Buchverfilmung

"Ich und Kaminski": Die Welt will betrogen sein

Wenn der Regisseur aus einer eher flauen Vorlage einen vitalen Kinofilm macht: Wolfgang Becker hat aus dem satirischen Kunstroman "Ich und Kaminski" von Daniel Kehlmann eine Menge herausgeholt.  

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Finale am Meer: Daniel Brühl als Kunst...esper Christensen als Maler Kaminski.   | Foto: x Filme
Finale am Meer: Daniel Brühl als Kunstjournalist Zöllner, Jesper Christensen als Maler Kaminski. Foto: x Filme
Er liest sich als hübsche Satire auf Kulturjournalismus und Kunstbetrieb, Daniel Kehlmanns 2003 erschienener schmaler Roman "Ich und Kaminski", der dem Deutsch-Österreicher den internationalen Durchbruch brachte. Aber an die Vielschichtigkeit und überbordende burleske Komik seines Bestsellers "Die Vermessung der Welt" (2005) reicht er halt nicht heran. Den hat Detlev Buck 2012 verfilmt; großes Kino ist aus der starken literarischen Vorlage freilich nicht geworden, nur ein üppiges Ausstattungsstück, ein prächtiger Bilderbogen in 3D.

Jetzt bringt Wolfgang Becker "Ich und Kaminski" auf die Leinwand – und das Kunststück fertig, aus dem vergleichsweise blassen Roman einen vitalen Film ohne große Hänger zu machen, überzeichnet und komisch, melancholisch und berührend, und bei aller Redseligkeit auch verblüffend bildmächtig. Was nicht nur der großartigen Kamera von Jürgen Jürges (der bereits 1993 Wim Wenders’ "In weiter Ferne, so nah!" gefilmt hat) zu verdanken ist, sondern auch einem hinreißenden visuellen Rahmen mit historischen Szenen aus der Kunstgeschichte sowie etlichen Bildzitaten.

Sebastian Zöllner (Daniel Brühl, der bereits in Beckers Welterfolg "Good Bye, Lenin!" von 2003 die Hauptrolle spielte) ist ein so glückloser wie größenwahnsinniger Kunstjournalist. Dass er es nicht mal auf die Kunstakademie geschafft hat, dass Freundin Elke (Jördis Triebel) ihn aus ihrem Luxus-Apartment geworfen hat, dass er mit seinen 31 Jahren nicht mehr der Jüngste und eine Festanstellung nicht in Sicht ist, während unterm Pony die Geheimratsecken wachsen: All das weiß er zu verdrängen. Er hält sich für begehrt, geistreich – und am Beginn einer Weltkarriere. Denn er arbeitet an der Biografie des legendären Manuel Kaminski (Jesper Christensen), des letzten noch lebenden Meisters der klassischen Moderne, der Schüler von Matisse war und Freund von Picasso. Einst machte ihn das von Claes Oldenburg angeklebte Etikett "Der blinde Maler" zur Berühmtheit, jetzt, am Ende des 20. Jahrhunderts, ist er 85 und lebt in den Schweizer Alpen, hinter schwarzer Brille, abgeschottet von der Welt.

Dorthin ist Zöllner unterwegs, eine Tour de Force schon der schweißtreibende Aufstieg über die Almwiese, eine Farce das Abendessen mit Gästen, zu dem er sich selbst eingeladen hat. Er ist zu früh dran, aber er hat es eilig, Kaminski kann ja jederzeit sterben, und dann muss das Buch sofort auf dem Markt sein. Am nächsten Tag steht er schon wieder vor der Tür, die Tochter wimmelt ihn ab, aber Zöllner besticht die Köchin (eine von vielen köstlich grotesken Miniaturen, die Kehlmanns satirisches Talent schön ins Bild setzen), um mit dem alten Mann allein zu sein. Er durchsucht sein Haus, findet im Keller das bestürzende Spätwerk eines erblindenden Malers, stiehlt zwei Gemälde und einen Abschiedsbrief von Kaminskis Muse Therese Lessing.

In der irrwitzigen Hoffnung, die totgeglaubte Geliebte noch einmal zu sehen, lässt sich Kaminski auf eine halsbrecherische Reise durch halb Europa ein, bis hinauf an die belgische Küste. Sie bringt auch den Film in Fahrt, mit schäbigen Absteigen, fürchterlicher Malerei und fantastischer Natur, mit Autodieben, Prostituierten und eitlen Kunstgecken, die tiefste Verehrung für Kaminski heucheln, aber nicht eines seiner Gemälde kennen. Und natürlich ist sie wie jedes Roadmovie eine Seelenreise. Der Journalist, der dem berühmten Maler die Geheimnisse seines Lebens abpressen will, um sein eigenes damit zu sanieren, muss erkennen, dass der ihm an List und Tücke überlegen ist.

Am Ende zerbröseln

alle Illusionen

Der Alte lässt sich von ihm aushalten, stellt sich dumm und manipuliert ihn nach Strich und Faden. Kaminski hat Zöllners Erzfeind längst Interviews gegeben, und überhaupt: Ist er eigentlich wirklich blind? Mundus vult decipi, heißt es einmal, die Welt will betrogen sein – und Sebastian eben auch. Sie sind Brüder im Geiste, die beiden Hochstapler, der alte und der junge, verachten die Welt und ersehnen doch ihre Anerkennung. Und spüren den Schmerz der Vergänglichkeit. Daniel Brühl und dem Dänen Jesper Christensen (dem Mr. White verschiedener Bond-Filme) gelingt es, was im Kino wohl das schwierigste ist: unsympathische Protagonisten so zu verkörpern, dass sie einem dennoch ans Herz wachsen. Das ist natürlich auch Leistung der Regie: Wolfgang Becker inszeniert souverän auf dem schmalen Grat zwischen Komik und Karikatur, zwischen Gefühl und Gefühligkeit.

Emotionaler Höhepunkt des Films ist die Begegnung mit Therese Lessing, die Geraldine Chaplin in zarter Schönheit wunderbar verkörpert, wach und weh, senil und dumpf zugleich. Eine herzzerreißende Szene, in der alle Illusionen zerbröseln wie der staubtrockene Kuchen, an dem Sebastian fast erstickt. Danach wird Kaminski aufgehen in sein Gemälde vom Meer und Zöllner zurückkehren ins Leben, mit den beiden Bildern, die ihm der Freund geschenkt hat. Was bleibt, ist ein bilderbuchbunter Abspann – und die Hoffnung, dass Becker uns nicht wieder zwölf Jahre bis zum nächsten Film warten lässt.
– "Ich und Kaminski" von Wolfgang Becker kommt morgen ins Kino. (Ab 6)

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