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Kein Platz in der "Judenschublade"

Zwei Freiburger Filmemacher drehen Film über das Leben junger Juden in Deutschland / Premiere demnächst im Friedrichsbau.  

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"Gibt es überhaupt noch Juden in Deutschland?" Ob man es glaubt oder nicht, diese Frage wird gar nicht mal so selten gestellt. Die Existenz der etwa 120 000 in Deutschland lebenden bekennenden Juden nimmt die breite Öffentlichkeit in unserer Zeit kaum wahr. Und anders als beispielsweise im Fall des muslimischen Nachwuchses haben nur wenige Deutsche eine konkrete Vorstellung darüber, wie jüdische Jugendliche hier und heutzutage leben, welche Einstellung sie zu ihrer Religionsangehörigkeit haben und wie diese sich auf ihr alltägliches Leben auswirkt.

Genau diese Punkte werden nun in einem Dokumentarfilm der Freiburger Filmemacher Margarethe Mehring-Fuchs und Stephan Laur beleuchtet, die schon "Fremde Liebe" und "Zwischen Rap und Ramadan" gedreht haben. Der neue Film heißt: "Die Judenschublade".

"Ich bin Jüdin, und wegen mir soll es jeder wissen, aber wenn es jemand nicht weiß, ist es auch egal", das sind die ersten Worte des rund einstündigen Films. Sie kommen aus dem Mund der 24-jährigen Schriftstellerin, Journalistin und Studentin Lena Gorelik. "Ich bin Jüdin, aber ich heiße Sharons Politik nicht gut, mein Vater trägt keinen schwarzen Kaftan und ich mache meine Freunde, die so alt sind wie ich, nicht für den Holocaust verantwortlich.", sagt sie. Und dann: "Man wird so oft in eine Schublade gesteckt. Die Judenschublade. Es gibt so viele junge Juden in Deutschland, die passen da nicht alle rein. Sie sind so anders als ich. Sie sind wie ihr: unterschiedlich." Lena ist eine der vielen jungen Juden, die in "Die Judenschublade" zu Wort kommen und von ihrem Umgang mit der Religion erzählen, in die sie hineingeboren wurden. Manche von ihnen haben ein enges, andere ein eher lockeres Verhältnis zum Judentum. Doch alle haben sie gemeinsam, dass sie sich intensiv mit ihrer Konfession auseinander gesetzt haben – anders als viele Christen. "Ich denke, in jedem Land, das nicht Israel ist, setzt man sich als Jude mit dem eigenen Glauben ganz automatisch auseinander, weil man eine Minderheit darstellt", sagt Lena. "Aber in Deutschland tut man das noch mehr als anderswo, weil es aufgrund der Geschichte auch für alle anderen ein Thema ist. Ich werde manchmal gezwungen, mir Fragen über mein Leben zu stellen, allein deshalb, weil Außenstehende mir Fragen darüber stellen." Und der 25-jährige Mike, der seine Kindheit in Israel verbracht hat, stellt es so dar: "In Israel habe ich eigentlich nicht gemerkt, dass ich Jude bin. In Deutschland schon."

Wie vielfältig und verschieden die Lebensentwürfe junger Juden sind, zeigt der Film durch ein breites Spektrum an Einblicken in den Alltag der Protagonisten. Neben Mike, der in Köln Informatik studiert und zugibt, die Feiertage und Gesetze des Judentums weitgehend zu ignorieren, sich aber im Vorstand des BJJSK (Bund jüdischer Jugendlicher und Studenten in Köln) engagiert, sind da die 17-jährige Deliah aus Berlin, die dort die jüdische Oberschule besucht, traditionell lebt und sich in Israel eher zu Hause fühlt als in Deutschland. Oder Dima aus Freiburg, der mehr Moslems als Juden zu seinen Freunden zählt, Rap-Texte zur Filmmusik beigesteuert hat und in dessen Zimmer ein "50 Cent"-Poster prangt. Auch für die weniger Gläubigen unter ihnen ist das Judentum eine Tradition, die Zusammenhalt innerhalb der Familie und der Gemeinde stiftet und auf die sie nicht verzichten wollen. Gleichzeitig möchte kaum einer unter ihnen allein über seine Religionszugehörigkeit definiert werden.

Der Nahostkonflikt ist immer wieder ein Thema

"Das Judentum ist auf jeden Fall Teil meiner Identität, das will ich gar nicht verleugnen", erklärt Lena. "Es ist nur nicht der Mittelpunkt meines Lebens, sondern genauso ein Teil davon wie andere Dinge auch." Trotzdem haben es jüdische Jugendliche manchmal schwer, diesen Aspekt ihrer Identität eher im Hintergrund zu halten. Dann zum Beispiel, wenn sie in eine Diskussion über den Nahostkonflikt verwickelt werden. "Ich bin keine israelische Staatsbürgerin und darf dort nicht wählen", sagt Lea aus München. "Ich fühle mich nicht verantwortlich für das, was Sharon tut. Trotzdem muss ich mich als Jüdin bei solchen Themen verteidigen. Inzwischen lasse ich die Leute manchmal einfach reden. Ich möchte meine Energie nicht nur darauf verwenden, Antisemitismus zu bekämpfen, sondern etwas Konstruktives damit anfangen." Lea ist im Vorstand von "Jung und Jüdisch" aktiv, einer Organisation, die sich die bessere Vernetzung von jüdischen Jugendlichen in Deutschland zum Ziel gesetzt hat, sowohl aus orthodoxen als auch aus liberalen Gemeinden.

Eine lebendige jüdische Jugendkultur gibt es also in Deutschland, das wird jedem klar, der "Die Judenschublade" zu sehen bekommt. Und dass Angehörige des Judentums Deutschland meiden, stellt sich als Vorurteil heraus: inzwischen kommen viele Juden, vor allem aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, bewusst in dieses Land. "Das geschieht größtenteils aus Pragmatismus", meint Lena. "Ich kenne zwar einige Leute in meinem Alter, deren Großeltern ein KZ überlebt haben und dann sofort nach Deutschland zurückkamen. Das kann ich mir nicht erklären und das können sie selbst nicht erklären. Aber was die russischen Juden angeht, die hier her kommen: viele von ihnen tun das, weil es einfacher und schöner ist, in Deutschland zu leben. Erst mal angesichts der ganzen politischen Lage, aber als Jude speziell deswegen, weil man in Russland täglich dem Antisemitismus ausgesetzt ist." Dass die meisten der Protagonisten damit in Deutschland noch keine schlimmen Erfahrungen machen mussten, bedeutet zwar nicht Entwarnung, ist aber ein gutes Zeichen.

Ressort: Zisch

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