Kein Bollywood-Schmalz
LIEBESFILM: "Die Schneiderin der Träume" überrascht positiv.
Alexandra Seitz
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Mit dem respektvollen "Sir" spricht Ratna jenen jungen Mann an, in dessen Diensten sie steht, Ashwin. Ashwins Familie gehört der indischen Oberschicht an; er wurde in New York ausgebildet, von woher er ein paar moderne Ideen hinsichtlich Lebensführung und Geschlechterverhältnis mitgebracht hat. Weswegen Ashwin zu Beginn des Films auch seine Hochzeit hat platzen lassen mit einer Frau, die er zwar schätzt, aber nicht liebt. Auch Ashwin ist also des Träumens fähig, und als ihn Ratna eines Tages fragt, ob sie neben ihrer Arbeit im Haushalt das Schneiderhandwerk erlernen dürfe, kauft er ihr sogar eine Nähmaschine.
Ja, und dann kommt es eben, wie es kommen muss – aber im vorliegenden Fall nicht darf. Ratna und Ashwin verlieben sich ineinander. Das wird aber überraschenderweise nicht Anlass für eine eskapistische Schmonzette à la Bollywood. Rohena Gera gelingt ein ehrlicher Liebesfilm aus Indien. An dem vor allem die Perspektive überzeugt, aus der heraus sie die vielfach missbrauchte Emotion in den
Blick nimmt.
Geduldig, aufmerksam und mit großer
Sensibilität für Details entwickelt Gera die Zuneigung zwischen Ratna und Ashwin aus deren alltäglichem Umgang miteinander: Die von instinktivem Mitgefühl motivierten Versuche der Dienerin, den nach der geplatzten Hochzeit nachvollziehbar melancholischen Herrn zu trösten, lassen diese erst in seinem Gesichtsfeld sichtbar werden. Ein wenig erstaunt stellt er fest, dass da ein Gegenüber ist, das ihn verstehen und mit dem er reden könnte, so dies nur zugelassen wäre. Denn bei diesen meist kurzen Kontaktaufnahmen schwingt – ausgedrückt in den Körperhaltungen, Blicken und Gesten – immer mit, dass allein mit dem Gespräch bereits die Konventionen verletzt werden, die durch das rigide indische Kastensystem gesetzt sind. Und es ist die Macht der Kastenschranken, die solcherart immer deutlicher zutage tritt – als eine grausame Struktur, die Gewalt nicht nur den Armen und Machtlosen antut; denn schließlich ist auch Ashwin eingebunden in ein Netz aus familiären Verpflichtungen und gesellschaftlichen Erwartungen, das keine Rücksichten nimmt auf die Träume eines Individuums.
Diese allmähliche Verschiebung der gegenseitigen Wahrnehmung, in der zugleich das Verbotene einer solchen Wahrnehmungsverschiebung sichtbar wird, wird von Tillotama Shome und Vivek Gomber in den Rollen von Ratna und Ashwin nuanciert und empathisch zum Ausdruck gebracht. Im Schmerz der Figuren über die Zwangslage, in der sie sich schließlich wiederfinden, spiegelt sich Geras Kritik an einer in feudalistischen Mustern verharrenden Gesellschaft – und der Ausweg, der sich den beiden am Ende vielleicht doch noch bieten mag, ist weniger ein Zugeständnis an die romantischen Sehnsüchte des Publikums als vielmehr die bittere Konsequenz aus dem gegenwärtigen Status quo.