"Jeder verdient eine zweite Chance"
ZISCHUP-INTERVIEW mit Melanie Bloß über ihren Beruf als Lehrerin in der Freiburger Justizvollzugsanstalt .
Lynn Armbruster, Klasse 8a, St.-Ursula-Gymnasium (Freiburg)
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Hinter dicken Mauern befinden sich die Inhaftierten der Freiburger Justizvollzugsanstalt. Eine andere Welt. Eine, in der Melanie Bloß seit sechs Jahren ein und aus geht. Sie arbeitet als Lehrerin für die Gefängnisschule. Ihrer Auffassung nach hat "jeder Mensch eine zweite Chance verdient". Was macht die Schule im Gefängnis zu einem besonderen Lernort? Lynn Armbruster aus der Klasse 8a des St.-Ursula-Gymnasiums in Freiburg wollte es wissen.
Bloß: Ich habe fünf Jahre lang in Afrika gelebt und dort an einer internationalen Schule gearbeitet. In dieser Zeit habe ich Bildungsarbeit mit verschiedenen ethnischen Gruppen, mitunter auch Massai, durchgeführt. Als ich dann zurück nach Deutschland kam, war mir klar, dass ich meine gesammelte Erfahrung nutzen und nicht nur dasselbe machen möchte wie zuvor. Ich habe mich auf die Suche gemacht, in welchen Bereichen man als Lehrerin tätig sein kann, und bin dann auf das Gefängnis gestoßen. Daraufhin habe ich mich beworben und die Stelle auch bekommen.
Zischup: Warum gibt es überhaupt eine Schule im Gefängnis?
Bloß: Es sind zwei Hauptpunkte. Zum einen ist die Schule eine sinnvolle Beschäftigung. Menschen, die sich langweilen, neigen eher dazu, aggressiv zu werden. Man muss es sich so vorstellen: Man macht den ganzen Tag nichts, ist immer nur hinter dicken Gefängnismauern, für einen Tag, einen Monat, 356 Tage, das zweite Jahr, das dritte Jahr, man beschäftigt sich nicht. Was würde das mit uns machen? Ich glaube, dabei würde jeder Mensch wütend werden. Der zweite Punkt ist der, dass die Inhaftierten durch die Bildung die Chance bekommen, sich nach ihrem Aufenthalt wieder in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft eingliedern zu können. Man ermöglicht den Menschen eine Perspektive.
Zischup: Ist das Lernen für die Häftlinge freiwillig?
Bloß: Die Insassen werden nicht gezwungen, in die Schule zu gehen, denn die Freiburger Justizvollzugsanstalt ist ein Männergefängnis für ausschließlich volljährige Gefangene. Meine Schüler haben alle selbst entschieden, in meinen Unterricht zu gehen, und wollen auch wirklich einen Abschluss machen.
Zischup: Darf jeder Gefangene in die Schule gehen?
Bloß: Um in die Schule gehen zu dürfen, müssen sich die Schüler gut verhalten können. Jemandem, der sich aggressiv zeigt, wird esschwerfallenn im Klassengefüge.
Zischup: Es gibteine weitere Schulee, an der Sie unterrichten, das Theodor-Heuss-Gymnasium in Freiburg. Unterscheidet sich Ihr Unterricht am Theodor-Heuss-Gymnasium von dem im Gefängnis?
Bloß: Auf jeden Fall. Die Unterschiede machen sich vor allem in der Ausstattung bemerkbar. In der Gefängnisschule gib es kein Internet. Wenn ich das Klassenzimmer betrete, muss ich alles dabeihaben, ich kann nicht spontan mal einen Film zeigen. Es wird dadurch viel mehr an der Tafel gearbeitet.
Zischup: Welche Schulabschlüsse können die Gefangenen machen?
Bloß: Es gibt im Gefängnis verschiedene Typen von Schulen. Einmal die Alphabetisierungskurse, in denen die Insassen lesen und schreiben lernen. Außerdem die Hauptschulkurse, Werkrealschulkurse und Realschulkurse. Es gibt auch die Möglichkeit, das Abitur zu machen, zu studieren oder eine Ausbildung durchzuführen.
Zischup: Wissen Sie, warum Ihre Schüler im Gefängnis sind? Wenn ja, beeinflusst das Ihr Verhältnis zu ihnen?
Bloß: Ich kann die Taten bei der Schulleitung erfragen. Ich möchte das aber nicht, zumindest im ersten Schuljahr nicht. Ich will die Menschen erstmal als meine Schüler kennenlernen und keine Täter sehen. Ich möchte offen gegenüber den Menschen sein, die vor mir sitzen. Jetzt, im zweiten Jahr, weiß ich, was meine Schüler gemacht haben, aber ich kenne sie jetzt schon so gut, dass es keinen Einfluss mehr auf mich hat.
Zischup: Gab es schon einmal eine Situation, in der Sie sich unwohl gefühlt haben?
Bloß: Ja, die gab es.
Zischup: Gibt es Sicherheitsvorkehrungen, falls es zu bedrohlichen Situationen kommen sollte?
Bloß: Ich bekomme von der Pforte ein Telefon, mit dem ich jederzeit jemanden vor Ort kontaktieren kann, aber man auch mich erreicht. Dieses hängt an meinem Hosenbund, sodass ich jederzeit auf den roten Notknopf drücken kann. Wenn es zu so einer unangenehmen Situation kommt, wird sofort auf allen Telefonen mein Standort angezeigt und es würde Hilfe kommen. Diesen Notfallknopf musste ich jedoch noch nie drücken.
Zischup: Werden Sie von den Gefangenen respektvoll behandelt?
Bloß: Ja, man behandelt mich sehr wertschätzend. Die Schule ist sehr angesehen, da die Schüler auch wissen, dass ihnen dort etwas gegeben wird.
Zischup: Wie schätzen sie die Chance der Inhaftierten ein, nach ihrem Aufenthalt im Gefängnis ein Jobangebot zu bekommen?
Bloß: Das hängt von der Gesellschaft ab. Es kommt ganz darauf an, ob man bereit ist, den Menschen eine Chance zu geben. Ich glaube, dass es viele Vorurteile gibt und es wichtig ist, den Menschen vor sich zu betrachten und in sich hineinzufühlen, ob man ihm vertrauen kann und dabei seine Vergangenheit erstmal weglässt. Ich denke, jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient.
Zischup: Wie beurteilen Sie ihre Entscheidung, als Lehrerin im Gefängnis zu arbeiten?
Bloß: Mir macht es wahnsinnig Spaß. Man kann individuell auf die Menschen eingehen und diese bei ihren Zielen unterstützen. Ich glaube einfach, dass es Sinn macht.
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