Jung und voll: Ich saufe, also bin ich
Die einzige Rebellion, die den Jugendlichen geblieben ist, ist die gegen die eigene Gesundheit. Überlegungen zu einem Trend.
JuZ-Mitarbeiter Dominic Fritz
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Schon längst tun sie es nicht mehr heimlich. Ihre Saufspiele finden meist dort statt, wo sich Menschen sowieso gemeinschaftlich die Kante geben; sie fallen nur dadurch auf, dass sie jünger aussehen und schneller kotzen. Lange hatte man tolerant weggesehen, dann wurden die süßen Alkopops hoch besteuert - doch das scheint die Jugend nicht davon abzuhalten, nach durchzechten Faschingsnächten als "Alkoholleichen" auf Deutschlands Straßen zu liegen.
Was die besorgten Kommentatoren zu verwundern scheint, ist die Tatsache, dass es auch Jugendliche aus "besseren Familien" sind, Ärztesöhne, Lehrerkinder, Kaufmannstöchter, die sich da so unverhohlen die Birne zudröhnen. Dabei ist gerade diese Tatsache bei genauerer Betrachtung durchaus logisch. Denn die gesamte Generation der heute 12- bis 20-Jährigen wird tatsächlich von klein auf gnadenlos überfordert. Und wie jeder gute Alkoholiker rettet sie sich davor ins kollektive Delirium.
Erwachsenwerden im dritten Jahrtausend ist die permanente Rechtfertigung des eigenen Lebens auf die Frage: "Was bringt dir das?" Die vorsichtige, tastende Gestaltung der Persönlichkeit fällt immer mehr dem Effizienzgedanken zum Opfer. Kindergartenkinder spielen zu viel, Grundschüler sprechen zu wenig Fremdsprachen, Hauptschüler haben zu wenig Soft Skills, Gymnasiasten machen keine Praktika, Studenten studieren zu lange, und seit Pisa ist es sowieso amtlich: dumm sind wir auch noch.
Wer heute fünfzehn ist, muss nicht nur mit Pickel, Stimmbruch oder Liebeskummer fertig werden, sondern gleichzeitig den ökonomischen Ansprüchen einer Gesellschaft genügen, in der es keine Gnade für diejenigen zu geben scheint, die nicht fit genug sind für den Marathon der Gewinnmaximierung. Wer keine Gymnasialempfehlung bekommt, hat mit zehn Jahren schon das Gefühl, ausgeschieden zu sein; wer nach dem Abi ein Jahr "herumlungert", hat schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Während der Druck immer größer wird, ziehen sich die, die Orientierung geben könnten, immer mehr zurück. Eltern haben keine Zeit mehr, Lehrer sind ausgebrannt oder outgeburnt, Politiker haben weder Geld noch Ideen, die Kirchen finden keine Antworten, und der Sport disqualifiziert sich selbst mit Doping und Schummel-Schiris. Wer heute jung ist, wird mit einem Arschtritt in den Dschungel der Erwachsenenwelt befördert, ohne dass ihm eine Landkarte mitgegeben wird. Die Erwachsenen verstecken derweil ihre eigene Ratlosigkeit hinter einem moralischen "anything goes" und warten auf frischen Input aus der Jugend. Die wiederum ist viel zu sehr damit beschäftigt, Kernkompetenzen und Schlüsselqualifikationen zu erwerben, als dass sie die Revolution vorbereiten könnte.
Und selbst dieses ureigene Recht der Jugend auf Rebellion, ist längst geklaut vom Zeitgeist: Sexuell ist jeder Schweinekram emanzipiert und die Teenies hecheln den Potenzvorgaben von "Bravo" und Internetpornos hinterher; Angela Merkel und Sabine Christiansen scheinen den Feminismus entbehrlich zu machen und Eltern und Lehrer laufen auf den Anti-Kriegs-Demos der Schüler mit. Die Heranwachsenden können keine Tabus mehr brechen, weil es keine mehr gibt; und sie können keine Grenzen mehr übertreten, weil die Freiheit grenzenlos ist, solange Jugend ökonomisch interessant ist. Die einzige Rebellion, die noch möglich ist, ist die gegen die eigene Gesundheit.
Die Kampftrinker-Wochenenden und Fasnachtsexzesse sind also einerseits die Flucht vor der Tretmühle des Alltags, der keine Zeit mehr lässt für normale pubertäre Selbstfindung, und andererseits der trotzige Protest gegen die völlige Vereinnahmung der Ressource Mensch. Im Suff entziehe ich mich jeder Rationalität: Betrunken bin ich so, wie ich bin, und nicht so, wie man mich haben will. Natürlich ist auch das Trinken unter Jugendlichen zunächst ein Teil ihres ewigen Kampfes um Aufmerksamkeit und Anerkennung, und das wochenlange Protzen vom nächtlichen Kotzen gehört zu diesem Ritual wie die Prahlerei des Soldaten mit seinen Kriegsnarben.
"Nehmt Jugendliche ernst als Menschen, nicht als Kostenfaktor oder Werbekunden."
Und so gerät der Anspruch des "höher, schneller, weiter", vor dem sie eigentlich fliehen wollen, immer mehr zum Druckmittel auch in der eigenen Peer-Group. Die Freiheit, die man sich vom Alkohol verspricht, bleibt Illusion; sie weicht dem Zwang, den Promillespiegel zwecks Imagepflege in die Höhe zu treiben.
Es bleibt nur ein Lösung: Gebt den Jugendlichen ihre Jugend wieder. Lasst sie ausprobieren, Zeit verschwenden, Grenzen überschreiten. Lasst sie eure Logik brechen, schenkt ihnen Aufmerksamkeit, nehmt sie ernst als Menschen, nicht als Kostenfaktor oder Werbekunden. Erwartet von ihnen, dass sie eines Tages erwachsen werden - aber eben erst eines Tages und nicht schon heute. Vielleicht ertränken sie ihren pubertären Frust dann nicht mehr in Alkohol, sondern in einer echt coolen Revolution.
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