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Jugend zwischen Protest und Pose

  • JuZ-Mitarbeiter Sebastian Lehmann

  • Do, 17. Februar 2005
    Zisch

     

Dass es politisch wache Jugendliche gibt, zeigt sich in diversen künstlerischen Arbeiten. Der Versuch einer Beweisführung.

Die neue Single der Hamburger Band Tocotronic "Aber hier leben, nein danke", räumt auf mit der Deutschtümelei von Bands wie Mia, die in ihren Liedern vom schwarz-rot-goldenen Land singen. Tocotronic zählen zwar auf, was man alles mögen kann, der Refrain allerdings sagt kompromisslos: Hier leben, das muss nicht sein. Das kommt noch unmissverständlicher daher als die Berliner Band "Wir sind Helden", die vor zwei Jahren sangen: "Das ist die Reklamation, ich will mein Leben zurück!"

Jetzt heißt es bei Tocotronic ketzerisch und politisch: "Pure Vernunft darf niemals siegen, wir brauchen dringend neue Lügen." Dieses ist Teil eines Trends, den der Soziologe Heinz Bude in der "Zeit" als die "Wiederkehr des Politischen" bezeichnet. Er sieht in einem Teil der jungen Generation wieder das Bedürfnis nach Politik und Protest. Eine Generation, die sich, wie er es nennt, nicht mit der "ironischen Affirmation des Bestehenden" abfinden will, sondern die wieder politisch aktiv wird.

Ein deutlicher künstlerischer Ausdruck für diesen Trend ist der erfolgreiche Film "Die fetten Jahre sind vorbei" mit Jung-Star Daniel Brühl. Da brechen drei Studenten aus Protest gegen die bestehenden Verhältnisse in die Villen von Superreichen ein, um sie daran zu erinnern, dass sie sich ihres Reichtums nicht unbedingt sicher sein können.

Der Film beschwört den Protest einer jungen Generation, die sich bewusst ist, dass sie nur auf dem Rücken der Dritten Welt so gut leben kann, und dass es Superreiche gibt, die mehr Geld haben, als sie jemals ausgeben können, während andere nicht einmal genug zu essen haben. Eine Generation, die diese Ungerechtigkeit versteht, sie anklagt und ändern will - die "attac-Jugend".

Jenseits von Parteien engagiert sich diese Jugend politisch und ist sich zumindest im Film all der Widersprüche bewusst: Es gibt zwar das Bewusstsein von Ungerechtigkeit und das Verlangen nach Veränderung, aber auf der anderen Seite stehen die 68er, die Eltern-Generation, die in ihrer Jugend genauso dachte, und jetzt im Marsch durch die Institutionen angekommen sind an der Spitze des Systems. Kann man überhaupt noch politisch aktiv sein? Was nützt Protest noch in einer Welt, in der schon so ziemlich alles versucht wurde? Und anscheinend besteht in der Bevölkerung nicht einmal so ein dringendes Bedürfnis nach Veränderung: man denke an die Angst vor jeder Reform.

Hier kommt auch ins Blickfeld, was man ja gerne vergisst: Es gibt keine eigentliche "Generation", es gibt nicht "die Jugend". Die nämlich fächert sich auf in viele kleine Subkulturen. Und: es gibt auch die Jugendlichen, die für Politik nichts übrig haben, sondern lieber wochenendlich in Diskos und Clubs gehen. Zum Beispiel in den bekannten Berliner Club WMF. Bei dem prangt am Eingang kein Schild mehr, kein Name, kein Logo, nur noch ein rotes Viereck. Drinnen: Fernseher, Installationen, Post-Pop-modernes Styling, reduzierte Farben. Dazu DJ-Musik, Drum 'n' Bass, der nur Rhythmus ist mit Melodie-Fetzen - es gibt keine Aussagen mehr. Die Clubkultur, erwachsen auch aus politisch inspirierten 68er Kreisen ist sinnentleert. Sie ist pure Ästhetik, aber trotzdem Gemeinschaft. Eine Gemeinschaft ohne Kontakt: als Bindeglied funktioniert die Musik. Im Club willst du nicht mehr sprechen - es ist ja ohnehin zu laut - nur noch tanzen, aufgehen in der Musik.

"Engagement erscheint als Ausdruck des Selbst." Franz Furedi, Soziologe

Es bleibt eine Mystik, die eine Ahnung von Bedeutung und Hoffnung schafft, aber hinter dieser Fassade des "Style" steckt gar nichts. Mit Alkohol und sonstigen Drogen, zusammen mit Freunden und der lauten Musik lässt sich das ertragen, es ist sogar schön. Hier gibt es keine politische Jugend - und sie braucht nicht einmal die Lügen, von denen Tocotronic singen, es reichen Style, Mystik und ein paar Drogen, um die Welt zu ertragen.

Joachim Lottmann entwirft in seinem 2004 erschienen Roman "Die Jugend von Heute" ein ganz ähnliches Bild. Der Jugend geht es in seinem Buch nur noch darum etwas "aufzustellen". Das bedeutet, ein bisschen rumzuknutschen, ein bisschen zu kiffen und Party zu machen. Das soll die "Elite" sein, die Kinder der 68er: Die Freiheiten, die die Eltern angeblich erkämpft haben, sind nur noch ein Aufgehen in der Medienwelt. In seinem Buch zeigt Lottmann aber auch eine andere Jugend jenseits der gebildeten Elite. In einer grotesk anmutenden Szene beschreibt er mit viel Ironie die Zuwanderer-Jugend als die eigentlich gesunde, die einen vernünftigen, handwerklichen Beruf wählt. Diese Jugend braucht weder Politik noch die Betäubung in Clubs. Sie haben ihr Jamba-Monatspaket mit endlos vielen Handy-Klingeltönen. Sie sind die Zukunft.

Dennoch: ein Trend hin zum Politischen zeichnet sich zumindest für einen Teil der Jugend ab. Es stellt sich aber die Frage, ob das neue Politische nicht nur ein anderer Ausdruck ist für die stylische Sinnsuche. Dem englischen Soziologen Franz Furedi zufolge gibt es nämlich gar keine neue, politische Jugend: für ihn ist jugendlicher Protest heute nichts anderes als Pose. Bei den gewaltigen Demos gegen den Irak-Krieg sei es den Demonstranten vor allem um sich gegangen, um ihre Selbstfindung. Die angeblich politische Jugend koppele sich von Politik ab, wenn sie mit Slogans wie "not in my name" gegen Krieg protestiere.

In der "Zeit" schrieb Furedi: "Engagement erscheint als eine Form der Lebensführung, als Ausdruck des Selbst." Die Protestierenden sind nur noch Sinnsuchende - wie im Clubleben - wo der Sinn in der Sinnenleere liegt. Die große Masse geht, wenn man denn Furedis Argumenten folgt, auf die Straße, um "sich selbst einen Sinn zu geben". Demzufolge wäre Daniel Brühl im Fette-Jahre-Film also nur ein Lifestyle-Poser, der eben nicht in den Club geht und stattdessen ein paar Yuppies erschreckt.

Da mag was dran sein, aber letzten Endes ist bei Furedi einfach ein Reflex zu beobachten, der symptomatisch ist für die Eltern-Generation, die jugendliches Engagement erklären will: Der Fehler ist grundsätzlich bei der Jugend zu suchen und nicht bei unnachgiebigen Politikern, nicht in einer zukunftsuntauglichen Politik. Eines allerdings ist richtig: die Jugend sucht nach Sinn. Nur was ist denn so falsch daran, Sinn in der Politik zu suchen? Das Problem scheint eher die Enttäuschung. Bei Erfolgen hätte der Protest vielleicht ausgeweitet werden können, aber die Jugend auf der Straße hat keine Wirkung gespürt: Trotz riesiger Demonstrationen gegen den Irak-Krieg, fand er statt. Trotz Monatgs-Demos gegen Hartz IV, wird Hartz IV eingeführt. Und so ist die Stimmung umgeschlagen in eine Art Ohnmacht. Politik erscheint als ein Gebilde zusammengesetzt aus undurchschaubaren Machenschaften von Spitzenpolitikern und allmächtigen Managern. Wie kann Protest noch funktionieren, wenn alles unbeeinflussbar scheint und die viel größere Masse, um milliardenfach größer als die Masse auf der Straße, sich für das alles gar nicht interessiert?

Es ist auch in der Politik keine Hoffnung mehr zu finden für eine junge Generation, alles ist komplex, verzweigt, unüberschaubar. Und deshalb ist es vor allem eines, diese Jugendgeneration eint: Das Verstecken hinter dem jeweils Eigenen, dem Nationalstolz, der Deutschtümelei, dem Clubleben, der Familie, dem Sex, Protest und Pose. Da bleibt nicht viel Spielraum für politische Fantasien übrig. Einen griffigen Ansatz bietet allerdings der Film "Die fetten Jahre sind vorbei": Wenn alles andere versagt, muss der Protest in das Leben von allen eingreifen und unübersehbar werden. Im wahrsten Sinne des Wortes schaffen das die drei Filmhelden tatsächlich: sie legen kurzzeitig die gesamten Fernsehübertragungen in Europa lahm.

Ressort: Zisch

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