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"Keine Kinder mehr, die in der Nase popeln"

  • Do, 07. Oktober 2004
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JUZ-INTERVIEW mit Christoph Biemann, der in der "Sendung mit der Maus" erklärt, warum die Banane krumm ist / In Rust ist er Gast bei den Science Days.

Zwischen Fahrrädern und Kamerastativen mitten in Köln hat Christoph Biemann seine "Werkstatt". Den typischen grünen Pullover hat der 53-Jährige nicht an und sehr viel Zeit hat der kreative Kopf der "Sendung mit der Maus" auch nicht: Er muss nämlich noch die Experimente vorbereiten, die er auf den Science Days (vom 14. bis 16. Oktober im Europa-Park Rust) zeigen wird. Trotzdem bekamen Martin Müller und Carl-Leo von Hohenthal die Gelegenheit, sich mit dem Fernseh-Idol einer ganzen Generation zu unterhalten.

JuZ: Herr Biemann, warum ist die Banane krumm?
Christoph Biemann: Die Blüte der Pflanze wächst nach unten , aber die Frucht dreht sich zum Licht. Deshalb ist sie krumm.

JuZ: Was ist so spannend an Naturwissenschaften?
Biemann: Spannend ist, wie das Interesse von Kindern und Erwachsenen geweckt wird. Zum Beispiel durch packende Experimente. Es gibt Dinge, die man sich schwer vorstellen kann, die es aber trotzdem zu entdecken gibt.

JuZ: Brauchen wir mehr Gentechnik und weniger Goethe?
Biemann: Man muss einfach die Zusammenhänge zwischen dem Geist und der Wissenschaft erkennen, deshalb heißt es auch Geisteswissenschaft. Natur und Geist sind also keine Konkurrenten. Gentechnik ohne Ethik würde also gar nicht weiterführen. Wissenschaft kann auch ins Esoterische gehen, es gibt Zusammenhänge, die wir anders nicht erklären können. Ich habe zum Beispiel mal ein Experiment mit einer Wünschelrute gemacht. Es hat funktioniert, aber keiner weiß warum.

JuZ: Gerade in der Schule haben Naturwissenschaften ein Imageproblem. Ist die Präsentation verbesserungswürdig?
Biemann: Ich würde den Schulen gar kein so schlechtes Zeugnis ausstellen. Ich denke, dass Lehrer ungern experimentieren. Sie blamieren sich nicht gern und Experimente können schief gehen. Das ist schade, man könnte so viel mehr Neugierde und Interesse wecken.

JuZ: In Baden-Württemberg müssen die Schüler seit kurzem zwei naturwissenschaftliche Fächer belegen. Fördert dieser Zwang die Neugier?
Biemann: Zwang ist immer nur das zweitbeste Mittel. Ich habe jedoch unlängst mit einem Mathematikprofessor gesprochen. Der klagte, dass die Schüler in der Oberstufe Fächer wie "Darstellende Künste" oder "Kabarett" belegen würden, dabei aber Mathe vernachlässigen, und es einfach nicht können. Vielleicht müsste man über eine Abkehr von der allgemeinen Hochschulreife nachdenken und sie je nach Fachkombination für bestimmte Fächer verleihen.

JuZ: Jeder Jugendliche kennt David Beckham und mehrere Dutzend HipHopper. Gibt es keine Stars in den Laboratorien?
Biemann: Es gibt keine Wissenschaftsstars, vielleicht Stephen Hawking wegen seiner Lebensgeschichte. Das hängt wohl damit zusammen, dass es kaum noch Universalgelehrte gibt. Die meisten beackern kein breites Feld, sondern haben ein ganz eingeschränktes Fachgebiet. Wenn sie dann doch Medienstars wären, würden sich wohl ihre Kollegen von ihnen abwenden.

JuZ: Die "Sendung mit der Maus" läuft so lange im deutschen Fernsehen wie kaum eine andere, und das mit nahezu unverändertem Konzept. Wie viele Kinder schalten wegen der Lachgeschichten ein, wie viele wegen der Sachgeschichten und - wie viele Erwachsene sehen zu?
Biemann: Die ganz kleinen Fernsehanfänger schauen die Maus, wenn sie dann etwas älter werden, kommen die Lachgeschichten und die Lieder. Und ab einem Alter von ungefähr acht Jahren sind dann die Sachgeschichten dran. 70 Prozent unserer Zuschauer sind Erwachsene, die das einfach interessant finden. Das hat für uns den Vorteil, dass Kinder die Maus nicht einfach abwählen, wenn sie älter werden. Wissenschaftsgeschichte findet im Schulunterricht praktisch nicht statt. Statt Forschungsergebnissen werden Feldzüge gelernt.

JuZ: Wo gibt es Berührungspunkte zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, und wo sollte es welche geben?
Biemann: Viele Entwicklungen der Geschichte kann man auch begreifen, wenn man sieht, was sich in dieser Zeit naturwissenschaftlich getan hat. Wenn man das ausgehende 19. Jahrhundert sieht, wird klar: Da ist unheimlich viel passiert. Eisenbahnen sind gebaut worden, die Stahlproduktion ist angelaufen. Ohne das wäre der Erste Weltkrieg nicht so gelaufen, wie er gelaufen ist.

JuZ: Wieso interessieren sich mehr Jungs als Mädchen für Naturwissenschaften?
Biemann: Das stimmt so nicht. Man hat herausgefunden, dass in gemischten Schulen die Jungs bei den Naturwissenschaften vorne sind, weil sie mehr Durchsetzungsvermögen haben. In Mädchenschulen jedoch sind die Mädchen voll da. Bei "Jugend forscht" sind Mädchen zum Beispiel klar in der Mehrzahl.

JuZ: Was können Schulen machen, um dem schlechten Ruf abzuhelfen?
Biemann: Es gibt ja immer den Einsatz, mehr Zweige in den Schulen einzurichten, die Ausstattung zu verbessern, bessere Lehrerausbildung. Ich denke, ein Hauptproblem, das eher im Vordergrund stehen sollte, ist der Spaß der Lehrer. Wenn Lehrer Spaß daran haben, Kindern etwas beizubringen und mit Experimenten zu begeistern, dann muss man diese stärken. Und den Lehrern, die es so nicht machen, muss man zeigen, dass es dann einfach keine Kinder mehr gibt, die in der Nase popeln und der Unterricht auch mehr Freude macht. Ein Lehrer ist wie ein Fußballtrainer und muss etwas anschieben.

JuZ: Die Science Days finden in einem Freizeitpark statt. Haben Naturwissenschaften ein so massives Imageproblem, dass die Kinder woanders nicht hinkommen würden?
Biemann: Ich mache diese Veranstaltungen an vielen Orten. Genauso in Buchläden oder in der Handelskammer. Ich war bisher noch nie in einem Freizeitpark.

JuZ: Wie können uns bessere Kenntnisse in Naturwissenschaften bei der Lösung unserer Zukunftsprobleme helfen?
Biemann: Das ist schwer zu sagen. Die Kenntnisse helfen auf jeden Fall, die Welt besser zu begreifen. Man kann besser wählen, besser Politik gestalten. Ob sich jedoch alle Probleme auf naturwissenschaftlicher Ebene lösen lassen, glaube ich nicht.

JuZ: Wo muss dem Forschungsdrang eine Grenze gesetzt werden?
Biemann: Wenn es um das Klonen von Menschen geht oder um die Verbesserung des menschlichen Erbgutes, dann muss man im Einzelfall schon reglementieren. Das wird wissenschaftlich möglich sein, ist aber nicht immer wünschenswert. Da kann man schnell Grenzen überschreiten, über die man nicht mehr zurückkommt.

JuZ: Haben Sie als Kind mit einem Chemiebaukasten gespielt?
Biemann: Nein. Ich habe mir einen gewünscht, aber keinen bekommen.


Die Science Days im Europa-Park Rust laden vom 14. bis 16. Oktober zum Experimentieren ein. Knapp 100 Aussteller bieten den Jugendlichen an, die Welt der Wissenschaft mit eigenen Händen zu begreifen. Mehr Infos im Internet unter: http://www.science-days.de Samstag ist Familientag. Der Eintritt beträgt vier Euro und ist für Parkbesucher bereits im Ticketpreis enthalten.

Ressort: Zisch

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