Schülerrichter
In Bayern verurteilen Mitschüler junge Straftäter – Ein Erfolgsmodell
Schlüpfen Schüler in die Rolle des Richters, werden Paragrafen unwichtig. Was zählt, ist ein Sinn für Gerechtigkeit. Die Rückfallquote der Täter ist geringer als bei normalen Gerichtsverfahren.
Mirjam Uhrich (dpa)
Di, 22. Mai 2018, 20:15 Uhr
Panorama
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"Teen Court" (Jugendgericht) heißt das Projekt des Bayerischen Justizministeriums, das in mehreren bayrischen Städten umgesetzt wird. Allein 2016 wurden bayernweit 330 Fälle verhandelt, 96 Prozent von ihnen abgeschlossen. Dabei ist die Rückfallquote der Täter gering, wie eine Studie am Beispiel eines Schülergerichts in Aschaffenburg zeigt: Bei normalen Gerichtsverfahren werden 34 Prozent der Jugendlichen zum Wiederholungstäter. Stand der Täter vor dem Schülergericht, liegt die Rückfallquote bei 22 Prozent.
Das Schülergericht ist ein Verfahren auf Augenhöhe. Jugendliche urteilen über Jugendliche. Sie haben ähnliche Sorgen und können die Hintergründe der Tat womöglich besser nachvollziehen. Außerdem zählt die Meinung der Gleichaltrigen, ein Straftäter lässt sich so vielleicht zum Umdenken bewegen. "Wir sprechen ganz normal mit den Tätern. Komplizierte Paragrafen lassen wir weg, die kennen wir ja selbst nicht", sagt Piciocchi.
Er kann sich noch gut an seinen ersten Fall erinnern: Ein Jugendlicher hatte in einem alten Sägewerk randaliert. Klassische Sachbeschädigung. Der Angeklagte hat die Tat sofort gestanden, das ist eine Voraussetzung am Schülergericht. Piciocchi verurteilte ihn dazu, sich beim Bürgermeister zu entschuldigen und in den Ferien zwölf Sozialstunden beim Bauamt zu arbeiten. "Ferien – das ist Freizeit. Sozialstunden sind dann doppelt blöd", so Piciocchi. "Der soll ruhig merken, was er für’n Scheiß gemacht hat."
Die Akte landet dann wieder bei der Staatsanwaltschaft, die noch ihr Einverständnis geben muss. "Die Jugendlichen sind beim Strafmaß viel kreativer als wir", sagt Walter Feiler, Oberstaatsanwalt in Passau. "Wir passen nur auf, dass keiner übers Ziel hinausschießt." In Passau war das noch nie der Fall. Nur ein einziges Mal waren die Schülerrichter überfordert und gaben einen Fall an die Staatsanwaltschaft zurück. Weil die zwei angeklagten Mädchen nichts sagten. "Wir wussten am Ende nicht, was Wahrheit und was Lüge ist", sagt Schülerrichterin Pelagija Zlatic. Eine Ausnahme. Denn vor dem Schülergericht landen nur Fälle, die Polizei und Staatsanwaltschaft gezielt ausgewählt haben. Meistens typische Formen von Jugendkriminalität wie Sachbeschädigung durch Graffiti, Ladendiebstähle oder Fahren ohne Führerschein. "Das sind klassische Schreibtischfälle, die bei den Richtern lange liegen bleiben. Vor dem Schülergericht läuft der Prozess schneller", sagt Erika Paul, Fachbereichsleiterin Jugend- und Familienhilfe der Caritas Passau, die das Schülergericht betreut.
Die Teilnahme ist freiwillig – für jugendliche Straftäter ebenso wie für Schülerrichter. "Das Projekt Teen-Court ist für beide Seiten ein Gewinn", sagt Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU). Den Tätern bleibe ein Strafverfahren vor Gericht erspart, die Schülerrichter erhielten eine Ausbildung in Gesprächsführung. Diese dauert zwei Tage. In der Zeit schlüpfen die Schülerrichter in die Rolle des Täters, werden von der Staatsanwaltschaft über die Rechtsgrundlage aufgeklärt und besuchen eine Gerichtsverhandlung. In Passau haben bisher 18 Schülerrichter die Ausbildung durchlaufen, im nächsten Schuljahr sollen es mehr werden. Fabio Piciocchi will dann auch wieder auf der Richterbank sitzen. Doch erst muss er sich auf seinen nächsten Fall vorbereiten – einen Jugendlichen, der sich gegen eine Polizeikontrolle gewehrt hat.