"Jeden Tag 300 Stufen"

ZISCH-INTERVIEW mit Zeitungsausträger Werner Ketterer über lange Wege und kurze Nächte.  

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Wir aus der Klasse G4 der Sehbehindertenschule St. Michael in Waldkirch haben Werner Ketterer interviewt, der schon seit über 40 Jahren als Drucker und Fahrer an unserer Einrichtung arbeitet, denn wir haben erfahren, dass er morgens auch die Zeitung in Waldkirch austrägt. So trafen wir ihn am 26. Oktober in unserem Klassenzimmer, um ihm zahlreiche Fragen zu stellen.

Zisch: Tragen Sie die Zeitung jeden Tag aus, und seit wann machen Sie das?
Ketterer: Inzwischen trage ich die BZ seit zehn Jahren aus, von Montag bis Samstag, sechs Mal die Woche.
Zisch: Wie sind Ihre Arbeitszeiten?
Ketterer: Also, wenn ich aufstehe, geht so mancher gerade ins Bett, nämlich um 2.30 Uhr. Ich versuche, um 3 Uhr an der Ablage zu sein, dort liegen die Zeitungen für mich bereit, die ich austragen soll. Außerdem gibt es auch immer einen Stapel Briefe der Arriva-Post, die ich zusammen mit der Zeitung verteilen muss. Mein Weg dauert dann etwa eineinhalb Stunden, in der Regel bin ich also um etwa 4.30 Uhr fertig.
Zisch: Wie viele Zeitungen sind das pro Tag und handelt es sich dabei ausschließlich um die BZ?
Ketterer: Das ist ganz unterschiedlich. Heute hatte ich zum Beispiel über 100 Ausgaben der BZ, aber auch ein paar Exemplare der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Bild-Zeitung und zwei Mal den Kicker. Und eben die ganzen Briefe.
Zisch: Woher wissen Sie denn, in welchen Briefkasten Sie eine Zeitung einwerfen müssen?
Ketterer: Ich bekomme eine Liste, auf der steht genau, welche Person was abonniert hat. Da stehen auch alle Adressen drauf. Diese Liste ist allerdings nach dem Alphabet sortiert, aber in dieser Reihenfolge laufe ich natürlich nicht durch die Straßen. Deshalb habe ich mir für meinen Bezirk eine Laufliste zusammengestellt, das ist die günstigste und schnellste Strecke. Es gibt jeden Tag kleine Änderungen innerhalb meiner Strecke, wenn zum Beispiel jemand im Urlaub ist und die Zeitung abbestellt hat, oder wenn Zeitungen dazukommen wie die, die ich für euch gerade während des Zisch-Projektes an die Schule transportiere.
Zisch: Wie ist die Bezahlung – verdienen Sie dabei pro Stunde oder pro Monat?
"Ich erlebe viele Dinge,

die andere verschlafen."

Ketterer: Pro Zeitung. Und die Bezahlung richtet sich auch danach, wie weit die einzelnen Briefkästen voneinander entfernt liegen, oder wie beschwerlich der Weg dorthin ist. Jemand, der 100 Zeitungen in drei Hochhäusern verteilt, bekommt pro Zeitung nicht so viel wie jemand, der auf dem Land jeden Bauernhof einzeln anfahren muss. Ich muss jeden Tag 300 Stufen rauf und runter steigen, da mein Bezirk am Berg liegt. Das wird dann besser bezahlt als geradeaus zu laufen.
Zisch: Hatten Sie schon einmal Probleme beim Austragen, zum Beispiel dass Sie einen Briefkasten nicht gefunden haben?
Ketterer: Es gibt ganz verschiedene Situationen, die einem das Austragen schwer machen können. Wenn mir bei Regenwetter eine Zeitung in den Matsch fällt zum Beispiel, oder wenn die Briefkästen hinter einer Mauer versteckt sind. Zum Glück bekomme ich immer eine Zeitung in Reserve mit, und ich trage eine Stirnlampe auf dem Kopf, dann finde ich die Wege auch bei unbeleuchteten Häusern.
Zisch: Sind Sie schon mal von einem Hund gebissen worden?
Ketterer: Zum Glück noch nicht, aber ich musste mal Zeitungen auf verschiedene Bauernhöfe bringen, und da sind einige Hunde frei herumgelaufen, die mich nicht so freundlich begrüßt haben. Damit mir nichts passiert, habe ich ihnen immer ein paar Leckerbissen mitgebracht, und nach einer Woche war ich ihr bester Freund! So konnte ich die Zeitungen dann ohne Gefahr ans Haus bringen.
Zisch: Machen Sie das gerne, Zeitungen austragen?
Ketterer: Wenn ich nicht gerade bei Glatteis den Hang hinauf- und hinunterschlittern muss, mache ich diese Arbeit wirklich gerne. Ich erlebe dabei viele Dinge, die andere Menschen regelrecht verschlafen. So konnte ich neulich den Blutmond während der Mondfinsternis betrachten. Ich begegne auch sehr vielen Tieren: Hasen, Füchsen, dicken Kröten und sogar Rehen, die man am Tag nicht so leicht zu Gesicht bekommt.
Zisch: Sind um diese Uhrzeit auch Menschen unterwegs?
Ketterer: Wenige. Einen Bäcker treffe ich gelegentlich und die Polizei ist regelmäßig auf Streife. Und an Fasnet sind es natürlich einige, die die Nacht durchfeiern oder sehr spät nach Hause kommen.
Zisch: Lesen Sie die BZ auch selbst?
Ketterer: Ja klar, ich will doch informiert sein, was in der Gegend so passiert!

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