkleinert wurde – und weil sie nur aus Frauen besteht. Frauke Ludowig, RTL-Moderatorin, sitzt da, und Dagmar Wöhrl, frühere CSU-Bundestagsabgeordnete und heutige Unternehmerin. Diese Jurorinnen wollen keine Frauen mit sexy Augenaufschlag und perfektem Einsatz der Hüfte.
Im Publikum sitzt derweil einer aus der früheren Zeit. Reiner Calmund, selbst lange Jahre Jurymitglied, wirkt etwas verloren. Früher, da konnte man noch feixend vor dem Laufsteg sitzen, anzügliche Witzchen reißen mit den anderen Männern, Roberto Blanco oder Tony Marshall. Dass das vorbei ist, ist Calmund klar. "Den Schritt musste man gehen, die Zeiten haben sich geändert", sagt er.
Mittlerweile sind nur noch sechs Frauen im Wettbewerb. Sie müssen nun Fragen der Jury beantworten. Auch die Kandidatin aus Baden-Württemberg ist noch im Rennen. Wer ein Vorbild sei, wo sie sich als Miss Germany sozial engagieren würden oder was Heimat für sie bedeute, wollen die Jurorinnen wissen. Danach wird noch einmal ausgesiebt, nur drei bleiben übrig. Schockstarre auf der Bühne – Jessica Bisceglia ist nicht dabei, "Team Jessi" packt die Banderole wieder ein.
Die verbleibenden Drei werden nun einem Kreuzverhör unterzogen, müssen viele Fragen in kurzer Zeit beantworten. Danach wird wieder abgestimmt. Gespannte Stille im Saal. Dann die große Überraschung: Leonie von Hase wird die neue Miss Germany. Sie ist die mit Abstand älteste Teilnehmerin aller Zeiten – und die wohl ungewöhnlichste, die es überhaupt jemals gab. 35 Jahre alt, Mutter eines dreijährigen Sohnes, auf einer Farm in Namibia aufgewachsen und nun in Kiel lebend, wo sie einen Laden für Vintage-Kleidung betreibt. Eine Frau mit vielen Brüchen im Lebenslauf, die mal in Kapstadt, London, in Athen und Berlin gelebt hat, die einen Bachelor in englischer Literaturwissenschaft hat und die Schriftstellerin Elizabeth Gilbert als ihr Vorbild benennt.
Als ihr Name fällt, huscht ein fast schon verschämt wirkendes Grinsen über ihr Gesicht. Keine Tränen, kein Jubelschrei, man hat den Eindruck, sie weiß um die Bürde des Amtes. Ein Amt, das sich aber auch neu erfinden will. Das wohl eine wie Leonie von Hase braucht. "Wenn sich das Konzept nicht geändert hätte, hätte sie sich nie beworben", sagt Heidi von Hase, ihre Mutter, die extra für den Wettbewerb aus Namibia eingeflogen ist.
Wie schwierig der Prozess der Neuerfindung wird, zeigt sich dann noch einmal bei der Pressekonferenz. Sie wolle zeigen, dass jede Frau einzigartig ist, sagt sie ganz am Ende. Ein Journalist will etwas Nettes sagen und wirft ein: "Alle Frauen sind Prinzessinnen". Ein gutgemeinter Spruch, der aber aus der früheren Zeit stammt. Von Hase verzieht das Gesicht. "Nein", sagt sie. "Wir Frauen wollen eben nicht immer gekrönt werden." Kurzes Grinsen im Saal, von Hase berührt kurz ihre Krone, die man ihr zuvor aufgesetzt hat. "Ok", sagt sie. "Das war jetzt etwas absurd."