Michael Winterbottom
Justizthriller "Die Augen des Engels" und der Medienhype
Daniel Brühl in der Hauptrolle, an seiner Seite Kate Beckinsale: Der Justizthriller "Die Augen des Engels" nimmt den Medienhype um den realen Mordfall Meredith Kercher ins Visier.
Patrick Seyboth
Do, 21. Mai 2015, 0:05 Uhr
Kino
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Mindestens ebenso spektakulär wie die blutige Tat selbst ist der Medienhype um den Fall. Die attraktive US-amerikanische Studentin wurde wahlweise zum dämonischen "Engel mit Eisaugen" oder zur verfolgten Unschuld vom Lande stilisiert, war mal drogensüchtiger Sex-Maniac, mal Opfer einer Verschwörung. Ganze PR-Kampagnen wurden für und wider sie lanciert, etliche Filme und Bücher veröffentlicht, darunter eines von ihr selbst. Die Konstruktion von "Wahrheit" durchs Geschichtenerzählen rückt der britische Regisseur Michael Winterbottom ins Zentrum seines Films. So muss er all jene enttäuschen, die eine nüchterne Rekonstruktion des Falls oder aber einen "richtigen" Thriller erwarten. "Die Augen des Engels" hält sich zwar trotz geänderter Namen und Verlegung des Schauplatzes von Perugia nach Siena äußerlich eng an den Fall, befragt aber vor allem die Mechanismen der Verzerrung.
Der Film will eine selbstreflexive Metafiktion zu all den Fiktionen um das Opfer und die Verdächtige sein. Winterbottom tappt gleichsam im Nebel und sucht in flüchtigen Bildern nach Indizien – doch er weiß das und stellt die eigene Suche infrage. Die Ungreifbarkeit, ja Nichtexistenz der einen Wahrheit ist sein eigentlicher Fixpunkt. So spielt Daniel Brühl im Film den Filmemacher Thomas Lang, der in dem Fall einen packenden Stoff für sein nächstes Projekt wittert und zur Recherche nach Siena reist. Dort trifft er die Journalistin Simone Ford (Kate Beckinsale), von Anfang an Beobachterin der Ermittlungen.
Simone führt ihn in den Kreis jener Reporter ein, die sich dort dauerhaft für den Prozess eingerichtet haben und so etwas wie eine Subkultur bilden. Ihre Jagd nach den deftigsten Schlagzeilen macht sie nicht unbedingt zur angenehmsten Gesellschaft für den nachdenklichen Thomas. Er wühlt sich immer tiefer in den Fall und droht sich in seinen eigenen Projektionen zu verlieren. Persönlicher Verlust macht ihn zusätzlich verletzlich: Er ist von seiner Frau verlassen worden, der Kontakt zu seiner kleinen Tochter besteht aus immer wieder abbrechenden Skype-Gesprächen. Die Begegnung mit einem sinistren italienischen Blogger, der behauptet, die Wahrheit zu kennen, verwirrt Thomas nur noch mehr. Bald suchen düstere Träume und Visionen den Zweifler heim – inszeniert in beunruhigend fragmentierten, den Tatort umspielenden Sequenzen.
Winterbottom stilisiert das nächtliche Siena zur Metapher für das Labyrinth aus Indizien. Zu Noir-Motivik und Stilmitteln des Mysterythrillers zieht er noch eine weitere Ebene ein: Dantes "Göttliche Komödie" und die Biografie des Dichters werden nicht nur zitiert, sie strukturieren untergründig den Film. Ein bisschen viel "Meta" schillert in "Die Augen des Engels", und wie Thomas verirrt sich auch der Film zuweilen in den eigenen Bildern.
Beachtlich ist aber die Wendung, die die Geschichte nimmt, als Thomas die Studentin Melanie (Cara Delevingne) kennenlernt. Durch diese Begegnung verlagert sich Thomas’ Blick wie auch der Fokus des Films weg von der Verdächtigen hin zum Opfer des Mordes – eine Abkehr vom Lustobjekt der Öffentlichkeit als ethisch schlüssige Verschiebung der Perspektive. Da vollzieht der Film auf mutige Weise, was die Journalistin Simone dem Filmemacher Thomas anfangs nahelegt: "Du kannst die Wahrheit nur durch die Fiktion erzählen."
– "Die Augen des Engels" von Michael Winterbottom läuft in Freiburg. (Ab 12)
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