Ägypten
In Kairo nutzen Autofahrer Hupsignale als Geheimsprache
Für Außenstehende schräges Getröte, für Ägypter eine Code-Sprache: Hupsignale in Kairos Straßenverkehr transportieren Liebes- oder Hassbotschaften. Das kann ernste Folgen haben.
Johannes Schmitt-Tegge
Mo, 2. Mär 2020, 19:34 Uhr
Panorama
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen
Hupen sei eine eigene Sprache, mit der viel ausgedrückt werden könne, sagt Taxifahrer Mahmoud Saad. Der 30-Jährige steuert seinen weißen Hyundai durch das ewige Meer aus Autoblech, fast jede zweite oder dritte Sekunde ertönt in der Gegend um den Tahrir-Platz ein Hupen. Für Touristen mögen sich die kurzen und langen Signale in die Lärmkulisse der Großstadt mischen. Für Fahrer wie Saad sind sie Bestandteil des örtlichen Codes.
"Wenn ich zum Beispiel einen anderen Fahrer kenne, der mir entgegenkommt, oder ein Bekannter im Café sitzt, grüße ich ihn mit Hupen", sagt Saad – und drückt ein "Tuut tut-tut" in sein Lenkrad. Bei Freude und besonders Hochzeiten sei eine noch längere Kombination üblich, sozusagen als Glückwunsch für die Frischvermählten. Und dann gibt es noch "Danke": zweimal kurz. "Ich liebe dich": dreimal kurz. "Fick deine Mutter": dreimal kurz, zweimal lang.
Die Bevölkerung Ägyptens – und mit ihr der Autoverkehr – hat in den vergangenen 20 Jahren geradezu explosionsartig zugenommen. Das Land knackte bei der Einwohnerzahl kürzlich die 100-Millionen-Marke, etwa ein Fünftel davon lebt im Großraum Kairo. Im Vergleich zu 1950 kommt die Megastadt auf eine Wachstumsrate von mehr als 700 Prozent. Fahrten von gewöhnlich 20 Minuten können zu Stoßzeiten schnell zwei Stunden und mehr dauern.
"Die (Hup-)Sprache fing an, als der Kairoer Verkehr aus dem Ruder lief", sagte Aiman Kamil der Reiseführer-Website Culture Trip. Kamil ist bei einem Unternehmen für Einwanderungsfragen für den Fuhrpark zuständig. Kollegen brachten ihm die Codes im Straßencafé bei, Taxifahrer Saad lernte in seiner Zeit als Kleinbus-Fahrer mit der Hupe sprechen. Die Jungs in den Minibussen sind neben Taxifahrern dafür bekannt, die Signalsprache besonders gut zu beherrschen.
Wo auf der Welt am meisten gehupt wird, lässt sich schwer messen. Wissenschaftliche Erkenntnisse gibt es kaum. Mexiko-Stadt oder New York leiden genauso unter verstopften Straßen wie Istanbul, Jakarta, Manila und Moskau. Einen Spitzenplatz dürften Indiens Metropolen Mumbai und Delhi belegen: Auf deren Straßen tummeln sich Rikschas, große Autos, kleine Autos, Scooter, Hunde, Kühe – und Menschen. Ohne Hupen ist so gut wie kein Durchkommen.
In Mumbai nervte der Lärm die Polizei kürzlich offenbar so sehr, dass sie Dezibel-Messgeräte an Verkehrsknotenpunkten installierte und die Ampeln damit koppelte. Die Ampeln blieben länger rot, wenn mehr als 85 Dezibel gemessen wurden. Das übliche Hupen verstummte. Ein Video des Tests verbreitete sich rasch. Jetzt überlegen Behörden anderswo im Land, geduldige Fahrer mit ähnlichen Kampagnen zu belohnen.
In Deutschland darf nur hupen, wer Gefahr sieht oder außerhalb geschlossener Ortschaften überholt. Sonst droht ein Verwarngeld von fünf oder zehn Euro. Zwar gibt es keine offiziellen Statistiken, aber auch hierzulande wird immer wieder von zunehmendem Drängeln und Hupen im Straßenverkehr berichtet. "Fahren wir immer aggressiver?", fragte der Berliner Tagesspiegel im vergangenen November.
Said al-Hawi rollt mit seinem Taxi in Kairos Innenstadt auf die Nilpromenade zu. Wer ihn bittet, den derben Code für "Fick deine Mutter" noch einmal zu demonstrieren, wird enttäuscht. Zu groß sei die Gefahr, dass andere Fahrer sich angegriffen fühlten. Wer diese Beleidigung wagt, sagen Kairos Fahrer, riskiert Streit auf offener Straße und sogar absichtlich verursachte Auffahrunfälle. Und dann nehmen sie doch lieber mal die Hand von der Hupe.